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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 21
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Internet/Computer
Wird das Internet der Plattenladen der Zukunft?
Musikverbraucher im Dschungel der Downloadangebote
Endlich ist das Herunterladen von Musik aus dem Netz legal, aber
ist es immer noch attraktiv? In den USA kämpfen bereits eine
ganze Reihe von Serviceanbietern um Marktanteile – und es
werden weltweit immer mehr. Mittlerweile ist es fast unmöglich
geworden, sich einen Überblick über alle angebotenen legalen
online Musikvertriebe zu verschaffen. Wer sich nicht auf die Werbekampagnen
verlassen will, in der vor allem iTunes seinen Service als cooles
Optimum für Musikfans präsentiert, muss sich bei jedem
Anbieter durch einen Dschungel von Nutzungsbedienungen kämpfen.
Apples iTunes-Store findet
Schönbergs Gurrelieder, aber wer will sich Einzeltitel
für 99 US-Cents downloaden oder die Gesamtaufnahme
für 27,99 US$?
Restriktionen wie etwa Limits beim Herunterladen auf verschiedene
Computer, Kompatibilitätsprobleme mit CD-Brennern und MP3-Playern
werden bestenfalls versteckt erwähnt. Und ohne – manchmal
langwierigen – Software-Download können viele Serviceangebote
erst gar nicht eingesehen, geschweige denn ausprobiert werden. Andere
Anbieter fordern Angaben zur Person, inklusive Kreditkartennummer,
bevor sie dem Nutzer ihr Archiv öffnen.
Problematisch ist auch die Inkompatibilität von Technologien
der einzelnen Angebote, die eine gleichzeitige Nutzung verschiedener
Musikstores quasi ausschließt. Häufig lassen sich die
heruntergeladenen Titel nur innerhalb der Jukebox des jeweiligen
legalen Musikvertriebs speichern. Und wer will schon seine Musik
von verschiedenen Dateien aus anhören? Zudem ist trotz anwachsender
Speicherkapazität von Homecomputern allein mit Softwaredownloads
für die Jukeboxes unterschiedlicher Anbietern die Festplatte
schnell voll. Offensichtlich geht es den Anbietern mehr darum, sich
gegen die Konkurrenz durchzusetzen, als den Bedürfnissen der
Musikfans nachzukommen.
Dies zeigte sich auch in einer Massen-E-mail, die Musicmatch (www.Musicmatch.com)
an seine Kunden schickte, worin gewarnt wurde, dass bei der Installation
von iTunes automatisch die – übrigens bereits global
funktionstüchtige – Musicmatch Jukebox entfernt würde.
Ein Test seitens der nmz ergab jedoch, dass Apple dies mittlerweile
behoben hat, zumindest, wenn der von Apple genutzte Quicktime-Player
nicht als Default-Player installiert wird.
Der von Medienseite hoch gelobte Apple iTunes-Service (www.iTunes.com)
hat seit dem Starttermin im April diesen Jahres bereits einige Verbesserungen
durchlaufen. Und auch wenn seit April bereits zehn Millionen Titel
in den USA verkauft wurden, kann sich Apple nicht leisten, darauf
auszuruhen. Die Konkurrenz schläft nicht –, deshalb schaltet
man sie besser aus. So können die aus gekauften Songs erstellten
Playlists und bereits auf dem Computer gespeicherten MP3s nur mit
iTunes-kompatiblen Geräten auf CD gebrannt werden. Als MP3-Player
ist ausschließlich der von Apples selbst entwickelte iPod
kompatibel. Kundenfreundlich ist das nicht. Und man muss sich fast
fragen, ob es legal sein kann, Musikfans, die bereit sind für
über Filesharingservices noch immer gratis beziehbare Songs
zu bezahlen, zum Kauf einer bestimmten Marke zu zwingen.
Was derzeit auf dem online-Musikmarkt passiert, erinnert sehr an
den Browser-Kampf der 90er. Die Anbieter versuchen um jeden Preis,
die Konkurrenz vom Markt zu verdrängen. Tatsache ist, dass
derjenige Musikservice, der es jetzt schafft, die Nummer eins zu
werden, gute Chancen hat, in Zukunft als Standard zu gelten. Tatsache
ist aber auch, dass diejenigen Musikfans, die jetzt auf den falschen
Standard setzen, in Zukunft ihr online-Musikarchiv vermutlich wieder
ganz von vorne aufbauen müssen.
Schon jetzt gilt: Wer sich für einen Service entscheidet,
bleibt besser auch dabei. Das von RealNetworks finanzierte Listen.com
(www.Listen.com)
erlaubt den Nutzern von Rhapsody die Songs etwa nur zu streamen.
Begründet wird dies damit, dass das Herunterladen zu lange
dauern, die Streaming-Lösung damit die komfortablere wäre.
Die Songs können zwar direkt von der Rhapsody-Jukebox für
je 79 Cents zusätzlich zur Abogebühr auf CD gebrannt werden,
allerdings nicht von einem anderen Player abgespielt oder auf Festplatte
gespeichert werden. Für Musikfans bedeutet das Null Kompatibilität
zu anderen online Musikvertrieben. Und was, wenn Rhapsody sich nicht
durchsetzt? Alle bisher nicht auf CD gebrannten Songs wären
damit verloren. Ein Problem, das derzeit auch die Studenten der
Pennsylvania State University beschäftigt. Per Vertragsabschluss
der Universität mit Napster dürfen sie nun zwar so viele
Songs, wie sie wollen, auf ihren Computer laden, sobald sie aber
ihr Studium beenden und ihr Computer nicht mehr ans Netzwerk der
Penn-University angeschlossen ist, haben sie auch keinen Zugang
mehr zu ihrem Musikarchiv. Mit Recht protestieren die Studenten
nun, dass die 160 Dollar aus dem IT-Budget, die von der Universität
pro Semester und Student an Napster bezahlt werden, besser anderweitig
investiert werden könnten. Die Universität argumentiert,
mit dem Deal etwaigen Rechtsklagen der RIAA vorzubeugen.
Aber auch für zahlende Kunden gibt es eine Reihe von Restriktionen.
Um den Vorgaben der RIAA und den vertraglichen Bindungen zur Musikindustrie
gerecht zu werden, können innerhalb des Netzwerks der legalen
Musikvertriebsdienste einzelne Songs nur limitiert herunter geladen
und ebenso wenig beliebig oft auf CD gebrannt werden. Häufig
können die Titel ausschließlich innerhalb der herunterladbaren
Jukebox gespeichert werden. Napster etwa erlaubt das Brennen einer
Playlist bis zu fünf Mal, iTunes bis zu zehn Mal.
Und letztlich gibt es in den Archiven der online-Musikvertriebe
nicht einmal alle Musikstücke, die man gerne hätte. Die
Anzahl der verfügbaren Songs schwankt je nach Anbieter zwischen
250.000 (Musicmatch) und 500.000 (Napster), wobei bisher fast ausschließlich
die fünf großen Konzerne zuliefern. Der große Vorteil
des Internets, jungen Bands und kleinen Independent Labels eine
gleichberechtigte Chance neben den Giganten der Musikbranche zu
geben, geht damit verloren. Statt den Musikmarkt zu diversifizieren
tragen die Online-Musikvertriebe zu einer Verstärkung der Konzentration
bei. Zudem sind die Technologien bisher vor allem auf den online
als am lukrativsten geltenden Popsektor zugeschnitten. Jazz-Stücke,
die eine Länge von fünf Minuten übersteigen, Opern,
klassische Werke, ernste Musik findet man kaum. Bestimmte Songs
werden exklusiv nur von einem Musikvertrieb angeboten. Wird der
Musikfan bei so vielen Restriktionen und Unsicherheiten nicht doch
lieber wieder in den Plattenladen gehen oder doch wieder auf illegale
Filesharing-Angebote ausweichen? Denn was sind nun eigentlich die
Vorteile der neuen legalen online-Musikvertriebe? Den Softwareentwicklern
erschließt sich eine neue Einnahmequelle, den großen
Musikkonzernen eine zusätzliche Vertriebsplattform. Und die
Musikfans? Die sollen bezahlen.