[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 49
52. Jahrgang | April
Feature-Cluster
Cluster - Marketing statt Kultur
„Marketing ist aktives Bearbeiten des Marktes unter ständiger
Anpassung des Betriebes an den Markt und dessen Bedürfnisse“,
schreibt Thomas
Lütke. Ganz schön Wischiwaschi, nicht wahr? Anpassung,
aktives Bearbeiten, ja was denn nun? Und vor allem, was bitte hat
das mit Kultur zu tun?
Musikmarketing ist ein industrieller Umgang mit Kultur, welche
im historischen Prozess eigentlich nicht nach „Markt“ geht
sondern nach Aufklärung und Herstellung von Öffentlichkeit.
Fragen der Aufklärung scheinen jedoch im Zeitalter der totalen
Marketingisierung obsolet. „Deutschland sucht den Superstar“ von
RTL ist ein absoluter Marketingerfolg. Man muss sich jedoch fragen,
was zum Beispiel „Deutschland sucht den Superstar“ überhaupt
mit dem Begriff der Kultur im emphatischen Sinne, speziell der
Musikkultur zu tun hat. Antwort: Nichts, es sei denn man fasse
unter diesen Begriff nur die Arbeit einer Kulturindustrie. Schon
in den 50er Jahren unkte der amerikanische Soziologe David Riesman: „heute
ist der zukünftige Beruf jedes Kindes der des gelernten Verbrauchers.“
Gut, man mag dem entgegenhalten: „Lass’ uns doch in Ruhe mit diesem
altmodischen Aufklärungsgefasel. Hier geht es um Marketing, wie es funktioniert
und wie man es anwenden soll. Lass’ uns in Ruhe mit Miesmachern wie Kant,
Hegel, Adorno und Habermas. Unsere Philosophen heißen Umsatz, Absatz, Rendite
und Gewinn. Und in diesem Rahmen verhält sich auch Musik nicht anders als
Schweinefleisch oder Waschmittel. Wir vermarke-ticken eben keine Musikkultur
sondern Musikprodukte. Uns geht es nicht um die Zukunft von Kultur sondern um
die Zukunft unseres Absatzes von Kulturprodukten. Da beißt die Maus keinen
Faden ab.“ Ja, soweit ist es gekommen. So wirbt der Verband der phonographischen
Industrie ohne mit dem Gehirn zu zucken mit dem Slogan: „Kopiergeschützte
Musik-CDs entsprechen den Kundeninteressen.“ Das ist ja so, als ob die
Waschmittelhersteller behaupten würden, dass schmutzige Wäsche den
Kundeninteressen entsprechen würde. Marketing? Oder doch nur Blödsinn?
Einmal ernsthaft: Wo Kultur nur noch im Raster von Kunde und
Verkäufer aufgefasst
wird und der Kunde als rein passives Glied in diesem Raster angesehen wird, da
verliert der Begriff der Kultur seine Würde. Wie sagte doch der Königsberger
Philosoph Immanuel Kant: „Würde ist das, was keinen Preis hat.“ Auch
Musikkultur ist kein Verbrauchsgegenstand, sondern ein Gut, das einer ständigen
aktiven Auseinandersetzung bedarf. Mit anderen Worten: Kultur ist Herstellung
von selbstdenkenden und selbstfühlenden, eben autonomen Subjekten. Und mit
denen lässt sich nunmal schwer ins Geschäft kommen, die lassen sich
nicht so einfach auf bloßen Konsum trainieren.
Martin Hufner
Die Sendung liegt auch im Real-Audio-Format ungekürzt zum
Nachhören auf den Seiten von taktlos.
Und hier finden sie Ausschnitte
aus den Diskussionen in "taktlos".