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nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 16
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Portrait
Blindes Einverständnis, nicht aber pure Harmonie
Das Klavierduo Andreas Grau & Götz Schumacher will die
Sichtweisen auf das Alte wie auf das Neue verändern
Andreas Grau und Götz Schumacher, oft als Nachfolger der Brüder
Kontarsky bezeichnet, gehören zu den wenigen Klavierduos, die
sich im internationalen Konzertmarkt neben Katia und Marielle Labeque,
den Brüdern Paratore, Güher und Süher Pekinel oder
dem Duo Tal & Groethuysen profiliert haben. Seit über 20
Jahren spielen die beiden Pianisten zusammen, ihr Repertoire reicht
von Barock über Romantik bis zu Neuer und neuester Musik. Heute
gibt das Klavierduo rund 50 Konzerte im Jahr.
Kommunikation ist wichtig:
das Klavierduo Grau & Schumacher.
Foto: Kai Bienert
Viele gibt es nicht – die Anzahl der Formationen ist durchaus
überschaubar. Nicht einmal ein halbes Dutzend Klavierduos behauptet
sich auf dem internationalen Konzertmarkt mit dem gleichen Repertoire.
Mit dem gleichen Repertoire? Ist nicht das Klavierduo Andreas Grau
& Götz Schumacher ausschließlich mit Musik ab 1950
bekannt geworden? Bild und Wirklichkeit stimmen jedoch nicht überein.
Neue und neueste Musik ist nicht alles, auch wenn ihr Anteil im
Repertoire relativ hoch ist (etwa ein Drittel des Repertoires und
auch ein Drittel der bei Konzerten gespielten Werke ist Musik der
Nachkriegszeit).
Es begann eigentlich mit einem Missverständnis. Eine der
ersten CD-Einspielungen war Karlheinz Stockhausens „Mantra“,
und mit dieser CD war fürs Erste auch das Image festgelegt:
Seit „Mantra“ galt das junge Klavierduo als Spezialensemble
für zeitgenössiche Musik. Dieser Ruf eilte den beiden
Pianisten fortan voraus, wohl auch, weil andere Klavierduos sich
mit Neuer Musik nach wie vor nicht oder kaum beschäftigen.
Dabei wollten sie genau das – oder vielmehr: nur das –
nicht sein: die Spezialisten für das Neue. Barocke, klassische,
romantische Musik schlossen Grau und Schumacher nie aus. Die Frage
ist aber nicht, ob man Altes oder Neues spielt, sondern wie man
es präsentiert. Seit jeher versuchen sie, für jedes Konzert
eine überzeugende Dramaturgie zu entwickeln. Nur schöne
Stücke aneinanderzureihen, ist genauso wenig ihr Ziel wie Neue
Musik nur um ihrer selbst willen zu spielen. Spannend muss es werden,
Entwicklungslinien sollen aufgezeigt, Gegensätze dargestellt,
Perspektiven und damit vielleicht auch Sichtweisen verändert
werden, und zwar mit „alter“ wie mit „neuer“
Musik.
Dieser Wille zu ausgefeilten Konzertprogrammen mit kluger Dramaturgie
spiegelt sich auch in den CD-Einspielungen. Seit Jahren arbeiten
Grau und Schumacher mit Wulf Weinmann und seinem auf zeitgenössische
Musik spezialisierten Label „col legno“ zusammen. Dessen
neue Reihe „col legno / Edition“ kommt den beiden Pianisten
sehr entgegen, um sich einer breiten Öffentlichkeit nicht nur
mit zeitgenössischem Repertoire zu präsentieren. So entstand
zum Beispiel die CD „Ligeti – Schubert – Ligeti“,
zu Beginn des nächsten Jahres werden „mehrere kurze Walzer“,
ein Kaleidoskop von Walzerminiaturen von Brahms und Schubert bis
Hindemith und Rihm sowie „Kurtág – Bach –
Busoni“ erscheinen.
Gerade einmal 16 Jahre alt waren sie, als sie der gemeinsame Klavierlehrer
zusammenbrachte. Nach Studien in Dortmund, Frankfurt, Stuttgart
und Paris kamen erste Wettbewerbserfolge und Preise (unter anderem
der Preis des Deutschen Musikwettbewerbs inklusive Aufnahme in die
Konzerte junger Künstler), es kamen Stipendien, CD-Produktionen,
Konzerteinladungen – es begann eine Karriere, die man heute
nicht anders als erfolgreich bezeichnen kann. Das Klavierduo Andreas
Grau & Götz Schumacher ist gefragt, es spielt bei den größeren
Festivals (Schleswig-Holstein, Ludwigsburg, Berliner Festwochen,
Schwetzingen) wie auch bei den exquisiten kleineren Festivals (etwa
den Römerbad Musiktagen mit seinen ungewöhnlichen Programmen)
und es arbeitet mit Dirigenten von Gielen bis Pretre und Zagrosek
zusammen wie auch – selbstverständlich – mit Komponisten
wie Peter Eötvös oder Wolfgang Rihm.
Kommunikation ist wichtig. Auch und gerade in der Organisation.
Eine Agentur muss für Andreas Grau und Götz Schumacher
mehr sein als ein Verwalter von Terminen und Programmen. Ihre Erwartungen
sind dabei durchaus realistisch. Im besten Fall ist eine Agentur
ein vertrauensvoller Mittler zwischen Veranstalter und Künstler.
Bei Nitsche artists & projects wissen die Musiker sich auf einem
guten Platz und vestehen die Zusammenarbeit wie „ein kleines
Unternehmen, das eine ist die Kreativ-Abteilung, das andere ist
der Vertrieb, und der muss auch kreativ sein“.
Andreas Grau und Götz Schumacher verlassen sich nicht auf
althergebrachte Konzepte und den linearen Aufbau eines Konzertes,
das mit dem großen romantischen Werk nach der Pause endet.
Man kann variieren, man kann experimentieren, man kann kalkuliert
das Konzert zum Erlebnis werden lassen, dank einsichtiger und überzeugender
Programmplanung. Von einer Anbiederung an die Gebote der Event-Kultur
ist das jedoch weit entfernt. Das Publikum weiß durchaus gut
durchdachte, aber radikale und ungewöhnliche Angebote zu schätzen.
„Natürlich wollen wir mit unserer Arbeit auch provozieren.
Aber niemanden erschrecken oder gar verschrecken, wenn wir an den
Schluss eines Abends einmal Bernd Alois Zimmermann setzen oder etwas
ganz Stilles – eben nicht die gewohnte Schluss-Apotheose.
Es kann im Konzert so viel mehr geschehen als nur schöne Musik
zu hören. Es geht immer um etwas Neues. Erwartungen müssen
nicht immer bestätigt werden. Perspektiven können sich
verändern.“
Warum aber Klavierduo, warum keine Solo- oder Kammermusik-Karrieren?
Wohl war es eine Laune des Schicksals, das hier zwei Musiker zusammengebracht
hat, die solistische Engagements nicht ausschließen, die aber
ihren Weg gefunden haben, bei dem sie sich auf ideale Weise ergänzen.
Andreas Grau und Götz Schumacher bringen ihre Zusammenarbeit
auf eine bestechend einfache Formel: „Unser Ziel ist nicht,
Klavierduo zu spielen. Unser Ziel ist es, Musik zu machen.“
Kathrin Hauser-Schmolck
Auswahl-Diskografie
Karlheinz Stockhausen: Mantra. wergo 1995, WER 6267-2
Mehrere kurze Walzer von Schubert, Brahms, Grieg, Hindemith und
Rihm. col legno, Veröffentlichung 2003
Kurtág – Bach – Busoni. col legno, Veröffentlichung
2003