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nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 7
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Musikwirtschaft
Geldquellen für die gute Stube
Zur Finanzierung des neuen Essener Konzertsaals
In einer lockeren Artikel-Serie gewähren wir unseren Lesern
Einblick in die unterschiedlichsten Aspekte der Entstehung eines
neuen Konzertsaals – am Beispiel Essen. In Zeiten leerer Kassen
spielt die Frage der Finanzierung natürlich eine besondere
Rolle. Dorothee Krings beleuchtet die Vielzahl der Quellen, aus
denen sich das Projekt „Essener Saalbau“ nährt.
Nun dringt also Lärm aus der Konzerthalle. Im Essener Saalbau
beweisen in den nächsten Monaten Bauarbeiter ihr Können.
Hinter geschlossenem Bauzaun, ganz ohne Publikum, haben sie mit
dem Umbau der alten Veranstaltungshalle begonnen. Der denkmalgeschützte
Saalbau bekommt ein neues Innenleben. Neben Tagungsräumen,
Foyers, Restaurant und einem Glaspavillon wird ein großer
Konzertsaal Herzstück des Komplexes sein – die neue Philharmonie
Essen. Knapp 2.000 Sitzplätze wird sie bieten, angebracht auf
beweglichen Ebenen. So kann demnächst tagsüber ein Ärzte-Kongress
im Saal stattfinden, abends ein Abschlusskonzert an selber Stelle.
Solche Multifunktionsbauten haben ihren Preis. Gesamt-Umbaukosten:
60 Millionen Euro.
Wie ist eine solche Investition möglich in Zeiten leerer
Kassen? In Essen hat man ein Finanzierungsmodell gefunden, das die
Belastung auf viele Jahre verteilt. Nach einer europaweiten Ausschreibung
übertrug die Stadt den Umbau-Auftrag an einen Finanzdienstleister,
der nun sämtliche Baukosten übernimmt. Dafür muss
die Stadt für das umgebaute Haus eine Art Miete zahlen: 263.000
Euro plus Nebenkosten jeden Monat. Nach genau 22,5 Jahren ist die
Schuld dann abgetragen, die Stadt wird wieder alleiniger Eigentümer
der Halle und muss nur noch die jährlichen Unterhaltskosten
für das Gebäude aufbringen.
Um mit der Auftragsvergabe an einen Finanzdienstleister aber nicht
jeglichen Einfluss zu verlieren, hat die Stadt ein Kontrollgremium
berufen, die Arbeitsgemeinschaft Saalbau. Deren Mitglieder begleiten
den Umbau kontinuierlich und sorgen dafür, dass die Kommunikation
zwischen allen Beteiligten funktioniert.
Das Essener Finanzierungsmodell wurde jedoch nur möglich,
weil die Stadt Geldgeber gewinnen konnte. Das Land Nordrhein-Westfalen
unterstützt den Umbau mit 8,5 Millionen Euro, die in Essen
ansässige Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gibt sogar
13 Millionen Euro. Erst diese Zusagen hätten das Projekt überhaupt
möglich gemacht, heißt es beim Essener Kulturamt.
Außerdem gibt es breite Zustimmung bei den Bürgern.
Die Essener hängen an ihrem Saalbau, der liebevoll „die
gute Stube“ genannt wird und fanden es an der Zeit, das arg
veraltete Vorzeigezimmer auf Vordermann zu bringen. Als 1998 öffentlich
darüber diskutiert wurde, ob die Stadt neben Standorten wie
Köln, Düsseldorf oder jetzt auch Dortmund überhaupt
eine neue Konzerthalle brauche, sammelte eine Bürgerbewegung
90.000 Unterschriften für den Umbau. Und Zustimmung in der
Bevölkerung bedeutet in einer alten Industriestadt wie Essen
auch beachtliches Spenden-Potenzial. So wird zum Beispiel eine Familienstiftung
der Philharmonie die neue Orgel schenken. Die RWE bezahlt den Bau
eines Glaspavillons, in dem es künftig Kammermusik geben kann,
genauso aber auch eine Jahrespressekonferenz.
Doch die Baukosten sind nur ein Teil des wirtschaftlichen Abenteuers
Konzerthalle. In Essens Nachbarstadt Dortmund bekommt man gerade
zu spüren, wie teuer der Unterhalt eines solchen Hauses werden
kann. Dort ist bereits in den ersten Wochen nach Eröffnung
von enormen Defiziten die Rede. Dies hört man in Essen mit
Sorge. Nicht weil man Ähnliches befürchtet. Vielmehr,
weil schlechte Presse für das Dortmunder Haus auch in Essen
auf die Stimmung schlagen könnte. Dabei sind Parallelen zwischen
beiden Häusern kaum zu ziehen, die Konzepte sind höchst
unterschiedlich. In der Essener Philharmonie wird es nämlich
neben herausragenden Konzerten weiterhin auch Tagungen, Kongresse,
Bälle geben. Hochwertige Mischnutzung, auf diese Definition
haben sich Intendant und Stadt geeinigt. So soll die Finanzierung
des Betriebs gesichert werden. „Die Philharmonie wird neue
Impulse für die Musikszene bringen und auf das hervorragende
vorhandene Angebot aufmerksam machen“, so Kulturdezernent
Oliver Scheytt, „aber das Gebäude hat auch einen gesellschaftlichen
Auftrag.“ Das bedeutet konkret: Auch die Essener Bürger
werden den Saalbau weiter nutzen. Wie das organisatorisch gelöst
wird, steht noch nicht fest. Grundsätzlich soll der Intendant
allein für den Saalbau verantwortlich sein. Vom bisherigen
Pächter, der einen Vertrag bis 2015 besaß, will die Stadt
sich trennen und sagte eine Entschädigungszahlung von 3,4 Millionen
Euro zu. Noch ist offen, wer künftig die gastronomische Bewirtschaftung
übernehmen wird. Das Sheraton-Hotel liegt jedenfalls gleich
nebenan.
200 kulturelle Veranstaltungen pro Jahr soll es demnächst
im Saalbau geben. 80 davon unter der künstlerischen Leitung
von Michael Kaufmann. Dafür stehen dem Intendanten die Einnahmen
aus dem Kartenverkauf zur Verfügung und ein öffentlicher
Etat von 2,4 Millionen Euro. Davon müssen allerdings neben
Künstlergagen auch Personal- und Betriebskosten gezahlt werden.
Hinzu kommen jedoch beträchtliche Mittel von privaten Geldgebern.
Der Freundeskreis der Theater und Philharmonie Essen sammelt jedes
Jahr 500.000 Euro zur Unterstützung aller großen Bühnen
in Essen. Geld, das der Vorsitzende des Freundeskreises, Wulf Mämpel,
vor allem in der Essener Wirtschaft akquiriert. Ganz konkret, mit
dem Programmheft für die nächste Spielzeit in der Hand,
sucht er in Vorstandsetagen Sponsoren für die geplanten Aufführungen
– und findet sie. „Es gibt in Essen sehr viele Unternehmer,
die etwas für ihre Stadt tun wollen“, so Mämpel.
Demnächst ist auch das Philharmonie-Programm im Förderangebot.
Ein anderer Geldgeber ist die Fördervereinigung für die
Stadt Essen, hervorgegangen aus dem Verkehrsverein. Sie hat der
Philharmonie zunächst für fünf Jahre 250.000 Euro
jährlich für die Programmgestaltung zugesagt. „Es
gibt hier eine sehr positive Haltung gegenüber der neuen Philharmonie“,
sagt Intendant Michael Kaufmann. „Die Essener sind stolz auf
das kulturelle Angebot in ihrer Stadt und tun etwas dafür;
sie tragen es nur nicht so nach außen.“ Auch die Sparkasse
Essen unterstützt gezielt die Programmgestaltung, hat dazu
eigens eine Stiftung gegründet. Solchermaßen ausgestattet
ist Intendant Michael Kaufmann derzeit dabei, Spitzenorchester und
Solisten zu engagieren. Allerhöchste Zeit, denn große
Künstler sind heute Jahre im Voraus ausgebucht und schon im
Advent 2003 soll der Karten-Vorverkauf beginnen. Dass sich die knapp
2.000 Sitzplätze in der Philharmonie dann auch füllen
werden, darüber macht man sich in Essen keine Sorgen. Das renommierte
Aalto-Theater gleich gegenüber hat eine Auslastung von 90 Prozent,
regelmäßig stehen dort Busse aus Belgien oder den Niederlanden
vor der Tür, die Abonnement-Konzerte der Essener Philharmoniker
sind stets ausverkauft. Darum ist Kulturdezernent Scheytt sicher:
„Das Potenzial ist noch nicht gehoben.“