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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 31
53. Jahrgang | Februar
GNM
Die Glut weitertragen
Neue Musik in der ARD in einer Zeit tief greifender Reformen
Zur Zeit erlebt die deutsche Rundfunklandschaft (abgesehen von
der ewig aktuellen Gebührendiskussion) die größte
Reform ihrer Geschichte, und natürlich geht das auch an der
Neuen Musik nicht vorbei. Die zweifache Rolle der Redakteure als
Journalisten und Produzenten verändert sich. Wohin?
Bei den mittleren und kleineren Sendern (die die Fusion quasi schon
vor Augen haben) geht es derzeit am schnellsten. Beispiel Hessischer
Rundfunk: Die grossen Features oder die Sendungen für elektronische
Musik sind eingestellt worden, die Produktionen drastisch gekürzt.
Beispiel Radio Berlin-Brandenburg: Das hat seinen Etat für
Neue Musik Ende letzten Jahres auf Null heruntergefahren und die
Sendezeit für neue Musik um 60 Prozent gekappt. Auch Radio
Bremen hat in dieser Größenordnung Sendezeit reduziert.
Oder der Saarländische Rundfunk: Ab 2006 wird hier der Länderfinanzausgleich
halbiert, das bedeutet etwa 25 Millionen Euro weniger pro Jahr,
was Auswirkungen auf Belegschaft und Sendeinhalte haben wird. Am
eigenen Orchester allerdings hält die Intendanz noch fest –
womit auch die Neue Musik noch ihren Ort hat. Wie lange das so bleibt,
ist unklar. Auch an anderen, größeren Funkhäusern
stehen sie mittlerweile zur Disposition, jene Orchester, die seit
dem 2. Weltkrieg, als man ausgehungert war und süchtig nach
neuer, aufregender geistiger Nahrung, entscheidend mitgeholfen haben,
eine ungemein reiche und vielfältige Szene der Neuen Musik
zu entwickeln. Allein in Donaueschingen sind bisher um die 400 Werke
uraufgeführt worden. Weltkarrieren – von Boulez über
Ligeti bis Xenakis – nahmen hier ihren Anfang. Dass sich die
Kulturradios im Umbruch befinden, ist offensichtlich; ein Sender
nach dem anderen stülpt unter dem Damoklesschwert der sinkenden
Quote sein Programm um: Hoch im Kurs steht mehr und mehr das „Nebenbeihörprogramm“
mit Magazinflächen voller locker präsentierter musikalischer
Häppchen.
Neue Hörer gewinnen
Ein gewagtes Spiel freilich: Neue Hörerschichten will man
gewinnen, Stammhörer aber nicht verlieren. Wohin und wie weit
dieser Umbau gehen wird, kann niemand vorhersagen. Zu befürchten
ist, dass Neue Musik dabei schlicht auf der Strecke bleiben könnte.
Es war Heinz Sommer, der Hörfunkdirektor des Hessischen Rundfunks,
der aussprach, was viele Radiomacher denken, als er sagte: „Der
Radiohörer hört Radio, nicht Kultur; in allererster Linie
Radio und nicht Inhalte.“ Ist das so? Gehören Inhalt
und „radiophone“ Präsentation nicht zusammen und
haben sich neben hochintellektuellen Analysen nicht längst
auch andere Formen der Auseinandersetzung – vom Portrait über
Gespräch und Feature bis zu Collagen – entwickelt? „Die
Philosophie meiner Sendungen war immer auch Entertainment“,
sagt Margarete Zander vom NDR: Die Sendungen müssen, ohne in
belehrenden Ton abzugleiten, den Hörer emotional packen. Altes
journalistisches Gesetz. „Tradition heißt nicht: die
Asche bewahren“, sagt Konfuzius, „Tradition heisst:
die Glut weitertragen.“ Und Thomas Mann schreibt in seinem
„Doktor Faustus“, „dass es nicht auf das Interesse
der anderen, sondern auf das eigene ankomme, also darauf, Interesse
zu ,erregen‘, was nur geschehen könne, dann aber auch
mit Sicherheit geschehe, wenn man sich selbst für eine Sache
von Grund aus interessiere und also, indem man davon spreche, schwerlich
umhinkönne, andere in dies Interesse hineinzuziehen, sie damit
anzustecken und so ein gar nicht vorhanden gewesenes, ein ungeahntes
Interesse zu ,creieren‘, was viel besser lohne, als einem
schon bestehenden gefällig zu sein.“ Am mangelnden Engagement
der Autoren liegt es nicht, dafür gibt es viele Beispiele.
Also liegt es am Gegenstand selber? Die Neue Musik hat im allgemeinen
Formatierungstaumel einen schweren Stand. Anderen Kunstformen gesteht
man sehr wohl zu, kritisch zu reflektieren; Musik dagegen hat ausschließlich
der Erbauung zu dienen. So manchem wäre es nicht unrecht, lösten
sich im Zuge der Reformen Sendeplätze für Neue Musik ins
Nichts auf. Denn wo bleibt bei Neuer Musik die Quote?
Es scheint ja geradezu naheliegend zu sein, etwas abzuschaffen,
was ohnehin nur die Interessen einer vergleichsweise winzigen Minderheit
bedient. Was aber ist mit dem einst viel gerühmten „Kulturauftrag“,
wenn sich die Öffentlichrechtlichen an das Formatradio der
Privatsender anlehnen? Wenn sie zwar, wie das Frank Kaspar in der
FAZ formuliert hat, „manche Biederkeit und ihren oft belehrenden
oder moralisierenden Ton abgelegt, ein entspannteres Auftreten etabliert
und mehr Unterhaltung gewagt“ hätten, wenn sie aber zugleich
„im Übereifer der Profilierung zu einer halbherzigen
Kopie der Privaten zu werden“ drohten „und gerade dadurch
an Profil verlieren“? Wenn dem so wäre: Weder braucht
man Klone noch wären die mit Gebühren zu rechtfertigen.
Gegentrend zur Seichtheit
Wie wird es aussehen in zehn Jahren? Wird die Neue Musik aus dem
Rundfunk schneller wegrationalisiert als andere Programminhalte,
weil ihre Redakteure sich bisher keine Lobby aufgebaut haben, zu
sehr mit ihrem Gegenstand beschäftigt sind und zuwenig mit
der Zeit gehen, das heißt: Öffentlichkeitsarbeit machen,
Marketingkampagnen für die Pflicht zur und die Lust an der
Neuen Musik starten? Von alleine wird sich die Situation nicht bessern.
Und Jammern auf hohem Niveau hilft natürlich auch nicht (Peter
Sloterdijk hat das schön formuliert als „Belcanto-Miserabilismus“).
Das Argument einer grandiosen Vergangenheit ist sicher kein Argument
für die Zukunft. Vielleicht ist es aber heute nötiger
denn je, bedachtsam auf den Gegentrend zur allgemeinen Seichtheit
zu setzen. Der ja vielleicht wieder einmal Schule machen wird, wenn
der Spaßfaktor-Sättigungsgrad erreicht sein sollte. Vorsicht
ist allerdings geboten. Da gilt ein Satz Adornos: „Wir sollten,
ohne dabei im geringsten diese negativen Momente zu verkennen, uns
darum bemühen, nicht selber, gerade indem wir über die
Oberflächlichkeit uns entrüsten, oberflächlich und
undialektisch uns zu verhalten.“