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nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 39
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz, Rock, Pop
Kapriolen und blühende Fantasie
Zum 33. Deutschen Jazzfestival Frankfurt
„Herrschaften! Bitte! Das geht doch alles von Ihrer Zeit
ab...“ Der Rotschopf, der wie ein etwas außer Kontrolle
geratenes Batterie-Männchen vor sich hinzuckt, versucht mit
einer Wegwerfbewegung den aufbrausenden Applaus zu unterdrücken.
Dann setzt er noch mal neu an. Das macht Mister Duracell alle paar
Sekunden.
Beim 33. Deutschen Jazzfestival Frankfurt übernahm Halbsatz-Champion
und Comedian Piet Klocke vor jedem Hauptkonzert mit dem weniger
wort- dafür aber äußerst tenorgewandten Fräulein
Kleinknecht alias Simone Sonnenschein und einem Sampler die Aufgabe,
der Artenvielfalt des Jazz in Theorie und Praxis gerecht zu werden.
Darüber hinaus fungierte der Meister des angebrochenen Satzgebildes
auch noch als Programmansager. „Heute Abend spielt ein gewisser
Pharaoh. Daran sehen wir: Jazz hält jung.“
Gut Lachen hatten die Programmgestalter des Deutschen Jazzfestivals
schon lange, bevor Klockes Körpermotorik und Sprachzentrum
in Frankfurt Amok liefen. Sechs Wochen im voraus war der große
Sendesaal des Hessischen Rundfunks an allen drei Festivaltagen ausverkauft.
Womöglich war es ein Special mit prominenten Tenorsaxophonisten,
das die Menschen an die Vorverkaufsstellen eilen ließ. Einer
der Repräsentanten dieses Instruments, Pharaoh Sanders, war
ursprünglich mit der äthiopischen Sängerin Gigi auf
die Programmzettel gesetzt worden. Die jedoch durfte nicht aus den
USA einreisen. Ihr Mann, der Studio-Zampano Bill Laswell, musste
nun ohne die Angetraute die Geschicke der bunt zusammengewürfelten
Band Material in die Hand nehmen, was ihm wie üblich nicht
gelang. Das diffuse Etwas, das phonreich über die Bühnenrampe
dröhnte, erweckte den Eindruck, dass dem falschen Ehepartner
das Visum verweigert wurde. Und Sanders gelang nur selten ein spirituelles
Leuchten. Ziemlich ziellos zeigte sich auch der sympathische Hüne
Jean-Paul Bourelly mit einem relativ grobschlächtigen Jam aus
Rock, Funk, Blues, über den Archie Shepp uninspiriert hinwegfiepte.
Von den über sechzigjährigen Tenoristen machte Gato Barbieri
den besten Eindruck, obwohl er unerträgliche Arroganz ausstrahlte.
Mit einem italienischen Quartett um Enrico Rava spielte er vitalen
Mainstream-Jazz, endlich mal weit weg von der üblichen Seichtigkeit
des Seins, die seine letzten Alben durchzog.
Punktsieger im Tenorschwerpunkt war Michael Brecker, der sich allein
auf die Bühne traute, großen Atem bewies, neben weiten
Bögen manche Kapriole schlug und seine Fantasie blühen
ließ. Die des Publikums war bei der Hausband gefordert: die
HR Big Band mit Stargast Ray Anderson integrierte Büro- und
Alltagsgeräusche in ihre pfiffigen Arrangements. Zwei absolute
Höhepunkte in Frankfurt: Aki Takase und Alexander von Schlippenbach
zeigten an zwei Flügeln, was eine gute Ehe ausmacht. Man bewahrt
sich seine Eigenheiten und geht trotzdem aufeinander ein. Und wie
sie das taten. Auch das D.R.A. Trio des Vibraphonisten Christopher
Dell war perfekt aufeinander abgestimmt. Erst nach drei Jahren intensiver
Probe ging es ins Studio und auf die Bühne. Nun hat das Trio
Tempovariationen und Akzentuierungen drauf, die aberwitzig abenteuerlich
sind. Im nächsten Jahr steht in Frankfurt die große Jubiläumsausgabe
des Deutschen Jazzfestivals an, das dann seit 50 Jahren über
die Bühne geht. Da wird dann hoffentlich etwas mehr Mut gezeigt,
denn ein Hang zu etablierten Namen, die eigentlich nicht mehr viel
versprechen, besteht in Frankfurt schon seit einiger Zeit.