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nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 8
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Anlass zu Optimismus
Deutscher Kulturrat und Kulturverträglichkeitsprüfung
Die neue Kulturstaatsministerin Christine Weiss musste bereits
zu Beginn ihrer Amtszeit zweimal ihr, in einem Jahrzehnt als Hamburger
Kultursenatorin geschultes, Verhandlungsgeschick einsetzen, um großen
Schaden von der Kultur abzuwenden. Der Deutsche Kulturrat hatte
bereits am 17. Oktober empört über den Bruch der Koalitionsversprechen
von Rot-Grün im Kulturbereich innerhalb von 24 Stunden gefordert:
„Herr Schröder stoppen Sie Herrn Eichel!“. Zum
damaligen Zeitpunkt war die Kulturstaatsministerin gerade seit zehn
Tagen berufen und hatte ihr Amt von ihrem Vorgänger Julian
Nida-Rümelin noch nicht übernommen.
Der Deutsche Kulturrat war entsetzt, dass einen Tag nach der Unterzeichnung
des Koalitionsvertrages zwischen Rot-Grün in der Tageszeitung
„Die Welt“ Finanzminister Eichels Streichliste veröffentlicht
wurde, die, wäre sie umgesetzt worden, der Kultur massiven
Schaden zugefügt hätte. So sollte nach dieser Liste die
Umsatzbesteuerung von Kunstgegenständen und Sammlungsstücken
in der Zukunft mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegt werden.
Diese Maßnahme widerspricht dem Koalitionsvertrag, in dem
es heißt: „Der Mehrwertsteuersatz im Kulturbereich muss
erhalten bleiben“.
Darüber hinaus wollte der Finanzminister den Spendenabzug
für alle mildtätigen, kirchlichen, religiösen, wissenschaftlichen
und als besonders förderungswürdig anerkannten gemeinnützigen
Zwecke, also allen gemeinnützigen Kulturförderzwecken,
streichen. Ohne Spendenmittel aus Unternehmen könnten aber
viele ambitionierte künstlerische Vorhaben nicht umgesetzt
werden, da die Zuschüsse der öffentlichen Hände oftmals
nur noch zur Deckung der fixen Kosten reichen, aber keine zusätzlichen
Vorhaben oder Anschaffungen mehr erlauben. Der Finanzminister hoffte,
durch die Streichung der Spendenabzugsmöglichkeit im nächsten
Jahr 151 Millionen Euro mehr in der Kasse zu haben. Dieser Betrag
ist im Lichte des Gesamtspendenaufkommens aus der Wirtschaft von
heute noch zirka 600 Millionen Euro (Schätzung des Stifterverbandes
der Deutschen Wissenschaft) schon unverständlich hoch. Der
Einsparungsbetrag sollte sich dann bis zum Jahr 2006 auf 281 Millionen
Euro fast verdoppeln. Der Finanzminister ging also davon aus, dass
sich das Spendenaufkommen aus der Wirtschaft von heute zirka 600
Millionen Euro in drei Jahren auf fast 1,2 Milliarden Euro erhöhen
würde. Diese Steigerung der Spenden aus der Wirtschaft wäre,
selbst wenn die Spendenabzugsfähigkeit nicht wegfallen würde,
absolut utopisch, unter den vom Finanzministerium geplanten Neuregelungen
war diese Rechnung schlicht unseriös.
In beiden Einsparungsideen zu Lasten der Kultur konnte sich der
Bundesfinanzminister nicht durchsetzen. Dieser Sieg ist zum einen
der großen Öffentlichkeitswirksamkeit der Protestaktionen
und zum anderen der neuen „Kulturverträglichkeitsprüfung
von Gesetzen“ durch die Kulturstaatsministerin zu verdanken.
Der Deutsche Kulturrat hatte bereits Ende September in einer Resolution
für aktive Kulturpolitik des Bundes und für eine Stärkung
der Kompetenzen des Kulturstaatsministers sowie des Ausschusses
für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags die „Kulturverträglichkeitsprüfung
von Gesetzen“ gefordert. In der Resolution heißt es:
„Der Staatsminister sowie der Ausschuss für Kultur und
Medien sollten mit der Prüfung der Kulturverträglichkeit
von Gesetzesvorhaben betraut werden.“ Die Koalitionsparteien
haben diesen Vorschlag des Deutschen Kulturrates in ihre Koalitionsvereinbarung
aufgenommen. Nun hat die neue Kulturstaatsministerin Christine Weiss
ein Instrumentarium in der Hand, das es ihr erlaubt, alle Gesetzesvorhaben
im Deutschen Bundestag auf ihre Kulturverträglichkeit hin zu
überprüfen. Das heißt, sie wird in der Zukunft nicht
nur eindeutig kulturrelevante Gesetze betreuen, sondern muss in
ihrem Haus ein Art Frühwarnsystem installieren, das Aktionen
auslöst, wenn zum Beispiel in den Bereichen der Steuer- oder
der Sozialgesetzgebung unmittelbar oder mittelbar der Kulturbereich
positiv wie negativ berührt ist. Dieser eindeutige Kompetenzzuwachs
der Kulturstaatsministerin wird auch den sie kontrollierenden Kulturausschuss
im Deutschen Bundestag stärken. Er wird sich, um seine Kontrollaufgaben
wahrnehmen zu können, ebenfalls mit der Kulturverträglichkeit
aller Gesetzesvorhaben des Bundes beschäftigen müssen.
Man kann sich nur wünschen, dass dieses neue Instrumentarium
„Kulturverträglichkeitsprüfung“ ein starkes
Argument für Interventionen der Kulturstaatsministerin und
des Kulturausschusses im Deutschen Bundestag für Kunst und
Kultur wird. Die beiden erfolgreichen Aktionen der Kulturstaatsministerin
zum Erhalt des Spendenabzuges für Körperschaften und den
Erhalt des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Kunstwerke
geben Anlass zu Optimismus.
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen
Kulturrates