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Ausgabe 2003/04
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nmz 2003/04 | Seite 5
52. Jahrgang | April
Feature

Musik für den Markt entwerfen oder Märkte für die Musik

„taktlos“, das Musikmagazin des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung zum Thema „Musikmarketing“

Die Gäste von „taktlos“ (v.li.): Daniela Geißler (Event Marketing RTL II), Bernhard Pfau (Schott Musikverlag), Alfred Wendel (Klavier Festival Ruhr), Dieter Weidenfeld (idkv), Gerhard Gladitsch (Musikmesse). Mit Kopfhörern: Moderator Theo Geißler (nmz/Bayerischer Rundfunk). Foto Charlotte Oswald

In der Musikbranche wird allgemein über eine „Krise” geklagt. Das betrifft den Veranstaltungsbereich ebenso wie CD-Labels und Musikverlage. Wer vermittelt heute zeitgemäß Musik? Welche Konzertformen locken die Menschen noch hinter den Medien hervor? Wofür sind Musikinteressierte heute bereit, Geld auszugeben? Welche Rolle spielen im Bereich der Musikvermarktung Verlage, Agenturen und Veranstalter? Dies sind Fragen, die mit Vertretern der verschiedenen Sparten in der taktlos-Sendung auf der Frankfurter Musikmesse diskutiert wurden.

Theo Geißler: Herr Gladitsch, früher galt, dass der getätigte Umsatz letztlich den Messeerfolg definierte. Heute misst man den Messeerfolg an Kundenkontakten, an dem Erfolg der eigenen Präsenz. Hat sich die Musikmesse weg vom schlichten „point of sale“ zu einem Marketing-Tool entwickelt?

Gerhard Gladitsch: Zunächst sollten wir uns von der marketing-sprachlichen Rabulistik verabschieden. Natürlich bleibt eine Musikmesse wie die hier in Frankfurt eine Ordermesse. Aber es gibt auch andere Ansätze. Stellen Sie sich vor, Sie kommen auf eine Messe in Paris, wo Flugzeuge verkauft werden. Da kommt doch nicht eben ein Käufer vorbei und sagt: „Mensch, die 747 gefällt mir. Gut, gib mir mal zehn.“ Es ist etwas vorbereitet worden und dieses gilt natürlich für die Musikmesse auch. Man informiert sich im Vorfeld. Es werden auch hier Verkaufsgespräche vorbereitet und gegebenenfalls die Veranstaltung als Informationsplattform genommen.

Geißler: Herr Weidenfeld, heute wird ein Musen-besessener Konzertimpresario beinahe zwangsläufig zum Marketing-Fachmann. Wie wichtig ist heute denn noch die Musik für ein Konzert?

Dieter Weidenfeld: Die Musik ist immer noch der Kern der ganzen
Geschichte. Marketing kann eine schlechte Musik oder nicht marktgerechte Musik nicht transportieren. Es stimmt: Das Musikgeschäft hat nachgelassen, die Schallplattenfirmen haben in den letzten fünf Jahren etwa 30 Prozent Umsatzrückgang.

Geißler: Wie ist es bei den Konzertveranstaltern?

Weidenfeld: Da wir in Symbiose mit der Schallplattenindustrie leben, merken wir das auch. Außerdem: Die ganze Wirtschaftslage ist schlecht geworden. Natürlich merkt man das an der Konzertkasse.

Geißler: Herr Wendel, wie viel geben Sie prozentual betrachtet noch für Künstler aus und wie viel für die Bekanntmachung Ihrer Konzerte?

Alfred Wendel: Der Löwenanteil des Budgets geht selbstverständlich in die Honorare und deshalb bleibt am Ende nicht mehr viel übrig für die Werbung. Darin besteht unser Problem und auch das Kunststück, eben mit wenig Mitteln echtes Marketing zu machen. Dabei ist das entscheidende, besonders Zielgruppen-spezifisch zu arbeiten. Das funktioniert auch in aller Regel ganz gut. Aber: In unserem wunderbaren Ruhrgebiet, wo es etwa unser Klavierfestival Ruhr seit 15 Jahren gibt, findet derzeit eine große Zunahme an hochkarätigen Veranstaltungen statt und wir buhlen alle um dasselbe Publikum. Insofern findet dort langsam ein Verdrängungswettbewerb statt und das bedeutet: Wir müssen neue Marketinginstrumente entwickeln, die uns einfach ein ganz neues Publikum zuführen.

Geißler: Gibt es dieses ganz neue Publikum überhaupt?

Wendel: Ich gehe davon aus, dass das neue Publikum alle die sind, die nicht bei uns in den Konzertsälen sitzen. Das sind bei uns in der Klassik maximal zehn Prozent der gesamten Bevölkerung. Und alle, die draußen sind wollen wir auch gerne drinnen haben!

Geißler: Herr Pfau, der Schottverlag verlegt eine ganze Anzahl namhafter Tonsetzer. Auf der anderen Seite bringen Sie auch ein Buch raus: „Wie werde ich ein Superstar?“ Ist das heutzutage eine ganz natürliche Brücke zwischen ehemals getrennten Welten, die sich da in ihrem breiten Programm auftut?

Bernhard Pfau: Ich möchte die Frage so beantworten: Wir sind ein Musikverlag mit einer sehr breiten Palette von Aktivitäten. Wir haben ein Buchprogramm, das haben Sie ja gerade angesprochen, wir haben Musikzeitschriften, wir haben ein eigenes Schallplatten-Label und wir haben Kerngeschäfte. Das sind die Noten, die die Professionellen und die Amateurmusiker im Laden kaufen können und außerdem zahlreiche große Bühnen- und Konzertwerke des 20. und 21. Jahrhunderts. Insofern ist ein Buch mit dem Titel, den Sie eben genannt haben, eine Reaktion auf ein aktuelles Thema, während das große Verlagsgeschäft sich natürlich auf anderen Bahnen bewegt.

Geißler: Wo wären denn solche Events wie „The Dome“ oder Stars wie Bro´Sis oder NoAngels heute, wenn es das Marketing nicht gäbe?

Daniela Geißler: Wir als RTL II-Fernsehsender bieten eine Plattform, die sicher mit einer der größten Acts ist, Künstler wie NoAngels und Bro´Sis hervorzubringen. Wir greifen dort natürlich auf die Zusammenarbeit von Plattenfirmen, Produzenten und dergleichen zurück und versuchen, die Kernkompetenzen zu bündeln.

Geißler: Das heißt, das ist ein ganzes Marketing-Geflecht, das da wirksam wird, um so einen einzelnen Künstler nach vorne zu pushen?

Daniela Geißler: Ganz sicher. Wenn man zum Beispiel den „Dome“ nimmt: das ist mehr oder weniger eine Trilogie zwischen einem Event, einer Fernsehsendung und einer CD, die noch dazu vermarktet wird.

Geißler: Herr Wendel, sind diese Marketing-Tools wie sie RTL II einsetzt, übertragbar auf Konzertreihen, die unter Besucherschwund leiden oder auf Verlagsprogramme, die ja auch auf Awareness angewiesen sind?

Wendel: Ja, wir sollten mal bei RTL II in die Schule gehen. Vielleicht können wir da was abgucken. Denn, wenn wir neues Publikum ansprechen wollen, und das brauchen wir, dann müssen wir neue Instrumente tatsächlich erlernen.

Geißler: Herr Pfau, ich bin sicher, Sie betreiben durchaus Marktforschung, Sie gucken sich an, wo ist ein Bedarf. Aber sicher nicht nur. Wie setzen Sie Ihre Marketing-Instrumente bei Schott ein?

Pfau: Vielleicht sollte ich die Frage am Beispiel eines neuen Komponisten beantworten. Der Markt, an den wir einen jungen Komponisten verkaufen, ist ein professioneller Markt von Veranstaltern, von Orchestern, auch von Bühnen, die das wiederum einem Publikum zu vermitteln haben. Die müssen also verantworten, was sie tun. Wir müssen uns natürlich die selben Fragen stellen, die sich meinetwegen RTL II bei einer Gruppe stellt, nämlich: Ist dieser Komponist für den Markt, über den wir reden in unserem Bereich, marktfähig? Wenn nicht, müssen wir die kreieren, damit er auf diesen Markt möglichst durchgesetzt werden kann.
Geißler: Das Musikleben als Musikmarketing. Dagegen vielleicht Eventbersättigung. Man hört immer wieder die Überzeugung, Marketing könne einfach alles?

Weidenfeld: Marketing ist im Grunde genommen nichts anderes als die Summe der Maßnahmen, ein Produkt an den Markt zu bringen. Musik ist aber etwas anderes als wenn man etwa ein Auto an den Markt bringt. Wir handeln mit Emotionen, mit Gefühlen, mit nicht fassbaren Dingen und deswegen ist das auch ein besonders sensibler Bereich.

Pfau: Es geht um die Frage, kreiert man den Inhalt nach den Bedürfnissen des Marktes oder hat man Inhalte, die man an den Markt bringen soll.

Wendel: Auf jeden Fall. Bei uns im Klassikbereich können wir die Inhalte gar nicht verändern. Die Kompositionen sind da, die sind nicht veränderbar, aber die Formen der Präsentation können wir verändern. Und da muss man eben verstärkt drüber nachdenken, ob man eben das angestaubte Image der Klassik nicht ein bisschen entstauben kann dadurch, dass man in attraktivere Räume geht, nicht in die Stadttheater.

Gladitsch: Ich glaub schon, dass der Weg zum Ziel der ist, dass ich es in anderer Weise präsentiere. Sie haben einerseits recht – natürlich kann ich die Noten nicht verändern. Es geht heute im Grunde genommen nur darum, welche Form der Präsentation bei einem Publikum ankommt.

Pfau: Wenn heute neue Musik entsteht, und da gibt es grundsätzlich keinen Unterschied was eine Popgruppe kreiert und dem, was ein sogenannter Komponist ernster Musik schreibt, dann reagiert der Komponist natürlich auch auf ein Publikum, auf einen Auftraggeber. Das hat sich im Prinzip zwischen Mozarts Zeiten und heute nicht geändert. Das geht so weit, dass man sicherlich sagen kann, für das Musikfestival in Donaueschingen sind im Laufe seines Bestehens sehr viele Werke geschrieben worden, die nur für diesen Zweck und diesen Bedarf einen Sinn und eine Funktion gehabt haben und nicht darüber hinaus.

Wendel: Es wird sicherlich leichter, neue Musik auch zu vermarkten, seitdem eben die Komponisten sich doch wieder Gedanken darüber machen, ob es nicht auch schön ist, wenn man ein Publikum damit begeistern kann.

Geißler: Wir haben hier auf verschiedenen Panels gehört, dass der Musikunterricht mittlerweile das unbeliebteste Fach an der Schule ist. Wäre es denkbar, dass man Bildungsprozesse insgesamt durch Elemente wie sie Marketingmaßnahmen entwickelt haben, durch sinnliche Reize so aufpeppt, dass man a) gerne in die Schule geht, b) natürlich bevorzugt Musikunterricht wahrnimmt. Gäbe es da Transfermöglichkeiten? Ich frag das mal meine Tochter, die – wie ich weiß – sehr gerne zur Schule gegangen ist, Daniela Geißler.

Daniela Geißler: Zur Schule bin ich wirklich gerne gegangen. Ich denke schon, dass durch Programme à la „Deutschland sucht den Superstar“ oder auch durch „Popstars“ Kinder animiert werden, wieder ein Instrument zu lernen oder vielleicht ihre Stimme zum Einsatz zu bringen. Wir sind dabei, mittlerweile auch Marktforschungen anzustellen, und zwar im Tanzschulenbereich. Da merkt man ganz deutlich, wie Leute wieder gerne in Tanzschulen gehen, sich in der Freizeit gerne mit der Musik ihrer Idole beschäftigen wollen.

Gladitsch: Ein Beispiel dafür: Wir alle sind mal zur Schule gegangen und haben Lehrer gehabt, wo wir gerne in den Unterricht gegangen sind. Es spielt überhaupt keine Rolle, welches Fach das war. Es ging nur darum, dass der gute Lehrer etwas vermittelt hat. Bei mir war es unter anderem Musik, was schwer vermittelbar war. Nur mein Musiklehrer war so klasse, dass der mich animiert hat, erstens Klavier zu spielen, zweitens im Chor zu singen. Es geht gar nicht darum, auf dieses Schulsystem einzuhauen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass es nicht mehr Schnarch-Susen und Schnarch-Jäne als Lehrer gibt, die dieses Fach vertreten und dann junge Menschen an dieses Thema heranführen sollen. Das ist das Thema!

Wendel: Völlig richtig! Und da im Moment 80 bis 90 Prozent des Musikunterrichts ausfallen wäre es vielleicht eine gute Idee, darüber nachzudenken, wie wir alle gemeinsam in die Schulen reingehen könnten und uns an die Kinder und die Schüler wenden und die gewinnen für die Musik.

Geißler: Könnte es nicht sein, dass Marketing im Grunde genommen ein Instrument ist, mit dem man ein satt und faul gewordenes Volk dazu bringt, nochmal aufzustehen und irgendwas zu wählen, was im Schlaraffenland bisschen weit vom Mund vorbeifliegt?

Weidenfeld: Nein. Marketing hat man immer betrieben. Man hat immer versucht, auch Kunst, auch Musik, alle Produkte an den Markt zu bringen. Nur, unsere Zeit hat sich radikal geändert in einer Geschwindigkeit, die wir manchmal noch gar nicht realisieren. Wir können heute nicht mehr so verfahren wie vor zehn oder fünfzehn Jahren. Und das bedeutet Verbundwerbung, cross-Promotion, also all die Dinge, mit denen wir im Marketing hantieren, was zum Beispiel RTL hervorragend macht: Alle Instrumente einsetzen, ein Medienmix erzeugen, so dass, an welcher Straßenecke man auch vorbei kommt, ob man Radio hört, Zeitung liest, Anzeigen sieht, immer wieder den gleichen Dingen begegnet. So müssen wir heute auch Kulturgüter vermarkten.

Geißler: Wann können wir denn erwarten, dass beispielsweise RTL II mal eine Flashsendung, eine Supersendung vom Klavierfestival Ruhr macht? Besteht da überhaupt eine Chance frage ich durchaus mit einem ernsten Hintergrund?
Wendel: Wir sind sofort dabei!

Daniela Geißler: Ja, das denke ich mir! Ich finde etwa den Ansatz sehr gut, wie Andre Rieu den Event anders aufzuziehen.Wenn in München klassische Events auf den Königsplatz oder dergleichen transferiert werden, dann sind dort sehr junge Leute am Start. Ich glaube schon, dass es einen Mix gäbe als Übergangsform zwischen Klassik und U-Musik, den man zu einer schönen, sehr unterhaltsamen Fernsehsendung stricken könnte.

Wendel: Wir sollten versuchen – vielleicht als Fortsetzung dieser wunderbaren Veranstaltung hier auf der Musikmesse – etwas gemeinsam zu machen. Nach draußen gehen, eine Bühne in die Stadt zu stellen und sich nicht nur zu unterhalten, sondern Musik zu machen, neue Musik zu präsentieren. Denn hier drinnen haben wir nur die, die ohnehin schon auf unserer Seite sind.
Gladitsch: Können gerne darüber nachdenken und umsetzen. Wir haben ja noch ein Jahr Zeit. Aber auch das wäre zum Beispiel ein Weg: Wenn in den Verfassungen der Bundesländer die Musikerziehung Verfassungsrang bekäme, dann hätten wir die Probleme PISA oder zurückgehendes Interesse an klassischer Musik nicht mehr.

Geißler: Herr Pfau, ein kurzes Wort zu der Rolle, die ein Kulturverlag in diesem Ambiente spielen kann.

Pfau: Er trägt hauptsächlich zu der Vielfalt der Kultur bei. Es darf nicht so sein, dass eine Vermarktung von großen Events zu einer Verarmung führt und zu einer Ausgrenzung dessen, was die große Mehrheit nicht will.

Die Sendung liegt auch im Real-Audio-Format ungekürzt zum Nachhören auf den Seiten von taktlos.
Und hier finden sie den Beitrag von Martin Hufner, der ebenfalls in dieser Sendung eingespielt wurde.

 

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