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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 21
52. Jahrgang | April
Internet/Computer
Digitale Kopie: Verdächtigungen in jede Richtung
Überwachung, offene Quellen und geheime Allianzen
Seitdem sich Verfahren zur Komprimierung von Klangdateien allgemein
durchgesetzt und damit die Übertragung dieser Tondokumente
im Internet ohne große Zeit- und Geldaufwendungen durchfühbar
sind; seitdem CD-Brenner und CD-Rohlinge durch den Preisverfall
fast schon zu Wegwerfgütern geworden; seit sich die Frage: „Kopie
oder Original“ durch all diese Techniken aufgelöst zu
haben scheint; seit all dem ist auch die Frage der Distribution
von Musik nicht mehr eine Frage kulturpolitischer Relevanz sondern
ein großer Spielplatz für die Herstellung herrschender
Meinungen. Diese lassen sich orientieren zwischen dem Strafgesetzbuch
und einer Selbstverwaltung von Musik durch eine andere Generation
von Musikmachern. Dabei tun sich ganz unselige Allianzen auf.
Kopierschutzzeichen der
Phonographischen Wirtschaft
Worum geht es eigentlich? Beispiel Privatkopie: Geht man
heute durch einen Kiosk
mit Zeitschriften so fallen einem im Bereich der Computer-Zeitschriften nicht
unerheblich die auf, die versprechen, wie man einen etwaigen Kopierschutz umgehen
kann. Dazu kann mal lustigerweise ein Filzstift reichen, in anderen Fällen
benötigt man ein gescheites Stück Software, das im Einzelfall selbst
Geld kostet und ebenfalls vor Kopien geschützt ist. Die einen wollen,
dass man keine digitalen Kopien anfertigen kann, die anderen wollen darauf
aus unterschiedlichsten Gründen
nicht verzichten. Wo ist aber das Problem?
Wenn eine CD Kopierschutz und gegebenenfalls auch nicht in einem
einfachen CD-Player abspielbar ist, man aber gerne Kopien von CDs
machen will, dann
kauft man diese CD eben einfach nicht. Sie hat dann nach den geltenden
Regeln der CD-Herstellung einen technischen Mangel. In Berichten
aus Großbritannien wurde nachgewiesen, dass eine
mit solchen kopiergeschützen CDs handelnde Industrie weniger Exemplare
verkaufen wird. Über den Sinn oder Unsinn eines derartigen Verhaltens
der Phonoindustrie mag man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Wer mit
krimineller Energie Kopien machen will, der wird es auch schaffen, auf welchem
Wege auch immer – und sei es auf einem Nichtdigitalen. Nun soll aber
auf jeden Fall verhindert werden, dass Zeitschriften demnächst nicht mehr
mit Informationen werben dürfen, die das Umgehen eines Kopierschutzes
ermöglichen.
Schon in diesem kleinen Bereich hat man es mit drei Agenten des
Spiels zu tun: Der Phonoindustrie, dem Kunden und der Presseöffentlichkeit.
Das Problem dabei ist, dass es sich bei allen drei Teilnehmern
des Spiels um schwache Mitglieder
handelt. Die Musikindustrie „muss“ verkaufen und der Kunde kann „nur
kaufen, was ihm angeboten wird“. Und die Presseöffentlichkeit steht grundsätzlich auf Seiten des Kunden,
weil es auch ihr Kunde ist. Da kann man wirklich nicht erwarten, dass die schwachen
Teilnehmer untereinander zu einer „vernünftigen“ Kommunikation
finden werden.
Noch komplizierter wird es, wenn auch noch der vierte Teilnehmer
ins Spiel kommt: Die Verwertungsgesellschaften, die sich auf der
einen Seite hinter den
Kunden stellen und die „Privatkopie“ retten wollen, andererseits
aber jede Kopie lizensiert wissen möchten und weil es am einfachsten
ist: pauschal abgerechnet (siehe auch den Beitrag „Gläserner Bürger
der Zukunft“ von Gerhard
Pfennig in „Oper & Tanz“ 2/2003).
Demgegenüber meint der fünfte Teilnehmer, die Geräteindustrie
(also die Hersteller von CD-Brennern oder CD-Rohlingen), das wäre nicht
nötig, da es Mittel gäbe, all diese Lizenzen ganz genau abzurechnen
im System eines „Digital Rights Managements“ (DRM) und verbünden
sich damit mit den Kunden, die eben kein lizensiertes Material kopieren, sondern
ihre Urlaubsfotos, ihre Festplatte et cetera. Während die Verwertungsgesellschaften
die Angst vor möglicher Bespitzelung schüren, die ja auch nicht unberechtigt
ist, müssten sie eigentlich die Interessen der Teilnehmergruppe Nummer
sechs wahren, die der Urheber, den so genannten Schöpfern geistigen Eigentums.
Man zahlt an der Supermarktskasse schließlich auch nicht einen Pauschalbetrag
sondern für jedes Produkt. Auch dies also eine verfahrene Situation mit
schwachen Argumenten.
Man hat bei allen eingeführten Teilnehmern dieses Spiels
unterschiedliche Interessen, die allesamt allerdings eines eint:
Sie agieren alle auf der Grundlage
von Geschäftsmodellen, die nach hedonistischen Methoden konstruiert
sind: Wenig Einsatz, hoher Gewinn. Das kann, wie auch in der Zeit stetig
steigender
Aktienkurse nicht auf die Dauer gut gehen. Die zuverlässige Win-Win-Situation
gibt es nicht auf der Ebene von Geld und seiner Verteilung – jedenfalls
nicht in diesem Spiel. Aus diesem Grunde wird der Kampf um dieses Kulturgut,
welches Musik durchaus sein kann, unvernünftig geführt und am Ende
nur noch auf gesetzgeberischem Weg. Ganz nach dem Motto: Der größte
Feind des Menschen ist der Mensch (siehe auch
Web-Watch im Dossier, S. 46).
Doch alle spielen mit – fast alle.
Es gibt auch Kreise, in denen man nicht gegeneinander sondern
miteinander arbeitet. Soziologisch wurzelt deren Arbeitsweise
mehr im Begriff der „Gemeinschaft“ als
dem der „Gesellschaft“. Gemeint ist eine freie Entwickler-Gemeinschaft
wie sie Projekte aus „Open Source“ und „Creative Commons“ (siehe
letzte Ausgabe der nmz, Webwatch) ergeben. Dort geht es um Vorteile, die man
aus dem Tausch und dem (Ver-)Teilen von Leistungen erzielt. Das prominenteste
Projekt ist sicherlich das Betriebssystem „Linux“, aber dazu zählen
auch fast 100 Prozent der Produkte, die beispielsweise auf dem Internet-Server
der neuen musikzeitung laufen: Programmiersprachen wie „PHP“ oder „Perl“,
dazu kommt die Serversoftware „Apache“ und der Mailagent „Sendmail“ und
auch das Kulturinformationszentrum ist „Open Source“: PostNuke.
Auch dieser Text ist nicht mehr mit „Word“ verfasst, sondern mit
dem „Writer“ aus dem OpenOffice-Projekt. Wichtig dabei ist folgendes:
Es geht bei dieser Herstellungs- und Nutzungsgemeinschaft nicht darum, gegen
die kommerziellen Organisationen vorzugehen, sondern einfach darum, einen anderen
Standard der Kommunikation für sich zu etablieren – und natürlich
funktioniert auch das keineswegs reibungslos. Es geht nicht um „Creative
Commons“ gegen „GEMA, VG Wort
oder VG Bildkunst“, es geht nicht um „Linux“ oder „Free
BSD“ gegen „Windows“ oder „Unix“. Im Bereich
der Musik ist das alles noch sehr vage, spielt sich zur Zeit vor allem im
Feld der musikalischen Subkulturen ab; in
der Club-Szene, bei Amateurkomponisten.
Nicht die Wirtschaft hält die Gesellschaft zusammen, sondern Menschen.
Das vergisst man gern und schnell.
Und wo es vergessen wird, da konstruieren sich Verhältnisse zwischen Menschen
(vom Urheber bis zum Hörer) wirklich nur noch nach dem Prinzip des Strafgesetzbuches.
Dann ist die Zivilgesellschaft wirklich kriminell geworden und lässt sich
nur noch durch die Diktatur des Gesetzes lenken. Diesen Lösungsweg kennt
man bestens, ist ja auch der Einfachste.