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nmz-archiv
nmz 2002/12 | Seite 3-4
51. Jahrgang | Dez./Jan.
Zukunftswerkstatt
Sanierungs-Ziel: erstarkter effizienter Musikrat
Der Insolvenzverwalter des Deutschen Musikrates, Ludger Westrick,
im Gespräch mit Theo Geißler
Noch hängt der Patient am Tropf, aber die Prognose ist verhalten
optimistisch: Zwar befindet sich der Deutsche Musikrat mitten im
risikoreichen Prozess eines Insolvenzverfahrens, aber es stehen
Wege in die Zukunft offen. Im folgenden nmz-Gespräch sagt der
Bonner Wirtschaftsprüfer und Anwalt Ludger Westrick klärende
Worte zu Gründen und Konsequenzen der Insolvenz. Er räumt
mit Dolchstoß- und Rettungs-Legenden auf und liefert realistische
Perspektiven.
neue musikzeitung: Herr Westrick, Sie sind zurzeit der mächtigste
Mann des deutschen Musiklebens. Was haben Sie persönlich mit
Musik am Hut?
Ludger Westrick: Ich spiele schlecht Klarinette, bin ein
Musikamateur und kannte den Musikrat nur dem Namen nach als eine
ehrwürdige deutsche Kulturinstitution.
nmz: Der Deutsche Musikrat liegt bei Ihnen auf der wirtschaftlichen
Intensivstation. Aus Laiensicht bedeutet die Pleite einer Firma,
um im Bild zu bleiben, meist den Weg ins Krematorium. Was bedeutet
heutzutage eine Insolvenz auch unter dem Aspekt, dass das Insolvenzrecht
ja kürzlich neu geordnet wurde?
Ludger Westrick wurde in
Berlin geboren. Nach einer Banklehre und Lehr- und Wanderjahren
durch die internationale Bankenwelt (Spanien, Belgien, Frankreich,
England, Amerika) schloss er 1969 sein Jurastudium in Köln
ab und ließ sich 1972 als Anwalt mit Schwerpunkt auf
Wirtschaftsrecht in Bonn nieder, seit 1982 ist er Wirtschaftsprüfer.
Foto: privat
Westrick: Seit 1999 gibt es eine Insolvenzordnung die den
Erhalt des Rechtsträgers neben die Liquidation zur Wahl der
Gläubiger stellt. Geschehen soll das, was für die Gläubiger
den meisten Sinn macht. Übersetzt auf den DMR heißt das:
die Gläubiger werden zu entscheiden haben, ob die Existenz
des DMR ihren Interessen mehr als seine Zerschlagung dient. Dabei
wird nicht so sehr die zu erwirtschaftende Quote, also das was die
Gläubiger auf ihre jeweiligen Forderungen zu erwarten haben,
im Vordergrund stehen, weil ein Verein, der nach dem Zuwendungsrecht
auf Fehlbedarf-Finanzierung ausgerichtet ist, eben keine Gewinne
erzielt und deshalb nichts für die Altschulden übrigbehalten
darf. Es wird vielmehr darum gehen, ob die Leistungen, die der DMR
erbringt, einen Sinn machen.
nmz: Damit haben Sie gerade einen gewissen Unterschied charakterisiert,
der den Deutschen Musikrat als nicht gewinnorientierten Verband
von gängigen Wirtschaftsbetrieben unterschei-det. Gibt es noch
andere Unterschiede zu „üblichen“ Konkursunternehmen?
Westrick: Sie haben ganz richtig gesagt: es gibt Profit-
und Non-Profit-Organisationen. Auch Non-Profit-Organisationen, wenn
sie die entsprechende Rechtsform haben, können Pleite machen.
Das ist heute kein Einzelfall mehr. Der DMR gehört zu den Non-Profit-Organisationen.
Was ihn nun auszeichnet, ist eine breite Mitgliederbasis. Viele
Vereine, die Non-Profit-Organisationen und so eigentlich die verlängerte
Werkbank der Öffentlichen Hand sind, beispielsweise Sozialvereine,
die irgendeine Aufgabe für das Sozialamt der Kommune übernehmen,
haben praktisch keine Mitglieder oder nur solche, die sich nicht
bemerkbar machen. Das ist ganz anders beim DMR – hier gibt
es eine breite Verankerung im deutschen Musikleben.
nmz: Was halten Sie von der bisherigen Finanzierungsform
des Musikrates, sprich der Fehlbedarfsfinanzierung? Ist das nicht
generell problematisch?
Westrick: Das ist sehr problematisch, weil man beispielsweise
bei einem Musikwettbewerb ja nicht punktgenau planen kann und weil
die jedem Menschen innewohnenden ökonomischen Kräfte durch
solche Fehlbetragsfinanzierungen gelähmt werden. Ich würde
eine Festbetragsfinanzierung vorziehen. Diese würde auch den
Prüfaufwand für die Zuwendungsgeber verringern und eben
die ökonomischen Kräfte im Verein stärken, erstens
um Spenden von Dritten einzuwerben und zweitens um mit dem zur Verfügung
gestellten Geld wirtschaftlich umzugehen.
nmz: Jede Insolvenz hat ja Ursachen. Sie haben das sicher
analysiert. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Gründe?
Westrick: Es gibt zwei wesentliche Gründe. Das eine
ist eine Verlustbaustelle im Bereich des Bundesjugendorchesters.
Diese Baustelle ist schlicht aus dem Ruder gelaufen, und wir gehen
der Frage nach, wie sie entstanden ist. Dies hängt auch mit
den mangelnden Steuerungsinstrumenten zusammen – der DMR verfügte
bis zum 11. November dieses Jahres nicht über eine funktionierende
Buchhaltung, sondern über viele interessante, aber eben keinen
Überblick gewährende Einzelaufschreibungen. Es gab drei
Buchhaltungen, die nach unterschiedlichen Systemen geführt,
projektweise angelegt waren, und niemandem, nicht einmal dem Präsidium,
Überblick gewährten. Der zweite Grund sind die Rückforderungsbescheide,
welche die Öffentliche Hand unter Zugrundelegung der Bundeshaushaltsordnung
seit vielen Jahren erließ und teilweise zum Anlass genommen
hat, neue Fehlbetragsfinanzierungen um die dabei festgestellten
Beträge zu kürzen. Das ist eine sehr problematische Form
der öffentlichen Finanzierung. Wir werden uns dies im Einzelnen
ansehen.
Die Prüfer sind momentan im Hause, und ich habe alle um ein
Abschlussgespräch gebeten, damit wir daraus die Fehlerquellen
erkennen und in Zukunft ausschalten können. Wenn jemand am
Boden liegt, ist er natürlich zunächst aufgerufen, die
Fehler bei sich selber zu suchen, ich schließe aber nicht
aus, dass es auch sinnvollere, effizientere, ökonomischere
und letztendlich die öffentlichen Mittel sparendere Formen
der Finanzierung gibt. Ich befinde mich bereits mit den Zuwendungsgebern
und auch mit den Abgeordneten im intensiven Gespräch, damit
solche Finanzierungsformen entwickelt werden können.
nmz: Die geldgebenden Ministerien waren in die Finanzverwaltung
des Musikrates ja sehr eng eingebunden. Wie kann es sein, dass der
dort zu vermutende Sachverstand nicht früher die Alarmglocke
läuten ließ?
Westrick: Das kann man hinterher immer sagen. Allerdings
muss man den Verantwortlichen zugute halten, dass sie eben nur projektweise
geprüft haben und dass niemand den Gesamtüberblick hatte,
weder bei den Zuwendungsgebern noch bei den jeweiligen Projektverantwortlichen
im Musikrat. Wir haben jetzt mit den Geschäftsführern
der einzelnen Projekte diese durchgerechnet, um zunächst einmal
einen Überblick für die letzten beiden Monate des Jahres
zu gewinnen, und dabei Aha-Erlebnisse der Betroffenen erlebt. So
sollte es nicht sein. Ab sofort wird jeder Geschäftsführer
genau wissen, wo er steht. Er wird sein Bankkonto kennen, er wird
die noch abzurufenden Mittel und die noch zu leistenden Ausgaben
kennen und beides miteinander vergleichen können. Diese Arbeit
zu leisten, ist der Insolvenzverwalter angetreten, und ich denke,
wenn wir uns zur Gläubigerversammlung treffen, dann haben wir
schon ein ordentliches Rechnungslegungswerk, und diese Fehler liegen
hinter uns.
nmz: Was Sie schildern, klingt nach jahrelangem groben Missmanagement,
den man sich in einem normalen Wirtschaftsbetrieb gar nicht so lange
leisten hätte können. Ist diese Diagnose richtig?
Westrick: Ja.
nmz: Kultur und Geld sind nicht immer friedliche Geschwister.
Liegt in diesem Spannungsfeld für Sie eine besondere Herausforderung?
Westrick: Ja. Ich denke dass auch ein Kulturmanagement
ökonomische Gesetze zu beachten hat – nicht anders als
ein Krankenhausmanagement oder das Management einer Bibliothek.
Es gibt da ganz einfache Prinzipien, die es einzuhalten gilt und
deren Vernachlässigung unweigerlich in Blindflügen und
Bauchlandungen endet.
nmz: Trotzdem lassen Ihre Antworten erkennen, dass Sie den
Musikrat – wie auch immer – für eine erhaltenswerte
Institution halten. Wie kann das funktionieren?
Westrick: Niemand wird den Musikrat zertrampeln, weil er
keine ordentliche Buchhaltung hatte. Die Antwort heißt: ihm
eine solche an die Hand zu geben. Und nicht nur eine Buchhaltung
sondern auch ein ordentliches kaufmännisches Management, für
das Buchhaltung nur ein Instrument ist. Ich habe, da ich nun von
außen an diese altehrwürdige Institution herantrete,
eine Strukturkommission berufen, die bis Ende Januar Vorschläge
machen soll, wie die künftige Struktur aussehen soll. Und wenn
ich Struktur sage, dann meine ich die innere Organisation und die
Rechtsform. Mit der Änderung der Rechtsform allein ist natürlich
gar nichts getan. Weil es hervorragend geführte Vereine und
schlampige Aktiengesellschaften gibt, würde jetzt das bloße
Überstülpen einer neuen Rechtsform an den Problemen des
DMR nichts ändern. Ich habe mir Kenner der Szene ausgesucht
und möchte Interessen und Vorschläge würdigen, um
danach dann der Mitgliederversammlung einen Organisationsvorschlag
zu unterbreiten. Die Mitgliederversammlung wird am 14. Februar stattfinden
– und dann hoffentlich diesen Vorschlägen folgen. Gleichzeitig
hat ja das Präsidium angekündigt, eine Neuwahl zu ermöglichen.
Ich halte das auch für eine vernünftige Haltung, damit
der DMR jetzt nicht kopf- und präsidiumslos dahinschlingert.
Ich bin ja nicht – und erst recht im Augenblick noch nicht
– der starke Mann, sondern augenblicklich vorläufiger,
und die Fachleute sagen, schwacher Verwalter. Ich kann derzeit nicht
alleine verfügen, ich kann nur Verfügungen verhindern,
und bereite natürlich eine Option für die Gläubiger
vor, die den Erhalt des DMR ermöglichen.
nmz: Franz Müller-Heuser als Präsident hat seine
Wiederwahl ausgeschlossen.
Westrick: Ja. Das habe ich gehört und achte seine Entscheidung.
Sie wird den Weg für eine neue Struktur frei machen.
nmz: Als Insolvenzverwalter sind Sie dennoch im Moment der
Herr des Geschehens. Wieviel Mitspracherecht haben denn überhaupt
noch das Präsidium, der Generalsekretär und die Mitglieder?
Westrick: Organisationsrechtlich sind sie autonom. In der
Verfügung über die Vermögensgegenstände sind
sie allerdings an die Zustimmung des vorläufigen Verwalters
gebunden. Der Verwalter gibt keine neue Satzung, er kann allenfalls
einen Vorschlag dafür ausarbeiten. Ob der angenommen wird,
ist allein Angelegenheit der Mitgliederversammlung. Die Gläubigerversammlung
wird dann zu entscheiden haben, und damit rechne ich frühestens
Mitte März, ob dem so ertüchtigten Verein der Fortbestand
gewährt wird oder nicht. Sie sehen, das ist ein Dreieck zwischen
den Gläubigern, den Mitgliedern und dem Insolvenzverwalter.
nmz: Dieses Dreieck ist ja auch Spannungs- und ein Interessenfeld,
dem Sie als Insolvenzverwalter letztlich die prägende Form
geben. Sie werden gewissermaßen die Winkel des Dreiecks und
damit die Größe des vorhandenen Handlungsfeldes dank
Ihres Sachverstandes mitdefinieren. Welche Form könnte eine
solche neue Struktur denn haben?
Westrick: Ich möchte nicht mit fertigen Ergebnissen
in die Strukturkommission gehen. Ich bin selber Lernender in diesem
Prozess. Ich kann nur einen Vorschlag formulieren, wenn ich einmal
erkannt habe, wie die Interessen liegen und welche Funktion der
DMR zu erfüllen hat. Dann kann man die passende Struktur dazu
stricken – wobei wir großen Bedacht darauf haben müssen,
dass der DMR über eine breite und tiefe Mitgliedschaftsordnung
verfügt, aus der er sehr viel Kompetenz und Sachverstand schöpft.
Und es gilt, dies jetzt nicht durch unbedachte schnelle Federstriche
zu gefährden.
nmz: Nun gibt es Gruppierungen, die laut darüber nachdenken,
aus den erfolgreichen Projekten des Musikrates selbstständige
Profit-Center zu entwickeln. Oder diese erfolgreichen Projekte des
Musikrates selbsternannten oder tatsächlich kompetenten Einzelverbänden
zuzuordnen. Das alles sind Überlegungen, die einer Zerschlagung
des Musikrates gleich- oder nahekämen.
Westrick: Bei jeder Insolvenz stehen die Wettbewerber am
Zaun und machen Angebote für die Rosinen im Kuchen, Angebote
an die Kundschaft, Angebote an die Belegschaft, das gilt auch für
den DMR. Ich bin mir mit dem Generalsekretär und den Geschäftsführern
darüber einig, dass es entweder den Musikrat in seiner bisherigen
Breite, was die Projekte angeht, geben wird oder keinen Musikrat.
Wir werden uns jetzt nicht einige Bereiche herausbrechen lassen.
Im Gegenteil – wir müssen sehen, dass wir weiße
Flecken besetzen, ich nenne nur die Popularmusik, die eben auch
zur deutschen Musikwirklichkeit gehören und für die der
Musikrat steht. Das Inhaltliche ist natürlich nicht Angelegenheit
des Insolvenzverwalters, aber die Struktur muss so breit angelegt
sein, dass der Musikrat die ganze Musik umfasst.
nmz: Eine Sanierung bedeutet ja auch immer harte Schnitte,
vor allem im Personalbereich. Wie grausam muss der Sanierer des
Musikrates sein?
Westrick: Er muss sachlich sein. Jeder muss sich gefallen
lassen, dass sein Beitrag zum DMR auf den Prüfstand kommt –
vom Präsidenten bis zum Buchhalter.
nmz: Unsere Staatsministerin für Kultur und Medien,
Christina Weiss, ließ neulich in einer Sitzung des Kulturausschusses
des Deutschen Bundestages durchblicken, dass sich der Staat gern
einen stärkeren Einfluss auf die Arbeit des DMR einräumen
würde. Was halten Sie von solcher politischer Einflussnahme?
Westrick: Ich denke der DMR hat eine dienende Funktion.
Der Staat ist größter Kunde. Einen Kunden behandelt man
mit äußerster Zuvorkommenheit. Man tut aber gut daran,
selbst für Ordnung im Hause zu sorgen und sich diese nicht
vom Kunden vorschreiben zu lassen. Ich darf das beispielsweise mal
für meine Kanzlei sagen: Ich bemühe mich, meinen insolventen
und nicht-insolventen Kunden eine ordentliche Dienstleistung zu
bieten. Wer die aber von meinen Mitarbeitern und Kollegen erbringt
und mit welchen personellen und sachlichen Mitteln wir arbeiten,
das muss die Kanzlei entscheiden und nicht der Kunde.
nmz: Es geht noch immer das Gerücht, der DMR sei bei
einer überschaubaren Schuldensumme von 500.000 Euro durchaus
sanierbar gewesen. Warum wurde dieser Rettungsweg nicht konsequent
beschritten?
Westrick: Der Schuldenberg ist größer. Wir liegen
heute bei unbezahlten Rechnungen von ungefähr 900.000 Euro
und das wird sich noch um die Zuwendungs-Rückforderungen erhöhen.
Ich glaube nicht, dass es ein guter Gedanke wäre, einfach diese
Schulden zu bezahlen und dann weiter zu machen wie bisher. Die Schulden
sind ja nur, wie das Fieber eines Patienten, ein Indiz für
einen Entzündungsherd. Den gilt es jetzt auszumachen, zu beseitigen
und einen Heilungsprozess einzuleiten. Dazu sind wir schon unterwegs
und haben schon ein paar entscheidende Schnitte vorgenommen.
nmz: Signalisieren die Zuwendungsgeber denn die Bereitschaft,
im Falle einer Sanierung vernünftig zu kooperieren?
Westrick: Ja. Wir haben mit den Zuwendungsgebern ein erstes
Gespräch gehabt. Wir sind dann zehn Tage lang in die Zahlen
eingestiegen und haben danach die Erklärung abgegeben: Wenn
die gesperrten Mittel frei werden, können unter Berücksichtigung
der übrigen Liquiditäten die jetzt noch entstehenden Ausgaben
in allen Programmen bezahlt werden, natürlich nicht die etwa
900.000 Euro Verbindlichkeiten. Das sind Insolvenzverbindlichkeiten.
Die müssen beim Verwalter angemeldet werden und werden mit
der Quote bedient.
nmz: Ist denn absehbar, dass die Projekte des Musikrates
weiterarbeiten können, denn im Moment wirkt alles sehr blockiert?
Westrick: Soeben haben Zuwendungsgeber erklärt, die
gesperrten Mittel für die Projekte des Musikrates frei zu geben.
Das sichert aktuell deren Fortbestand. Und es gibt darüber
hinaus Signale, dass im Bundeshaushalt 2003 selbstverständlich
noch mit Parlamentsvorbehalt, Mittel für den DMR eingestellt
sind. Wir müssen jetzt unsere Projekte für 2003 durchrechnen,
damit wir neue Verluste aus der Durchführung unserer Projekte
vermeiden können.
nmz: Ein weiteres Gerücht spekuliert, die Kosten für
die Insolvenzabwicklung lägen höher als die Schuldensumme
des Musikrates. Was ist da dran, und wo wäre da die wirtschaftliche
Vernunft?
Westrick: Da übertreiben die Vorstellungen der Gerüchtemacher
die Realität. Ich kann Ihnen augenblicklich nicht sagen, was
für eine Bezahlung für den Insolvenzverwalter am Ende
herausschaut. Das weiß ein Insolvenzverwalter am Anfang nie
– weil eben erst am Ende abgerechnet wird. Wenn wir mal auf
ungefähr zwei Millionen Euro Schulden schauen, dann schiene
mir das eine zu hohe Vergütung, trotz des sicherlich hohen
Einsatzes, den meine Mitarbeiter und ich augenblicklich fahren müssen,
um dieses Schiff aus den gefährlichen Klippen zu steuern.
nmz: Was geschieht mit den Ansprüchen der Geförderten
und den Auslagen und Entschädigungen der Förderer des
DMR, die in ihrer Existenz gefährdet sind, deren finanzielle
Einbußen andererseits ganz erheblich an der Glaubwürdigkeit,
ja am Bestand des DMR nagen würden?
Westrick: Ich denke, dass wir einen so genannten Insolvenzplan
erstellen sollen. Das ist ein Instrument der neuen Insolvenzordnung,
in der man ei-ne kollektive Vereinbarung zwischen Schuldnern und
Gläubigern vom Gericht bestätigen lassen kann, durch die
Folgendes erreicht wird: Aufteilung der Gläubiger in Gruppen,
unterschiedliche Befriedigung. Beispielsweise: Geförderte des
Musikrats erhalten eine höhere Quote.
nmz: Wer soll das bezahlen?
Westrick: Dazu haben der Generalsekretär, die Geschäftsführer
und ich uns einfallen lassen, Spenden einzuwerben. Jeder Betrag
ist willkommen und wird dem Verwalter auf einem Sonderkonto zur
Verfügung gestellt. Aus diesen Spenden und aus dem Zurücktreten
der übrigen Gläubiger könnten dann zum Beispiel die
Musikanten und die anderen Geförderten besser behandelt werden.
Ein solcher Insolvenzplan hat im Übrigen die schöne Automatik,
dass alle Forderungen, die plangemäß nicht bedient werden,
erlassen sind. Damit haben wir dann die Entschuldung, und die ist,
wenn wir unsere Gemeinnützigkeit nicht verlieren – und
darum bemühen wir uns beim zuständigen Finanzamt –
steuerfrei. Dann ist der Verein auch finanziell saniert. Dann haben
wir die ordentliche Organisation und die finanzielle Entschuldung,
und dann kann sich der Musikrat weitere 50 Jahre um die deutsche
Musik kümmern.
nmz: Herr Westrick, Sie haben sich eingangs ja als Außenstehenden
bezeichnet, der den DMR als ehrwürdige Institution von Ferne
kennen gelernt hat. Jetzt sind Sie in dieses Schiff eingestiegen
und haben das Steuerruder übernommen. Wo sehen Sie die besondere
Qualität des Musikrates, worin liegt seine gesellschaftliche
Bedeutung, die seine Fortexistenz aus der Sicht des Insolvenzverwalters
rechtfertigt?
Westrick: Das hohe Engagement der Mitarbeiter. Hier herrscht
eine gute Stimmung. Die Qualität liegt in den Programmen, die
Qualität liegt in der Mitgliederstruktur und in der Mitarbeit
der Ehrenamtlichen, und aus all dem leitet sich trotz aller ja vielen
altehrwürdigen Institutionen innewohnenden Schwächen in
der Organisation ein hohes Ansehen ab, das jetzt zu zertrampeln
einfach grottenfalsch wäre.
nmz: Werden denn die Ehrenamtlichen in einer sich möglicherweise
stärker professionalisierenden Organisationsform weiter ihren
Platz haben?
Westrick: Ich denke, wir haben es mit ehrenamtlichen Profis
zu tun. Die – jeder für seinen Bereich – in Anspruch
nehmen dürfen, zur nationalen oder gar Weltspitze zu gehören.
Und diese müssten eigentlich froh darum sein, dass sich der
Deutsche Musikrat nun in der Krise ertüchtigt. Sie dürften
gern mit diesem effizienteren Musikrat weiterarbeiten.
nmz: Wir haben unser Gespräch ja etwas medizinisch
begonnen, mit Bildern aus dem Krankenhaus, aus der Intensivstation.
Sie sind nun einmal der Chefarzt – Ihre Prognose, bitte.
Westrick: Mein Wunsch ist es, dass wir nach der Gläubigerversammlung
einen sanierten, ertüchtigten und effizienten DMR mit einem
breiten Angebot aus der Krise entlassen können, und ich glaube,
dass diesem Wunsch eine große Chance innewohnt. Ich verhehle
nicht, dass die Risikolage und die Krise noch nicht überstanden
sind.
Spenden weiterhin erwünscht
Die nmz bedankt sich bei Ludger Westrick für allerhand
Klartext. Wie gesagt: Spenden sind herzlich willkommen. Sie werden
dazu dienen, existenzgefährdende Forderungsausfälle
für Künstler und Veranstalter so weit wie möglich
abzufedern. Bitte senden Sie Ihre Spendenzusage direkt an den
Deutschen Musikrat.
Der veröffentlicht die aktuelle Spenderliste zusammen mit
aktuellen Informationen zur Insolvenz-Situation auf seinen Internetseiten: http://www.musikrat.de/aktuelles.htm
Tagesaktuelle Informationen und Kommentare finden Sie unter: http://www.nmz.de/kiz/
dem Kulturinformationszentrum der nmz und des Deutschen Kulturrates.
Und noch eine gute Nachricht zum Schluss: Der Spendenbetrag
aus den die Produktionskosten übersteigenden Anzeigenerlösen
der nmz-Sonderausgabe beträgt 11.220 Euro. Alle Mitarbeiter
der ConBrio-Verlagsgesellschaft haben auf die Erstattung von 217,
teils am Wochenende geleisteten Überstunden verzichtet.