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VdM
nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 26
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Verband deutscher Musikschulen
Mit Musikschulen das Konzertpublikum sichern
Nachgedanken zur Frankfurter Studie „Konzertpublikum –
quo vadis?“
Wie Wolfgang Rihm kürzlich darlegte, ist die Beziehung der
jungen Leute zum musikalischen Kunstwerk nie selbstverständlich
gewesen (Musiktheorie 17/2002, Heft 2). Er findet es zudem problematisch,
den Erfolg von Hochkultur an den weitaus höheren Besucherzahlen
der Unterhaltungskultur zu messen. Kurz gesagt, hält Rihm den
Wind, der um das Verschwinden des Konzertpublikums gemacht wird,
für übertrieben.
Will man wissenschaftlich fundiert nachweisen, dass es bald kein
tragfähiges Publikum für die sogenannte klassische Musik
mehr geben wird, kommt man in Erklärungsnot. Empirische Studien
zur Publikumsforschung haben meist nur begrenzte Aussagekraft, sie
arbeiten mit ausgewählten Publika und spezifischen Erhebungsmethoden,
und eine repräsentative Studie über Einstellungen zum
klassischen Konzert in der Bundesrepublik gibt es nicht. Trotzdem
ist die Forschung an einzelnen Kulturstandorten notwendig und sinnvoll,
etwa zu den Fragen: Wie ist der Status quo wirklich? Was sind Interessen,
Wünsche, Erwartungen, Abneigungen des Publikums? Was ist zu
tun, wo ist zu beginnen?
Zu solchen Fragen haben in Frankfurt/Main das Institut für
Musikpädagogik der Universität (Prof. Dr. H. G. Bastian)
und der Hessische Rundfunk die Studie „Konzertpublikum –
quo vadis?“ (korrespondierender Autor: Dr. Gunter Kreutz)
durchgeführt. Es wurden Konzertpublika des RSO in Klassik-Abo-Konzerten
und der Reihe Forum Neue Musik befragt.
Früheren Untersuchungen zufolge steigt das Interesse an klassischer
Musik mit dem Lebensalter, besonders ab 50 Jahren, überproportional
stark an. Dass die musikalische Sozialisation in Kindheit und Jugend
von entscheidender Bedeutung ist, wird gleichwohl kaum in Frage
gestellt. Auch die Frankfurter Ergebnisse, die sich aus den Fragen
nach musikalischen und nichtmusikalischen Motivationen, nach musikalischer
Bildung und nach Primärerfahrungen mit klassischer Musik ergeben,
bestätigen dies eindeutig.
Die Frage ist interessant: An welchen Orten werden Heranwachsende
mit europäischer Musikkultur vertraut gemacht, und welches
Gewicht haben diese in der musikalischen Sozialisation? Ergänzungen
des Frankfurter Publikums zu dem Satz „Ich habe die Musik
für mich entdeckt durch...“ lieferten im Rahmen vorgegebener
Antwortmöglichkeiten folgende Ergebnisse (von häufiger
zu geringer Nennung): Musik im Radio – öffentliche Konzerte
– eigenes Musizieren – Schule – musizierende Familienmitglieder
– Musik im TV – musikalische Früherziehung –
Kindergarten.
Im Folgenden soll der jeweilige Rang von öffentlichem Konzert,
eigenem Musizieren und Schule kurz kommentiert werden.
Nahezu alle Befragten (94 Prozent) hatten vor dem 20. Lebensjahr
ihr erstes Konzerterlebnis. Dass die überwiegende Zahl der
im Abonnementkonzert Befragten bereits bei ihrem ersten Konzerterlebnis
klassische Musik hörte, legt den Schluss nahe, dass diese aus
eher klassisch-orientierten Elternhäusern kommen und dass eine
Anbindung an dieses Musikgenre nach dem 20. Lebensjahr womöglich
schwieriger wird. Dies zeigt die Wichtigkeit, frühzeitig Kontakte
zur klassischen Musik herzustellen.
Das eigene Musizieren – hier als Ergebnis der Arbeit von
Musikschulen aufgefasst – rangiert klar vor dem schulischen
Musikunterricht, der im Übrigen retrospektiv nur mit „befriedigend“
bewertet wird. Ein imponierender Anteil von etwa 75 Prozent aller
Befragten gab an, ein Musikinstrument erlernt zu haben, und 35Prozent
musizieren noch immer aktiv. Das Ergebnis unterstreicht die enorme
Wichtigkeit der Arbeit von Musikschulen für das Publikum der
Zukunft.
Der Ansatz vieler Ensembles, dem Ausbleiben von Publikum mit Veranstaltungen
für Heranwachsende zu begegnen, erweist sich gerade vor dem
Hintergrund der Frankfurter Ergebnisse als sinnvoll. Dabei geht
es weniger darum, möglichst bunte und bewegende Veranstaltungen
mit Musik durchzuführen, als darum, tatsächlich zur Musik
hinzuführen. In diesem Sinne gilt es möglichst viele an
der Förderung von Musikkultur Beteiligte vor Ort einzubeziehen:
Schulen und Musikpädagogen (vielleicht Konzertpädagogen),
Jugendämter, Eltern und andere. Besonders wichtig scheint es
aber zu sein, die Musikschulen und somit auch die jungen Musizierenden
als die vielleicht besten Vermittler von Musik mit im Boot zu haben,
um gleichaltrige (Noch-)Nichtmusiker von der Schönheit auch
klassischer Musik zu überzeugen.
Die Frankfurter Studie mahnt eine optimale Abstimmung aller Sozialisationsfaktoren
an. Es geht darum, Kräfte zu verbinden, Synergie-Effekte zu
nutzen und keinen der Grundpfeiler von Musikkultur zu vernachlässigen,
insbesondere nicht die Arbeit der Musikschulen.
Christoph Gotthardt (Mitautor im Team der Universität
Frankfurt)
Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse der Frankfurter
Studie „Konzertpublikum – Quo vadis?“ ist beim
DMR zur Veröffentlichung im MUSIKFORUM geplant.