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nmz 2002/12 | Seite 39
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz, Rock, Pop

Pulsationen, Collagen mit scharfen Schnittkanten

Das Berliner Jazzfest 2002 trug Merkmale transatlantischer Korrespondenzen

Die Achse USA – Europa scheint zumindest in der Musik keine auffallenden Krisen zu haben. John Corbett, Musikwissenschaftler und Journalist aus Chicago, hatte 2002 die künstlerische Leitung fürs Berliner Jazzfest. Sein Programm, das auf ein verbindendes Motto verzichtete, hatte dennoch deutliche Merkmale transatlantischer Korrespondenzen. Einige Ausschnitte davon werden hier vorgestellt.

An der Nahtstelle notierte/improvisierte Musik manövrierte Ken Vandermark’s Territory Band aus Chicago, wozu der (Bariton-) Saxophonist amerikanische (Jeb Bishop, tb; Kevin Drumm, electronics) und europäische Musiker (Paul Lytton, dr; Axel Dörner, tp) ausgesucht hatte. Sie zogen mit rhythmisch verschachtelten Riffs oder Ostinatos einen Rahmen, in und aus dem sich ausgedehnte Soli im Sinne des Free Jazz lösten.

Immer noch sehr agil: der 76-jährige Schlagzeuger Roy Haynes. Foto: Berliner Festspiele

Grooves, vor allem durch die Instrumente tiefen Registers, und freie Pulsationen formten sich zu Collagen mit scharfen Schnittkanten. Diese abrupten Umschwünge entstanden auch dadurch, dass wechselnde Bandmitglieder per Handzeichen den Verlauf eines Stückes steuerten. Trotzdem hatte die Musik eine organische Konzeption, die aus klarer Rollenverteilung und Disziplin resultierte. Ken Vandermark hat Geräusch und Klang, swing und Puls mit der Energie des Free Jazz zu einer aufregenden, zeitgemäßen Einheit geführt.

Im Vergleich zur Territory Band ist das europäische Nu’ Ensemble mit den Co-leadern Mats Gustafsson (ts) und Paul Lovens (dr) im Entwicklungsstadium des Free Jazz der 1970er-Jahre geblieben. Die „Komposition“ von Paul Lovens setzte sich aus geregelten Geräuschen zusammen, die zwar gegliedert, aber nicht verknüpft wurden. So war die Musik einfach nur „da“, ohne erkennbares Ziel. Auch das Stück von Mats Gustafsson unterschied sich im Prinzip nicht von seinem Vorgänger. Wenn Musikinstrumente nahezu ausschließlich zur Erzeugung von (meist hässlichen) Geräuschen bedient werden, Geräuschen, die man auch mit beliebigen anderen Gegenständen wie Gartenschläuchen machen kann, dann ist die Frage erlaubt, ob Profimusiker sich auf Dauer mit solch infantilen Aktionen zufrieden geben wollen. Zwar „dirigierte“ Mats Gustafsson gelegentlich, aber das waren nur Tutti oder Blöcke aus zwei, drei langen Tönen. Daraus lässt sich keine Gestalt bilden. Knapp zwei Stunden spontane Geräusche als Prinzip sollten nicht der letzte Atemzug des Geistes gewesen sein.
Zur ersten Garde der free music gehört auch Peter Brötzmann (saxes, cl). Er trat zusammen Milford Graves (dr) aus New York, der im Alter von 63 Jahren sein Debüt beim Jazzfest Berlin hatte!

Auch bei ihnen bestimmte der Augenblick das Geschehen. Dabei preschte Milford Graves, der als einer der ersten Schlagzeuger eine Hauptrolle auf der Bühne beanspruchte, voran. Auf seinem Set ohne untere Fellbespannung trommelte er in eigenwilliger Körpersprache kleine Geschichten, in die sich Peter Brötzmann mit rauen Kommentaren einmischte, die sich zu Dialogen festigten. Während Milford Graves starke Energiefelder aufbaute, beschwichtigte der Saxophonist durch lang gezogene Phrasen, ja, sogar mit lyrischen Passagen. Das Duo erreichte schließlich ein intensives Einverständnis, so dass beide und das Publikum sehr zufrieden waren.

Abseits dieser Hochfrequenztöne spielte das schwedische Duo Peter Söderberg & Sven Årberg die Piano Phase von Steve Reich, transponiert für zwei Lauten. Ein durchkomponiertes Werk vom amerikanischen Pionier der Minimalmusik, das sanft fließend vorüber zog und suggestiv die Sinne beruhigte.

Das Ab Baars Trio aus den Niederlanden leitete Experimente mit Klängen und Strukturen des amerikanischen Jazzkomponisten und Klarinettisten John Carter in neue Arrangements. Verschiedene Stilmuster aus instabilen Motiven Neuer Musik, swingendem Modaljazz und freien Klängen balancierten Ab Baars (ts, cl), Wilbert de Jonde (b) und Martin van Duynhoven (dr) zu kontrapunktischen Gebilden. Präzises Zusammenspiel zeichnete das hohe Niveau des Trios aus.

Wenn Han Bennink sein Drumset bearbeitet, bleibt kein Auge trocken. Seine Clownereien kann er wohl nicht unterdrücken und so schob er sich auch beim Auftritt des Tobias Delius Quartetts (zu) oft in den Vordergrund. Trommelte auf dem Fußboden, machte Faxen, hielt dennoch im richtigen Moment den swing. Denn Tobias Delius hat eine Vorliebe für schmusige Melodien, populäre Tänze und schmierige Phrasen. Diese Schrullen konnten auch Tristan Honsinger (cello) und Joe Williamson (b) nicht glätten. Ausbrüche in freie Improvisationen brachen die Grenzen dieser Walzer und anderer schöner Akkordwechsel auf. Sie hatten ob dieser virtuosen Absurditäten stets die Lacher auf ihrer Seite.

Sehr agil war mit seinen 76 Jahren immer noch Schlagzeuger Roy Haynes. Ursprünglich hatte er fürs Berliner Jazzfest „Birds of a Feather – A Tribute to Charlie Parker“ geplant, doch Saxophonist Kenny Garrett hatte sich einige Tage vor dem Konzert eine Hand verletzt. Für ihn sprang Antonio Hart ein. Das Programm wurde kurzfristig umgestellt.

Hardbop und andere lebhaft swingende Varianten des Modern Jazz begeisterten die Zuhörer, zumal Roy Haynes seine Kollegen Dave Kikoski (p) und Christian McBride (b) auf Trab hielt.
Besonders Antonio Hart konnte viele Sympathien mit intelligenten Soli erspielen. Roy Haynes‘ Showtalent und sein Charme und die prickelnde Musik dieses Ad Hoc Programms waren ein Glanzpunkt des diesjährigen Festivals.

Hans-Dieter Grünefeld

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