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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 9
53. Jahrgang | April
Cluster
Profi-Pirat
Ein Fachmagazin für Musikwirtschaft will jetzt mit neuen
Top 20-Charts dem Wandel in der Musiknutzung angesichts rückläufiger
CD-Verkäufe und zunehmender Musik-Downloads Rechnung tragen.
Die Top-20 sind eine Liste der meistverkauften Downloads kommerzieller
Online-Musikhändler, illegale Downloads via Tauschbörsen
à la KaZaA & Co sind naturgemäß nicht in der
Wertung enthalten. Wie schmal der Pfad zwischen legal und illegal
in diesem Metier inzwischen sein kann, erfuhr kürzlich Bundeskanzler
Gerhard Schröder auf der Computermesse CeBIT in Hannover. Dort
sollte er die Musikdownloadplattform Phonoline mit dem Herunterladen
des Songs „Only If I“ von Kate Ryans eröffnen.
Damit wollte Schröder ein Zeichen setzen dafür, „dass
die deutsche Politik offen und fördernd für die Weiterentwicklung
der digitalen Technik und auch für die Weiterentwicklung der
Rechte der Urheber ist“ – ungewollt war er aber in die
neue Eiszeit zwischen Phonoverbänden und GEMA geraten, ausgelöst
durch die geplante drastische Senkung der Komponisten-Vergütungen
um 40 Prozent von Seiten der Phonoindustrie. Einen Tag vor der Veranstaltung
hatte GEMA-Vorstand Reinhold Kreile in einem offenen Brief an den
Kanzler darauf hingewiesen, dass „derzeit für dieses
Downloaden auf der CeBIT noch von keiner Seite die erforderliche
urheberrechtliche Lizenz eingeholt wurde.“
Ohne Lizenz zum Download wollte der Kanzler den roten Knopf dann
doch lieber nicht drücken. Er wäre zum prominentesten
Musikpiraten Deutschlands geworden – pikanterweise im Auftrag
der Musikindustrie. Schröder bewies diplomatisches Geschick
und überließ es Gerd Gebhardt, Deutsche Phonoverbände,
den Knopfdruck zu vollziehen. Ein Interessenskonflikt zwischen Kreativen
und Verwertern hatte die Politik zur Zuschauerin gemacht. Bewusstsein
vom Wert der Kreativität ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit
– nicht nur bei den Endverbrauchern, auch bei den „Profis”.