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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 15
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Deutscher Kulturrat
Wie geht es weiter nach Cancún
Liberalisierungsbestrebungen der Welthandelsorganisation, Teil
II · Von Olaf Zimmermann
Am 14. September 2003 war die 5. Ministerrunde der Verhandlungen
über das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen
in Cancún (Mexiko) endgültig gescheitert. Angeführt
von so genannten Schwellenländern wie Indien oder Brasilien
haben die so genannten Entwicklungsländer mitgeteilt, dass
sie die vorgeschlagenen Kompromisslinien ablehnen und damit die
Verhandlungen scheitern lassen. Den
ersten Teil über die Liberlalisierungsbestrebungen der
Welthandelsorganistaion WTO finden Sie in der neuen musikzeitung
November 2003. Es folgt hier Teil II.
In seiner aktuellen Stellungnahme „Resolution des Deutschen
Kulturrates zu den GATS-2000 Verhandlungen der WTO über bestimmte
audiovisuelle Dienstleistungen und über Kulturdienstleistungen”
, die im Rahmen des Konsultationsprozesses der Europäischen
Kommission vor den Verhandlungen in Cancún vom Deutschen
Kulturrat der Europäischen Kommission zugeleitet wurde, fordert
der Deutsche Kulturrat:
Die Einbindung der Zivilgesellschaft in den Konsultationsprozess,
die Anwendung der Kulturverträglichkeitsprüfung,
die Sicherung der kulturellen Vielfalt,
keine weiteren Zugeständnisse bei den Bildungsdienstleistungen,
keine Erstellung von abschließenden Listen, in denen
Kultureinrichtungenaufgeführt werden, die von der Liberalisierung
ausgenommen werden,
den Erhalt des hohen Niveaus an Urheber- und Leistungsschutzrechtenzur
ökonomischen Sicherung der Künstler und der Kulturwirtschaft.
Der Deutsche Kulturrat hält es für unerlässlich,
dass künftig die Zivilgesellschaft frühzeitig über
Entscheidungsprozesse im Rahmen der WTO-Verhandlungen informiert
wird und so die Gelegenheit erhält, sich durch Stellungnahmen
zu dem Verhandlungsprozess zu äußern und ihn gegebenenfalls
zu beeinflussen. Die Liberalisierung des Welthandels mit Dienstleistungen
sowie urheberrechtlich geschützten Werken hat eine zentrale
Bedeutung für das heutige und künftige gesellschaftliche
Leben. Es sollte daher selbstverständlich sein, dass die organisierte
Zivilgesellschaft durch Stellungnahmen und Anhörungen an den
Entscheidungsprozessen beteiligt wird. Die so genannte Kulturverträglichkeitsprüfung
soll gewährleisten, dass durch Entscheidungen in kulturfernen
Politikfeldern die Kultur Schaden nehmen kann. Die Kulturverträglichkeitsprüfung
ist in Artikel 151 Absatz 1 des Amsterdamer Vertrags fixiert worden.
Der Deutsche Kulturrat fordert, dass die Europäische Kommission
als Verhandlungsführerin für die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union die Kulturverträglichkeitsprüfung auch bei internationalen
Vereinbarungen wie den Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation
konsequent anwendet.
Weiter ist der Deutsche Kulturrat der Auffassung, dass der Frage
der kulturellen Vielfalt verstärkte Aufmerksamkeit in internationalen
Verhandlungen geschenkt werden muss. Die Universale Erklärung
zur kulturellen Vielfalt der UNESCO-Generalkonferenz vom 2. Oktober
2001 wird vom Deutschen Kulturrat geteilt.
Das heißt der kulturellen Vielfalt ist ebensolche Aufmerksamkeit
zu schenken wie der Biodiversität. Nachhaltige Kulturpolitik
muss daher darauf ausgerichtet sein, die kulturelle Vielfalt zu
sichern und damit auch die Entwicklung einer nationalen Kulturwirtschaft
zu ermöglichen.
Mit Blick auf die Bildungsdienstleistungen geht der Deutsche Kulturratmit
der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung
konform, die fordert, dass sektorale Verpflichtungen auf privat
finanzierte Bildungsdienstleistungen beschränkt bleiben sollen.
Die Befürworter der Liberalisierung schlagen teilweise vor,
für den Kulturbereich abschließende Listen zu erstellen,
in denen aufgeführt wird, welche Kulturdienstleistungen zum
hoheitlichen Bereich gezählt werden, damit sie von der Liberalisierung
ausgenommen werden. Solche abschließenden Listen hätten
zur Folge, dass all jene Einrichtungen, die nicht auf der Liste
stehen, zur Liberalisierung freigegeben wären. Dies hätte
für neue Einrichtungstypen verheerende Folgen, da sie bei einer
möglichen Liberalisierung des Kultursektors nur schwerlich
mit dem Argument, dass sie zum hoheitlichen Bereich gehören,
geschützt werden können. Darüber hinaus würden
solche Listen in Deutschland in die Autonomie der Länder sowie
der Städte und Gemeinden eingreifen, die den größten
Teil der Kulturfinanzierung übernehmen. Das Urheber- und Leistungsschutzrecht
verdient als Marktordnungsrecht der Informationsgesellschaft besondere
Aufmerksamkeit.
Der Deutsche Kulturrat vertritt die Auffassung, dass die Einhaltung
bestehender Abkommen oder deren Fortentwicklung zum Schutz des geistigen
Eigentums für ein lebendiges kulturelles Leben unabdingbar
sind. Es muss sichergestellt werden, dass im Rahmen internationaler
Konventionen wie etwa den aktuellen GATS-Verhandlungen außerhalb
des Urheber- und Leistungsschutzrechts „durch die Hintertür“
nicht ein generelles Inländerbehandlungsprinzip eingeführt
wird, ohne gleichzeitig für materiell gleich hohes Schutzniveau
in allen beteiligten Staaten zu sorgen.
Wie geht es weiter?
Nach dem Scheitern der Verhandlungen in Cancún stellen
viele die Frage, wie es nun weitergeht. Waren die zahlreichen Proteste
aus dem Kulturbereich nur viel Lärm um nichts oder findet das
Spiel nun hinter den Kulissen statt?
Fest steht, dass das Scheitern in Cancún lediglich eine
Atempause bedeutet. Die GATS-Verhandlungen, so ist es das Grundprinzip
der Welthandelsorganisation, werden fortgesetzt.
Solange weltweit die Liberalisierung und der Abbau von Handelshemmnissen
als Maxime weltwirtschaftlichen Handelns und der Gestaltung der
Rahmenbedingungen unangetastet bleibt, wird dieser Prozess weitergehen.
Das heißt für den Kulturbereich, dass den jetzt stattfindenden
Vorbereitungen der nächsten Ministerkonferenz höchste
Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Dazu gehört auch, dass
die deutschen Politiker noch stärker sensibilisiert werden.
Der Deutsche Bundestag hat vor den Cancún-Verhandlungen
einen Parlamentsvorbehalt beschlossen. Das heißt, die getroffenen
Vereinbarungen müssen im Deutschen Bundestag debattiert und
gebilligt werden. Solche Instrumente gilt es zu stärken. Weiter
gilt es sich dafür einzusetzen, dass die Zivilgesellschaft
in den Verhandlungsprozessen stärker Gehör findet.