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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 7
53. Jahrgang | April
Stüclwerk
So machen’s – leider – doch nicht alle
Nikolaus Harnoncourts und Jürgen Flimms „Così“-Produktion
1990 in Amsterdam · Von Werner Burkhardt
„Stück-Werk“ heißt die
neue Serie der nmz, in der Autorinnen und Autoren ihr ganz persönliches
Porträt einer Komposition zeichnen, das ihnen besonders am
Herzen liegt, von einer denkwürdigen Aufführung erzählen
oder ihre erste Begegnung mit einem Stück Musik schildern.
Den Auftakt macht der Musikjournalist Werner Burkhardt mit einer
Hommage an die Amsterdamer Così-fan-tutte-Produktion aus
dem Jahr 1990. In der kommenden Ausgabe porträtiert der Charles-Ives-Experte
Wofgang Rathert dessen „Orchestral Set No. 2“ anlässlich
des 50. Todestages des amerikanischen Komponisten
Leonard Bernstein ist nie ein ferner Maestro gewesen. Er hat mit
jedem geredet und, was ja noch seltener ist, jedem zugehört.
Freiwillig gab er ab von dem, was ihn die Musik und nicht zuletzt
das Leben gelehrt haben. Er schwelgte nicht nur im eloquenten Ausbreiten
der großen Zusammenhänge. Auch scheinbar beiläufig
geäußerte Aphorismen hatten es in sich. Vor Jahren, als
ihn das Schleswig-Holstein Musik Festival oft in Deutschlands Norden
lockte, erzählte er mir einmal: „Es gibt drei Opern,
die leben auf ihrem eigenen Planeten, und auf diesem Planeten gibt
es nichts und niemanden außer dieser Oper. Das sind „Tristan“,
„Carmen“ und „Così fan tutte“.
Es lohnt sich, über dieses kurze Statement ein wenig länger
nachzudenken, und siehe da: Bernstein hat Recht. Jeder dieser drei
Sterne leuchtet hoch oben am Firmament der künstlerischen Herausforderung,
und Freunde des Musiktheaters glauben zu wissen, dass der von Mozart
bevölkerte am schwersten erreichbar und voller Fußangeln
ist.
Der Regisseur Jürgen Flimm wagte die Reise, wurde wohl auch
durch einen aktuellen Anlass zu dieser Fahrt ermuntert. Am 26. Januar
1790 hatte „Così fan tutte“ in Wien Premiere.
Fast auf den Tag genau zweihundert Jahre später gratulierte
das Opernhaus in Amsterdam dem Werk zum Geburtstag. So begann Flimms
Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt… nicht als zögerlicher
Annäherungsversuch, sondern auf einem Niveau, auf dem der Olymp
eine verdammte Ähnlichkeit mit der Zirkuskuppel annimmt und
der Absturz droht.
Gezähmter Kampfgeist
Aber sie sind nicht abgestürzt. Harnoncourt der in jenen
Tagen mit Miles Davis ja gemein hatte, dass er mal faszinierte,
mal ärgerte, aber nie gleichgültig ließ… er
bescherte so manchem Hörer ein Saulus-Paulus-Erlebnis. Wer
bisher vom Kampfgeist eines Ausschließlichkeits-Fanatikers
auch schon mal befremdet war, lag von jetzt ab einem Dirigenten
zu Füßen, dem der Knopf aufgegangen war, der es im Orchester
singen und blühen ließ und dabei immer ganz für
die Bühne da war. Kein Zweifel: Harnoncourt genoss seine Rolle
als Theaterkapellmeister, und man hat allen Grund zu der Annahme,
dass der Sprechtheater-Regisseur Flimm ihn ermutigt hat, den Weg
vom Konzertanten zum Dramatischen noch konsequenter, noch freiheitsdurstiger
zu verfolgen.
Dabei fährt dem, der das neue Opernhaus in Amsterdam noch
nie zuvor betreten hat, erst einmal ein Schreck durch die Glieder.
Er blickt auf eine Riesenbühne, so mozartfern, wie sie bislang
nur in dessen Geburtsstadt Salzburg möglich schien. Cinemascope
droht. Die Breitwand lauert auf Menschen, die sie verschlucken kann
und man befürchtet das Schlimmste, rechnet damit, die sechs
Personen samt klitzekleinem Chor könnten sich bei so monumentalen
Ausmaßen nicht nur aus den Herzen, sondern auch aus den Augen
und vor allem, den Ohren verlieren. Man hat sich verrechnet, und
das gleich mehrfach!
Durchlüftete Intimität
Marivaux’ Nachbarn:
Verwirrung der Gefühle auf dem Reißbrett (Bühnenbild:
Rolf Glittenberg). Foto: Archiv
Lebhaft bewölkter Himmel weit, weit in der Ferne und vorn
an der Rampe eine runde Spielfläche von sechs Metern Durchmesser!
Sie liegt da wie eine überlebensgroße Dartscheibe, deren
Kreise, abwechselnd in Gelb- und Brauntönen gehalten, nicht
immer durchgehen, sondern tückisch unterbrochen sind. So werden
die Linien zu Wegen, die in das Innere eines Irrgartens führen.
Dies Reißbrett liegt in einer melancholischen, mit dunklen
Bäumen und Büschen bestückten Parklandschaft. Wasser,
ein richtiger kleiner See, umgibt den hellen Pavillon, der genau
in der Mitte steht und vielen Zwecken dient. Man kann durch sein
hohes Portal erbost auf die Bühne rasen oder sich kokett gegen
die Türrahmen lehnen. Man kann ihm aufs Dach steigen und skeptisch
das Nahe beäugen, verträumt in die Gegend blicken oder
mit dem Fernrohr zu erspähen trachten, wann endlich der Fesselballon
mit den ach so fernen Geliebten zurückgebracht wird, sich zur
Landung auf das Dach, von dem er aufgestiegen war, wieder herabsenkt.
Das Bild, von Rolf Glittenberg geschaffen, ermöglicht Konzentration
auf knappstem Spielraum. Gleichzeitig durchlüftet es die Intimität.
Ihm antwortet der Klang. Das Orchester ist bis fast auf die gleiche
Höhe der ersten Parkettreihe gefahren, in den Streichern überraschend
stark besetzt. Aber nichts von Überpräsenz und Dicke!
Harnoncourt hält diesmal sein Akkuratesse frei von aller Pingeligkeit.
Er wagt die langsamsten Tempi, strandet aber nicht in ihnen. Er
gönnt seinen Stimmen ritardandoseligen Auslauf, nimmt sie aber,
wenn es des Guten zuviel werden könnte, liebevoll wieder in
die Pflicht, lässt Begleitfiguren dazwischenfahren wie rhythmische
Explosionen. Dabei kann es passieren, dass er auch mal richtig einen
draufmacht. Den Sechsachteltakt bei den Despina-Arien nimmt er fast
mittanzend, als dörflich derben Ländler, der nun überhaupt
nichts pastellgetönt Mediterranes, sondern etwas Alpines, ja
Salzburgisches hat. Das passt genau. Denn Despina, das Kammerkätzchen,
ist Anna Steiger, und diese hochkarätige, bannende Singschauspielerin
ist weder Soubrette noch Trampel, weder schnippisch noch signalisiert
sie Klassenkampf. Die realistische Gegenposition, die sie zu den
verschwärmt Liebenden einnimmt, gründet sich auf dunkleren,
skeptischeren Humoren. Auch ihr Vater, der Filmschauspieler Rod
Steiger, hat ja mit einfachen Lösungen nie etwas im Sinn gehabt.
Im Übrigen lässt Jürgen Flimm keinen Zweifel daran,
dass das Nachbargrundstück am See von Monsieur Marivaux bewohnt
wird. Er siedelt die seltsam bekannte, in den letzten Jahren auch
schon mal ein wenig mürbe gegrübelte Geschichte durchaus
in einem 18. Jahrhundert an, für das Marianne Glittenberg leuchtende,
nie grelle Kostüme schuf. Dezent legt der Regisseur die Netze,
scheint als Fallensteller zunächst Beobachter und spielt sich
nicht gleich, kaum ist der Vorhang offen, als umflorter, alles wissender
Misanthrop auf.
Doch bald versendet er Signale, kündigt sich auf der Bühne
schwer Entwirrbares an. Von den fremden Liebhabern bedrängt,
kochen die Damen vor Wut, ziehen sie den Degen. Da kriegt der Grimm
schnell etwas Belauerndes, ist erfüllt von einer so verräterischen
Leidenschaft, dass man als Subtext dieses weltweise Chanson von
Friedrich Hollaender zu hören glaubt … „Ich weiß
nicht, zu wem ich gehöre.“
Regie-Assistent Mozart
Nach ihren großen Ausbrüchen ziehen sich die Damen
gern an den Rand des Runds zurück, nehmen am zierlichen Tischlein
Platz, schlürfen Kaffee. Dorabella (sehr apart: Iris Vermillion)
wälzt sich auf dem Boden. Fiordiligi (Charlotte Margiano) beginnt
ihr „Come scoglio“ nicht im Ton des Triumphs, sondern
mit einer ganz nach Innen genommenen Verzagtheit, die Sicherheit
eher vorspielt als besitzt. Da merkt man, wie musikalisch der Regisseur
ist. Schließlich hat der Komponist im Orchester wohl Trompeten,
aber keine Pauken vorgeschrieben. Flimm: „Ich hatte eben den
besten aller Regie-Assistenten: Mozart.“
Das verschlungene Bodenmuster, über das sonst alle bedenkenlos
hin und her laufen, wird ein einziges Mal als verpflichtende Bindung
wahrgenommen: wenn Ferrando (mit blühendem, nie süßlichem
Tenor: Laurence Dale) den „Odem der Liebe“ besingt.
Nachdenklich setzt er Fuß vor Fuß, zögert, geht
in die Irre. Zum Kern der reinen, von Zweifeln freien Liebe stößt
nur vor, wer sich ständig bewusst macht, dass er ein Labyrinth
durchwandelt.
Und schließlich Fiordiligis „Per pietà“!
Selten habe ich das Stück so herzbewegend gehört wie von
Charlotte Margiano. Kaum je hat aber ein Regisseur seiner Primadonna
eine Arie so gestellt. Alles folgt dem Gang der Musik. Das Adagio
ist ganz kniendes Gebet. Mit dem Allegro moderato setzt Bewegung
ein. Fiordiligi watet durch das Wasser, und auch sie betritt nun
einen Ort der Handlung zum ersten Mal, ein einziges Mal… sie
setzt sich in den Kahn, lässt nach einer Pause des Träumens
den Sand durch die Finger rinnen, wirft am Ende eine Handvoll platschend,
wie mit einem sich aufraffenden „Na wenn schon“ in den
See. Die Robe vollgesogen mit schwarzem, schwerem Wasser, kommt
sie an Land. Und wendet sich dem Leben wieder zu.
Danach Ovationen. Auch das Orchester applaudiert. Nach dieser
Arie. Mitten im Stück. Wie ein Fan-Club, und das ist ja ein
Wunder innerhalb eines Wunders.
P.S.:
1987 war ich wegen einer Neu-Einstudierung von Luc Bondys „Così“
nach Brüssel gefahren, war hin-, aber auch hergerissen und
hatte Schwierigkeiten, meine gemischten Gefühle in Worten
festzuhalten.
Ein paar Tage später, bei einem Gartenfest in München,
traf ich Loriot. Der nahm mich beiseite und sagte: „Wissen
Sie, Herr Burkhardt… was Sie da neulich über die „Così-fan-tutte“-Aufführung
geschrieben haben… das habe ich nicht verstanden“.
So höflich und grausam hat mir noch nie jemand zu verstehen
gegeben, dass ich Unsinn zu Papier gebracht hatte.