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nmz 2003/09 | Seite 51-52
52. Jahrgang | September
Dossier: Der differenzierte Musikurheber

Kreativität und ihre ökonomischen Bedingungen

Aus der Radio-Sendung „taktlos“ des Bayerischen Rundfunks und der nmz zum Thema Urheberrecht

Auf 100 Jahre Wirkungsgeschichte konnte die Gesellschaft für Vervielfältigungs- und mechanische Aufführungsrechte (GEMA) in diesem Jahr zurückblicken. Feierstunde mit zahlreicher Prominenz aus Politik und Kultur war am Freitag, den 2. Mai 2003, in den repräsentativen Hallen des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Einige Stunden später und nur ein paar Häuserblocks weiter sorgte das Thema Urheberrecht noch für zündenden Diskussionsstoff. „taktlos“, die Radiosendung des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung, war zu Gast in Berlin. Genauer: zu Gast beim Deutschen Kulturrat in der Chausseestraße. Moderator und nmz-Herausgeber Theo Geißler hatte Experten nach dort in seine Live-Sendung geladen. Es diskutierten unter dem Motto „Geist ist geil“:
Gastgeber Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates,
Juliane Klein, Komponistin und Musikverlegerin (siehe auch das Portrait in dieser Ausgabe),
Andy Müller-Maguhn, bis Juni 2003 deutscher Vertreter im Direktorium der ICANN, einer Internet-Institution, zuständig für die Vergabe von Domains, sowie Mitglied und Sprecher des Chaos-Computer-Clubs,
sowie Albrecht Dümling, Autor, Musikwissenschaftler und Musikjournalist (siehe auch die Rezension seines neuen Buches: Musik hat ihren Wert. 100 Jahre musikalische Verwertungsgesellschaft in Deutschland)

Die Teilnehmer an der Diskussion: v.l.n.r. Juliane Klein, Andy Müller-Maguhn, Albrecht Dümling, Olaf Zimmermann und Moderator Theo Geißler. Foto: Barbara Haack

Theo Geißler: Albrecht Dümling, zwei Jahre haben Sie an einem Buch mit dem Titel „Musik hat ihren Wert“ gearbeitet. Das Buch erschien gerade zum 100. Geburtstag der musikalischen Verwertungsgesellschaft. War das eine reine Erfolgsgeschichte?

Albrecht Dümling: Beim ausführlichen Materialstudium wurde mir klar, wie kompliziert die Geschichte des Urheberrechts und der GEMA eigentlich verlaufen ist. Es gab viele Kämpfe: Kontrahenten waren häufig die Komponisten auf der einen Seite und Musikverleger und Musikverbraucher auf der anderen. Es fehlte – ganz ähnlich wie heute – bei vielen das Bewusstsein dafür, dass man Komponisten bezahlen muss. Man dachte, wenn man die Noten gekauft hat, ist auch das Aufführungsrecht damit abgegolten. Es gab verschiedene Gründungen von Gesellschaften, solcher, die von Komponisten dominiert wurden, und solcher, die mehr von den Verlegern ausgingen. Dann folgten Vereinigungsverhandlungen, Kontrollen durch die Nazis und schließlich Übernahme des alten Namens GEMA mit einer veränderten, erweiterten Bedeutung für heute. Insgesamt ist es dann doch eine Erfolgsgeschichte. Man staunt, wie dieses komplizierte Geflecht sich heute irgendwie ausbalanciert.

Geißler: Der Deutsche Kulturrat startet zusammen mit der GEMA und anderen Verwertungsgesellschaften demnächst eine Kampagne, um den Wert der Kreativität in unserer Gesellschaft wieder ins Bewusstsein zu bringen. Warum?

Olaf Zimmermann: Die Verwertungsgesellschaften sind ganz wichtige Partner. Wir wollen eine öffentliche Kampagne machen, die zeigt, dass der Wert der Kreativität ein wichtiges Gut in der Gesellschaft ist. Natürlich geht es auch um Geld, doch ich meine nicht nur den monetären Aspekt. Geistige Leistung muss auch in vernünftigem Umfang entlohnt werden.
Geißler: Andy Müller-Maguhn ist Mitglied im berühmten Chaos-Computer-Club, dem man eine bösartige Kreativität nachsagt: Einbrüche in fremde Computernetze, hemmungslosen Raub geistigen Eigentums. Falsch oder richtig, Herr Maguhn?

Andy Müller-Maguhn: Nicht so ganz präzise. Der Chaos Computer Club setzt sich für Informationsfreiheit ein. Wir beschäftigen uns mit den Wechselwirkungen von Technologie und Gesellschaft. ICANN ist eine Art Netzarchitekturbüro, das Vergaberichtlinien festlegt. Die Frage ist, wie die Architektur eines Netzes, das in allen gesellschaftlichen Bereichen, also kulturell, sozial und kommerziell an Bedeutung gewinnt, wie das die Gesellschaft verändert und welche sozialen, gesellschaftlich wünschenswerten Eigenschaften denn ein solches Netz haben sollte. Im Bezug auf den von Ihnen erwähnten Begriff des geistigen Eigentums, da sträuben sich bei mir die Nackenhaare. Ich habe ernsthafte Zweifel, dass es so etwas wie geistiges Eigentum überhaupt geben kann.

Geißler: Olaf Zimmermann, ist Ihre Kampagne eine gut gemachte Initiative oder nur eine gut gemeinte?

Zimmermann: Gut gemeint deshalb, weil geistiges Eigentum – und auch Kreativität, die die Voraussetzung für künstlerisches Schaffen ist – in unserer Gesellschaft nicht dieselbe Anerkennung genießen wie materielle Güter. Natürlich merken es diejenigen als Erste, die auch ökonomisch davon betroffen sind – insbesondere auch die Partner dieser Initiative, etwa die GEMA und die phonographische Wirtschaft. Dort hat man in den vergangenen Jahren deutlich gemerkt, welche Auswirkungen es hat, wenn man es mit dem geistigen Eigentum nicht mehr so genau nimmt. Wenn man etwa illegale Kopien von CDs anfertigt. Gut gemacht deshalb, weil diese Kampagne nur dann funktionieren wird, wenn auch die Kreativen selbst, also die Künstlerinnen und Künstler, aktiv daran teilnehmen. Künstler leben davon, dass sie das geistige Eigentum verkaufen, ihr geistiges Eigentum anbieten und nur wenn sie das anbieten und nur wenn sie dafür auch eine Entlohnung bekommen, wird auch neues Kreatives entstehen und werden sie überleben können.

Juliane Klein: Was bietet denn „ein Kreativer” an? Ich als Komponistin kann Dinge anbieten, die ganz bestimmt nicht auf Anerkennung stoßen werden. Und wenn sie sagen, die Kreativen werden Anerkennung genießen, bezweifle ich das. Es kann durchaus sein, dass Kreativität als recht ungemütlich empfunden wird, wenn sie das Gewohnte überspringt und vielleicht sogar Institutionen abschafft...Ich wüsste da nicht, ob die Institution sagt: „Sehr fein, Ihr Kreativen, kommt mit uns ins Boot, wir fahren gemeinsam über die stürmische See.“

Müller-Maguhn: Dieser Einwand wirft die Frage nach der Glaubwürdigkeit derjenigen auf, die hier die Position besetzen: „Um die Kreativität zu schützen, müssen wir geistiges Eigentum mit materiellem Eigentum gleichsetzen“. Meine Kernthese ist, dass das nicht der Fall ist. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass es ganz grundlegende Unterschiede zwischen geistigen und materiellen Angelegenheiten gibt. Wenn ich Ihnen jetzt Ihre Krawatte klauen würde, dann hätten sie die nicht mehr an Ihrem Hemd. Aber wenn ich von einer Musik etwas herunterkopiere, dann ist die ja immer noch drauf. Kopieren von geistigen Dingen, komponieren und kreativ sein hat viel damit zu tun, Bestehendes anders zusammenzusetzen. Was ist denn Kreativität überhaupt? Ob nicht gerade der Schutz von diesen nicht fassbaren Dingen, das heißt die Deklarierung von Eigentumsrechten, die Kreativität einschränkt.

Geißler: Albrecht Dümling, der eigentliche Gründer der musikalischen Urheberrechtsgesellschaften war nicht so sehr Richard Strauss, sondern Hans Sommer. Der kam aus der Naturwissenschaft und hat sicher so argumentiert, dass geistiges Eigentum durchaus auch in Heller und Pfennig ausdrückbar ist.

Dümling: Er hat zurückgeblickt auf die Musikgeschichte, in der Komponisten über Jahrhunderte ganz miserabel gelebt haben. Sie waren abhängig von ihren Dienstherren. Später als sie dann frei auf dem Markt waren, mussten sie selbst sehen, wie und wo sie ihren Lebensunterhalt verdienten. Häufig habe sogar Schöpfer von wichtigen Erfolgstiteln von den Einnahmen nichts oder fast nichts bekommen. Dieses Geld landete bei den Verlegern oder Veranstaltern. Sommer hat zu Recht argumentiert, dass die Komponisten an den Aufführungen beteiligt werden müssen. Das Aufführungsrecht ist heute bedroht durch das Internet, wo man sich am liebsten kostenlos bedient. Aber Komponieren ist eine Arbeit, die durch Menschen geleistet wird. Diese muss wie jedes andere Handwerk entlohnt werden.

Zimmermann: Es gibt eigentlich gar keinen Widerspruch in dem Bereich: Ich kenne keine Künstler, aber auch keine Verwerter, die großes Interesse daran haben, ihre Produkte in der Schublade zu verschließen. Es geht nur um den Punkt, ob die Zugänglichmachung kostenfrei sein soll oder nicht. Es kann nicht sein, dass dort, wo materielle Güter erzeugt werden, es selbstverständlich einen Anspruch auf Entlohnung gibt, aber dort wo künstlerisch gearbeitet wird nicht. Sie dürfen mir meine Krawatte nicht nehmen, aber sie dürfen mir meine Komposition klauen?!

Müller-Maguhn: Nein, wir müssen hier zwei Dinge unterscheiden. Selbstverständlich stellen künstlerische Produkte einen Wert da. Selbstverständlich ist es nicht so, dass ich beim Kopieren einer CD damit ausdrücke: Das ist mir nichts wert. Die Frage ist, ob ich bereit bin, den Preis zu bezahlen für diese Plastikscheibe mit der Originalverpackung, oder ob es nicht alternative Modelle geben könnte. Etwa wenn ich im Internet Sachen genieße, dass ich dann auch sagen kann: „Okay, dieses Lied hat mich glücklich gemacht, ich spende dem Künstler einen Euro“. Dabei käme vermutlich viel mehr bei herüber für den Künstler, als über die pauschale Versteuerung von Plastikscheiben über Verwertungsgesellschaften. Die Gerechtigkeit des von der GEMA betriebenen Systems ist zudem eine offene Frage, auch und gerade unter den Kreativen. In der Zukunft wird man möglicherweise anders verfahren: „Bezahlen, pro Anhören“ und Ähnliches. Das wird technisch möglich werden. Trotzdem ist da immer noch die Frage: Muss ich dann wirklich für Madonna die 27. Villa finanzieren? Nehmen wir einmal Litauen als Beispiel: Eines der ärmsten Länder der ehemaligen Russischen Föderation musste erst das Urheberrecht einführen, um der WTO beizutreten und ihre so genannten Raubkopien vernichten. Müssen solche Schwellenländer tatsächlich ihren Anschluss an die so genannte 1. Welt dadurch finanzieren, dass sie uns zuerst die Verwertungsrechte zahlen?

Dümling: Was Sie hier sagen, erinnert mich an eine Diskussion von 1808/1809. Damals wurde argumentiert: Wenn wir bei Konzerten auch noch Aufführungsgebühren verlangen, wird Neue Musik gar nicht mehr gespielt. Das widerspricht der Informationspflicht. Es müsste sogar im Interesse der Komponisten sein, Aufführungen ihrer Werke selbst zu finanzieren. Nur wenn es den Zuhörern gefällt, kann man den Tonsetzern allenfalls einen freiwilligen Groschen geben. Haargenau so hat es damals Georg Göhler, der Freund des Verlegers Haase von Breitkopf & Härtel, gefordert. Damit wären die Verwertungstantiemen für Komponisten praktisch entfallen.

Müller-Maguhn: Die Pflicht, aber nicht die Möglichkeit.

Dümling: Aber ohne eine Verpflichtung zahlen die Veranstalter nicht. Die Aufführungsgebühren bedeuten für die Komponisten inzwischen eine erhebliche Einkommensquelle. Ob das richtig verteilt wird, ob es immer bei den Richtigen ankommt, ist eine andere Frage. Ich finde schon, dass die GEMA sich bemüht, sich nicht nur an Marktkriterien, sondern an der geistigen Leistung zu orientieren. Das ist aber äußerst schwierig.

Klein: Ich denke, das ist nicht der Fall... Komponisten sollen zwar von der GEMA vertreten werden, doch man muss bedenken, dass gerade Werke junger Komponisten zwischen 20 und 35 in nicht allzu großem Umfang aufgeführt werden. Dadurch kommt nicht die nötige Aufführungsmasse zusammen, um die nötigen GEMA Punkte zu bekommen. Für Uneingeweihte kann ich sagen, dass jeder Komponist sich im Laufe seines Lebens bei der GEMA Punkte erwirbt. Er wird zum Beispiel jedes Jahr eingestuft, wie hoch die künstlerische Wertigkeit seines Schaffens ist. Als ich erfahren habe, dass es so was überhaupt gibt – das hat mir ein netter Kollege gesagt, sonst ist das Tabubereich, über die Punktwertung spricht man nicht –habe ich schallend gelacht. Ich konnte es nicht glauben, dass es eine Kommission gibt, die zusammentritt, um festzulegen, wie viel ich wert bin. Und das einmal im Jahr für alle Komponisten Deutschlands.

Zimmermann: Das sind jetzt zwei ganz unterschiedlich Themen, die wir ansprechen. Natürlich müssen Verwertungsgesellschaften reformiert und der Zeit angepasst werden. Die GEMA erlebt das wie viele andere Strukturen auch. Aber auf der anderen Seite kann die Forderung von Herrn Müller-Maguhn, der gefordert hat „Gebt den Künstlern Almosen, aber gebt ihnen keine vernünftige Entlohung für ihre Leistung“ nicht der richtige Weg für eine Reform sein.

Müller-Maguhn: Das habe ich auch nicht gefordert. Es ist doch so: Da sind Menschen kreativ, künstlerisch tätig, produzieren Musik. Jetzt ist zweifelsohne eine Berechtigung da, dass diese Künstler auch ihre Miete davon bezahlen können. Trotzdem: Mit welchem Mechanismus? Möglichkeit eins ist, wir deklarieren es als geistigen Eigentum, wir verkaufen ein Produkt. Die Deklarierung als geistiges Eigentum eröffnet ein Schlachtfeld des Kampfes gegen Windmühlen. Überall sehen sie auf einmal Apparate, die verbotene Dinge tun. Geistiges Eigentum wird den ganzen Tag geklaut und ich behaupte eher, dass das gut ist, weil es auch andere Herangehensweisen gibt Ich weiß, der Islam ist derzeit nicht gerade eine schrecklich beliebte Religion, trotzdem finden sich da manchmal lustige Ideen, beispielsweise gibt es in der Scharia so einen Absatz, dass die Erhebung von Lizenzgebühren unter Strafe steht, weil damit die Verbreitung von Kultur eingeschränkt wird.

Dümling: Zu den Argumenten von Frau Klein. Ich finde es nicht absurd, Musik zu bewerten. Das ist mein täglicher Beruf als Musikkritiker. Es ist allerdings nicht leicht, objektiv zu werten. Die GEMA versucht, die geistige Leistung durch ein Punktesystem zu erfassen und damit dem Markt entgegen zu steuern. Wenn etwas viel aufgeführt wird, macht sich das ohnehin in höheren Einkünften bemerkbar. Dagegen wird eine höhere geistige Leistung – etwa ein sehr komplexes Werk mit vielen Stimmen – bei der GEMA höher eingestuft, auch wenn dieses Werk möglicherweise überhaupt nicht aufgeführt wird.

Klein: Da steckt die Meinung dahinter, dass ein Solostück nicht so viel wert ist, während ein Orchesterstück viel mehr wert ist. Das kommt natürlich noch aus ganz anderen Zeiten! Ich muss allerdings auch die andere Seite sehen. Dass ich als Komponistin und auch als Verlegerin tatsächlich wie ein Löwe kämpfe, um die mir zustehenden Tantiemen der GEMA. Denn wenn man bedenkt, was ein Solist oder auch ein Orchester bekommt an Gehalt, indem es meine Werke spielt – und sie würden nichts uraufführen können, wenn ich ihnen nichts schreiben könnte –, dann muss ich auch dafür kämpfen, dass ich wenigstens ein paar Cent dafür bekomme, dass ich es geschrieben habe. Es besteht hier sowieso ein eklatantes Missverhältnis.

Dümling: Das heißt, es sollte sogar noch mehr Geld in die GEMA fließen! Es wird schon jetzt versucht, dem Marktprinzip entgegen zu steuern, so dass E-Musik-Komponisten mehr bekommen. Aber das ist immer noch zu wenig. Ich erwähne in dem Buch den Fall von Heinz Tiessen, einem der wichtigeren Komponisten des 20. Jahrhunderts, der erst im Jahr 1954 in hohem Alter endlich zum ordentlichen GEMA-Mitglied aufgenommen wurde. Es ist absurd, wie niedrig seine Einnahmen waren.

Klein: Aber sie müssen auch sehen, dass es auch andere Kulturkreise gibt. In Deutschland wird in der Kultur relativ viel Geld umgesetzt, von Musikern über Dirigenten bis zu Opernhäusern. Ich habe auch in anderen Kulturkreisen gelebt, in Russland etwa. Da hat der Künstler einen völlig anderen Status. Der Künstler produziert und tut das , weil es seine freie Entscheidung ist. Er lebt deswegen als Außenseiter der Gesellschaft, sozusagen wie der Dorfnarr, der von allen wohlgelitten ist oder der Schamane, der sein Obdach bekommt... Davon sind wir zumindest dem äußeren Anschein nach in Deutschland weit entfernt.

Zimmermann: Zum Glück. Wir wollen ja Künstler haben, die von ihrer Arbeit leben können. Die sollen nicht Taxi fahren, nicht in der Kneipe bedienen müssen, die sollen nicht einen irgendwie gearteten Zweitjob haben, der wirklich dann ihr Hauptjob geworden ist, sondern sie sollen von dem, was sie kreativ leisten, auch leben können.

Klein: Das meinen Sie im Ernst?

Zimmermann: Ja, natürlich sollen sie davon leben können. Das muss das Ziel sein. Ich denke, man kann auch nur erstklassige kreative Leitungen vollbringen, wenn man sich darauf auch konzentrieren kann. Deswegen muss Ziel sein, dass man von dieser kreativen Leistung leben kann. Die Bedingungen sind ja schon viel schwieriger, als in andere Bereichen. Wir haben ja eine Einschränkung des Urheberrechtes. Es wurde ja eben bei den Nachrichten angesprochen: 70 Jahre nach dem Tod eines Urhebers ist alles vorbei. Da gibt es keine Entlohnung mehr, da ist sein Werk gemeinfrei und bei den Ausübenden Künstlern sogar 50 Jahre nach der Aufführung. Bei den materiellen Rechten, da sieht das ganz anders aus, die sind unverbrüchlich.

Klein: Wenn Sie jetzt meinen, dass Kreativität so wichtig ist, dann könnte man doch auch Komponisten ein Existenzgeld aussetzen. Dafür sind sie kreativ, bereichern die Gesellschaft, die Orchesterwelt.

Zimmermann: Das kann dann dazu verleiten, dass man überhaupt nichts mehr macht und sagt, man hat ja das Existenzgeld. Das finde ich sehr gefährlich.

Klein: Ich sehe es anders: Jemand, der ernsthaft kreativ tätig ist, würde sowieso kreativ tätig sein.

Dümling: Das Prinzip der GEMA ist es, dass die wirtschaftlich erfolgreichen – und das sind vor allem Unterhaltungskomponisten – die weniger erfolgreichen, aber geistig wichtigen Komponisten mitfinanzieren. Das ähnelt der Verlagspraxis, wo ein Bestseller beispielsweise einen Lyrikband, der vielleicht nur eine Auflage von wenigen Exemplaren hat, möglich macht. Zur Informationsfreiheit, die eben gefordert wurde, möchte ich anmerken, dass dieser Begriff wohl häufig nur als Alibi verwendet wird. Man behauptet, die Leute wollen sich informieren. Aber werden denn wirklich die unbekannten Sachen heruntergeladen? Meistens wird downgeloaded, was in der Hitparade ist. Aber gerade mit den Einnahmen aus einem Hit kann eine Plattenfirma ein nicht so lukratives Projekt, etwa ein aufwändiges Opernprojekt, finanzieren.

Müller-Maguhn: Da sind Sie Informanten mit zweifelhaften Quellen aufgesessen. Gibt es überhaupt authentische oder auch nur annähernd realistische Statistiken über das, was da an Daten fließt? Die Antwort ist: Nein. Klar ist doch, dass gerade unbekannte Künstler und Independent Labels überhaupt erst durchs Netz eine Chance sehen, ihr Publikum zu finden. Wenn die dann ihr Publikum gefunden haben, dann gehen auch Interessierte in den Laden und wollen das zu einer besseren Qualität haben. Bei den großen Musikläden kriegen Sie allerdings nur noch die Top 40, weil die nämlich mittlerweile pro Quadratmillimeter ihres Ladens eine Einfuhrquote kalkulieren.

Zimmermann: Niemand verbietet einem Künstler seine Werke ins Netz zu stellen und kostenlos zum Downloaden anzubieten. Das kann jeder machen, da gibt es überhaupt keine Einschränkung. Es geht um die Bereiche, wo illegal Werke ins Netz gestellt werden, wo Künstler es nicht wollen. Die werden dann trotzdem ins Netz gestellt und aus ökonomischen Gründen, weil man nämlich das Geld sparen will, die CD im Laden zu kaufen, werden sie heruntergeladen. Es geht nicht um Informationsfreiheit.

Klein: Es gibt auch andere Beispiele, wo man mehr oder weniger dazu gezwungen wird, ein Werk ohne die nötigen Tantiemen abzugeben. Das ist bei Kompositionsaufträgen häufig der Fall, wenn man das Aufführungsmaterial kostenlos zum Kompositionsauftrag mitliefert. Oder auch, wie ich es an der Staatsoper Hannover in zwei Fällen hatte, dass tatsächlich die ersten Aufführungen im Kompositionsauftrag integriert waren, also keinerlei Aufführungstantiemen bezahlt werden sollten.

Dümling: Wenn in der Tat die Komponisten ihre Werke anbieten wollen, hindert sie nichts und niemand daran. Das ist das Positive am Internet. Es gibt aber auch die Kehrseite: In der New York Times stand kürzlich ein Bericht über amerikanische Universitätsstudenten, die in College-Netzwerken riesige Mengen von Popmusik vertrieben haben. Nachdem die Justizbehörden sich der Sachen angenommen hatten, behaupteten die Studenten, sie wüssten nicht, dass das Unrecht ist. Es ist also wichtig, hier für ein Rechtsbewusstsein zu sorgen.

Müller-Maguhn: Über amerikanische Rechtspolitik fangen wir lieber gar nicht erst an, da gehen unsere Meinungen zu weit auseinander.
Klar ist doch die Frage, inwieweit es denn so ein Paralleluniversum geben kann. Wir haben ja die Situation, dass in der Tat theoretisch Künstler ihre Musik ins Netz stellen können und auch andere Methoden benutzen können, um dann letztendlich ihre Miete zu erwirtschaften. Die Verwertungsgesellschaft GEMA beispielsweise erhebt längst pauschale Abgaben beim Kauf von CD-Rohling bis hin zu den Hardware-Komponenten von Computern.

Zimmermann: Die pauschale Abgabe ist nicht die Erlaubnis, zum illegalen Kopieren. Es geht um die private Kopie, die erlaubt ist und genau dafür gibt es eine pauschale Abgabe.

Klein: Ich möchte zum Schluss noch eine Lanze für die Kreativität brechen. Hier wurde vorhin völlig unreflektiert gesagt, dass die Unterhaltungsindustrie diejenigen mit ernährt, die sozusagen geistig wertvoller tätig sind. Dieses „am Tropf des Marktes hängen” ist ein unhaltbarer, kontraproduktiver Denkansatz.

Geißler: Ein wunderbares Schlusswort, das man vielleicht so noch abrunden könnte: Am Geist darf nicht gegeizt werden, damit nicht mit Geist gegeizt wird.

>>> http://www.nmz.de/taktlos/2003/takt65.shtm >>>l

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