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nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 10
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Innovativ aus Tradition
Jeunesses Musicales mit neuem Generalsekretär
Genau zwei Monate ist Ulrich Wüster als neuer Generalsekretär
der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) im Amt. Obwohl noch etwas
Zeit ist, bis „die hundert Tage“ voll sind, stellte
sich der Nachfolger von Thomas Rietschel den Fragen von nmz-Redaktionsleiter
Andreas Kolb.
neue musikzeitung: Die Phase der Einarbeitung ist abgeschlossen,
Sie haben sich einen Überblick über die Geschäfte,
die laufenden Projekte und die Vorhaben dieses traditionsreichen
bundesrepublikanischen Musikverbands ein Bild machen können.
Auf welche inhaltlichen Schwerpunkte werden Sie besonderen Wert
legen?
Ulrich Wüster (li.)
im Gespräch mit nmz-Redaktionsleiter Andreas Kolb.
Foto: Ursula Gaisa
Ulrich Wüster: Die Jeunesses Musicales Deutschland
war der Zeit immer einen Schritt voraus, in ihrem Selbstverständnis
ist sie ein innovativer Verband mit Tradition. Unter dieser Prämisse
ist es mir ein Anliegen, zunächst die Aktivitäten, die
den Kern der Jeunesses Musicales bilden, weiter zu entwickeln: den
Internationalen Opernkurs, den Internationalen Kammermusikkurs,
überhaupt das Kursprogramm der Jeunesses Musicales. Außerdem
ist die Jeunesses Musicales der Verband der Jugendorchester. Möchte
sie die Interessen der Jugend vertreten, muss sie auch Trendscout
sein und erkennen, was die musikalische Jugend heute und vielleicht
auch morgen schon interessiert.
Wir wollen den Dialog mit der Jugend zukünftig noch direkter
führen. Partizipation ist bei der Jeunesses Musicales groß
geschrieben. So wird auch ein weiterer Schwerpunkt der näheren
Zukunft darin liegen, die Mitglieder von Jugendorchestern zu motivieren
und zu befähigen, ihre Geschicke „zu Hause“, also
in Ihrem Orchester in die Hand zu nehmen.
nmz: Das Jugendorchester als Praxislabor?
Wüster: Die Jeunesses Musicales hat in der Vergangenheit
ein wichtiges Instrument geschaffen, um diese Aktivitäten der
Jugendlichen zu forcieren: das ist der Jugendorchesterpreis. Der
läuft in diesem Jahr zum dritten Mal. Es gilt, Initiative zu
ergreifen und sein Orchester selber zu vermarkten, selber Plakate
zu machen, selber Programmgestaltung zu betreiben. Das Thema des
diesjährigen Jugendorchesterpreises heißt „Macht
ein Konzert für junge Hörer“, so dass unser Jeunesses-Thema
„Konzerte für Kinder“ hier auch als Impuls für
die Jugendorchester selbst angeboten ist. Sehr überzeugt bin
ich von unserer Förderung junger Komponisten. Die Jeunesses
Musicales hat hier ein etabliertes Forum, den Bundeswettbewerb Komposition.
Wir werden 2003 einen internationalen Kongress zum Thema komponierende
Jugendliche veranstalten. In Gemeinschaft mit der Stadt Weikersheim
starten wir das Projekt „Stadtkomponist“. Ein junger
Komponist wird jeweils für ein halbes Jahr nach Weikersheim
geholt. Er bekommt ein Stipendium, um dort zu komponieren, soll
aber vor allem auch mit der Jeunesses Musicales und ihren Projekten
zusammenarbeiten und auch die Schulen und Musikschulen der Region
einbeziehen. nmz: Betreut ein etablierter Komponist dieses Projekt?
Wüster: Wir sind in der glücklichen Lage, dass
der Vorsitzendende der Jeunesses Musicales, Martin Christoph Redel,
als Komponist und Professor für Kompositionslehre in Detmold
einen hervorragenden Ruf genießt.
nmz: Die Jeunesses Musicales hat drei Tätigkeitsbereiche:
den lokalen Standort Weikersheim, ihre bundesweite Tätigkeit
als Verband im deutschen Musikleben und ihre internationale Verflechtung.
Ein paar Worte dazu?
Wüster: Der Standort Weikersheim ist für die
Kreativität der Jeunesses Musicales ein ganz wichtiger Platz.
Durch die Jeunesses Musicales ist Weikersheim seit den 50er-Jahren
zu einem Begriff in der deutschen Musiklandschaft geworden. Wir
haben vor, gemeinsam mit der Stadt Weikersheim, die Trägerin
der musikalischen Bildungsstätte ist, diesen Musikstandort
weiter auszubauen, als Zentrum innovativer musikalischer Projekte
und Ideen. Geplant ist zum Beispiel eine e-Community im Internet
mit Zentrum Weikersheim aufzubauen, wir wollen noch weitere Musikverbände
für Weikersheim als Standort interessieren. Es steht außerdem
eine Neuorientierung der musikalischen Bildungsstätte auf dem
Programm. nmz: Was darf man unter Neuorientierung verstehen?
Wüster: Die Musikbildungsstättenlandschaft in
Deutschland wird immer dichter besetzt. Das ist erfreulich, und
der „Markt“ scheint vorhanden. Für eine gute Zukunftsperspektive
muss man aber sein eigenes Angebot sehr stark profilieren. Das ist
mein mittelfristiges Ziel für die nächsten drei bis fünf
Jahre.
nmz: Bereits der Name ist international: Wie steht es mit
der Internationalität der Jeunesses Musicales heute?
Wüster: Die Jeunesses Musicales ist 1951 als deutsche
Sektion einer internationalen Organisation gegründet worden.
Dieses Selbstverständnis gilt nach wie vor. Wir sind auf diese
Weise Teil eines Netzwerks mit 60 Ländern der Erde, das wir
über die Zentrale in Brüssel auch aktiv pflegen. Schloss
Weikersheim ist vor drei Jahren World Meeting Center der Jeunesses
Musicales geworden. Dies wollen wir mit Leben füllen. 2003
werden wir etwa mit dem Jeunesses-Musicales-Welt-Orchester zusammenarbeiten
und die Welt zu Gast in Weikersheim haben.
nmz: Welche Projekte gibt es 2003 außerdem?
Wüster: Die Opernproduktion des Jahres 2003 ist „Carmen“,
ein Publikumshit. Vielleicht nicht eben ganz so innovativ, aber
lassen wir uns mal von der Inszenierung überraschen. Wir halten
es für gerechtfertigt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten
eine erfolgversprechende Oper anzuführen.
nmz: Schaut man als Mitglied eines internationalen Verbands
nicht manch-mal neugierig über den Gartenzaun?
Wüster: Die internationale Jeunesses-Gemeinde muss
man sich sehr heterogen vorstellen. Und dies führt immer wieder
zu gegenseitigen Anregungen. Zum Beispiel ist die Jeunesses Österreich
der größte Konzertveranstalter des Landes für Konzerte
für Kinder und Jugendliche. Das wollen wir hier gar nicht werden,
aber wir haben das Thema „Konzerte für Kinder und Jugendliche“
aufgegriffen und dazu kulturpolitische Positionen und Beratungskompetenz
aufgebaut.
Oder das Beispiel Venezuela: Die Jeunesses Musicales hat in diesem
Jahr bereits zum zweiten Mal eine große Deutschlandtournee
des Venezuelanischen Jugendorchesters präsentiert. Dies ist
das Aushängeschild eines großen Netzwerkes von Kinderorchestern
im ganzen Land, in denen Kinder aus den sozialen Brennpunkten der
Großstädte angeleitet werden, Musik zu machen, und darüber
hinaus ein Zuhause und eine Lebensperspektive bekommen. Eine Idee,
bei der wir gerade überlegen wie sie für deutsche Verhältnisse
zu interpretieren ist.
nmz: Die Jeunesses Musicales begreift ihr musikalisches
Tun auch als Ausdruck gesellschaftlicher Standpunkte?
Wüster: Richtig. Wir haben beispiels- weise dieses
Jahr unter dem Titel „Wei-kersheimer Begegnung“ zum
ersten Mal mit großer Resonanz das Projekt „Orient-Okzident“
durchgeführt: Junge Musiker aus arabischen Ländern kamen
nach Weikersheim und führten dort einen sehr intensiven musikalischen,
aber auch verbalen Dialog.
nmz: Für die Mitgliedsschulen des VdM haben Sie in
Ihrer früheren Tätigkeit ein Qualitätsmanagement
(QM) entwickelt. Was heißt Qualitätsmanagement im Zusammenhang
mit der Jeunesses Musicales?
Wüster: Qualitätsmanagement heißt auf der
einen Seite in klar definierten Bahnen zu arbeiten. Eine klare Zielsetzung
zu formulieren. Da kann ich hier auf vielem aufbauen. Qualitätsmanagement
heißt aber auch kundenorientiert und mitgliederorientiert
zu denken und zu handeln. Wir wollen die Mitgliedschaft in der Jeunesses
Musicales gerade für junge Leute noch interessanter machen,
für Jugendorchester, aber auch für Einzelmitglieder. Kundenorientiert
heißt im Hinblick auf unsere Kursveranstaltungen und als Betreiber
der musikalischen Bildungsstätte Servicequalität vorzuhalten.
Qualitätsmanagement heißt dazu, das Ganze dann noch möglichst
wirtschaftlich zu führen.
nmz: Beim VdM waren Sie acht Jahre hauptsächlich für
Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Was planen Sie für
die Jeunesses Musicales in diesem Feld?
Wüster: Als praxisgeprüfter Öffentlichkeitsarbeiter
sehe ich freilich allerhand Potenziale. Die Jeunesses Musicales
ist sehr bekannt, ich brauche nur wenig Imagewerbung zu betreiben.
Wir haben vor, ein Gesamtkonzept unserer öffentlichen Darstellung
zu entwickeln. Dazu werden wir sicher auch externen Rat bemühen.
Die Ressourcen dafür habe ich schon bereitgestellt.
nmz: Im Rahmen der Debatte um die Zukunft des Deutschen
Musikrates wird derzeit viel von Ehrenamt und professioneller Verbandarbeit
gesprochen. Wie stellen sich diese Bereiche bei der Jeunesses Musicales
dar?
Wüster: Die Jeunesses Musicales lebt geradezu von einem
fantastischen ehrenamtlichen Engagement. Zum Beispiel im Vorstand,
wo Menschen aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen sich für
die Arbeit dieses Verbandes einsetzen und wirklich aktiv arbeiten.
Sie brauchen und verdienen dafür die hauptamtliche Unterstützung
um-so mehr.
Ich habe aber den Eindruck gewonnen, dass bezüglich Arbeitsteilung
und Kommunikation gute Strukturen vorhanden sind.
nmz: Die Jeunesses Musicales finanziert sich vor allem durch
öffentliche Gelder. Spielen daneben private Finanzierungsmodelle
in Zukunft möglicherweise eine größere Rolle?
Wüster: Bei der JMD tun sie das bereits und mit unseren
„Haus“-Sponsoren sind wir in gutem Gespräch. Dennoch
erleben es auch wir, dass es immer schwerer wird, an Gelder der
öffentlichen Hand oder auch privater Geldgeber zu kommen. In
bestimmten Bereichen muss ich versuchen, in den nächsten Jahren
auch in Richtung vertraglicher Absicherung von Zuwendungen eine
größere Planungssicherheit zu erzielen.
nmz: Überlegungen zu Teilprivatisierung wie es in Modellen
für den zukünftigen Deutschen Musikrat angedacht wird,
existieren nicht?
Wüster: Auch im Non-Profit-Bereich wird heutzutage
keiner darum herumkommen, betriebswirtschaftliches Denken in sein
Management mit einzubeziehen. Ich halte aber eine Privatisierung
bestimmter Aufgaben nicht für den richtigen Weg, wenn dadurch
der Zugriff auf die Gestaltung dieser Aufgaben mittelbarer wird.
Ich glaube, es ist eine Stärke der Jeunesses auch zu Gunsten
ihrer Experimentierfreudigkeit, dass sie unmittelbar über ihre
Geschicke bestimmen kann. Das können wir mit den bisherigen
Partnern und Strukturen.
nmz: Wie schätzen Sie die Zukunft des Deutschen Musikrates
ein?
Wüster: Die Jeunesses Musicales war stets eines der
aktiven Mitglieder des Deutschen Musikrats und wird es bleiben.
Hier gibt es ein Forum, in dem auch die Stimme der musikalischen
Jugend nicht ungehört verhallt, sondern eher verstärkt
in einen Interessenabgleich zwischen Künstlern, Pädagogen
und Wirtschaft eingeht, der in dieser Form einzigartig ist. Gerade
die Förderprojekte des Musikrats – Jugend musiziert,
das Bundesjugendorchester und die gesamte Palette – sind bei
einem Dachverband viel besser aufgehoben als bei Einzelverbänden
und ihren Einzelinteressen, zumal sie so auch optimal koordiniert
werden können. Der Deutsche Musikrat muss – und zwar
in größter Selbstbestimmung – handlungsfähig
bleiben. Thomas Rietschel sollte in diesem Bemühen alle Unterstützung
erfahren.