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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 14
53. Jahrgang | September
Musikwirtschaft
Drei Marken unter einem Firmendach
Neue Produktpalette und Marketingstrategie beim Braunschweiger
Klavierhersteller Schimmel
Noch immer befindet sich die deutsche Klavierbranche in einer
Absatzkrise. Bedroht durch das schwierige allgemeine wirtschaftliche
Umfeld, die immer schneller immer mehr produzierende fernöstliche
Konkurrenz. Bedroht nicht zuletzt durch ein schwindendes Kulturbewusstsein
in der deutschen Bevölkerung. Geld ist da, aber lieber gibt
man es für Mode oder Computer aus, als für ein Musikinstrument.
Doch die deutschen Klavierhersteller schlafen nicht: Vielerorts
werden neue Wege gesucht, um in einem sich anbahnenden Verdrängungswettbewerb
standhalten zu können. Die neue musikzeitung besuchte den größten
deutschen Hersteller, die Firma Schimmel in Braunschweig.
High-Tech und Handarbeit:
Beim Klavierbau ist beides nötig. Foto: Schimmel
Das Gründungsjahr von Schimmel 1885 fiel in eine Boomzeit.
Das Klavier war damals zentraler Bestandteil des Lebens, auch im
Leben der „einfachen“ Leute. Schimmel war zu Beginn
nur eine unter hunderten Marken in Deutschland und auch nur eine
von vielen am Gründungsstandort Leipzig.
In einem Katalog aus der Jahrhundertwende stand zu lesen: „Schimmel
Pianos – Qualitätsinstrumente für einen mittleren
Preis“ . Eine für die Marke entscheidenden Schritt stellte
1935 die Konzentration auf das rastenlose Kleinklavier dar. Diese
von Schimmel patentierte Bauweise ermöglichte die Herstellung
von kleinen, leichten und günstig zu produzierenden Klavieren.
Der „Käfer“ unter den Klavieren war geboren. Aus
dieser Zeit stammt das Image „Schimmel gleich Produzent von
Massenware“.
Heute liegt der Anteil der Braunschweiger Firma an der deutschen
Produktion über 30 Prozent – Schimmel ist der Marktführer.
Was das heißt wird klar, wenn man weiß, dass weltweit
pro Jahr etwa 450.000 Instrumente (Klaviere und Flügel) verkauft
werden. Davon 9.000 in Deutschland. 30 Prozent des Exports machen
Klaviere aus, 70 Prozent Flügel. In Zahlen sind das etwa 1.700
Klaviere und 400 Flügel. Dazu kommen 200 Flügel der neuen
Linie Vogel by Schimmel. Geht man davon aus, dass etwa 50.000 Flügel
jährlich weltweit gekauft werden, dann hat Schimmel hier einen
Marktanteil von etwa 1,3 Prozent.
Und den will man mit einer völlig neuen, auf der Musikmesse
2004 vorgestellten neuen Produktpalette inklusive Marketingstrategie
ausbauen. „Qualität statt Quantität“ heißt
das neue Motto.
Während einer Führung durch das Unternehmen erklärt
Geschäftsführer Hannes Schimmel-Vogel die Innovationen:
„Zur Zeit gibt es im Markt zwei Tendenzen zu beobachten: 1.
Das Premiumsegment wächst konstant. 2. Geiz ist geil: billige
Produkte gehen gut.“ Schimmel-Vogel zieht daraus die Konsequenz:
„Nimmt man den Markt als Pyramide, dann muss eine Marke in
allen Bereichen präsent sein – am Fuße, in der
Mitte und in der Spitze.“
Innerhalb der vergangenen fünf Jahre hat Schimmel ein komplett
neues Flügelprogramm erarbeitet. Erklärtes Ziel ist es,
zum Premiummarktsegment, das von Steinway, Yamaha, Bösendorfer,
Fazioli und Kawai beherrscht wird, aufzuschließen. Der Anfang
sei gemacht, lässt das Unternehmen verlautbaren, seit 1999
habe man im Markt der Premiuminstrumente stark zugelegt und komme
auf etwa 25 Prozent Marktanteil in diesem Segment.
Ein wesentlicher Schritt auf diesem Weg ist mit der Teilung der
Marke Schimmel in drei Linien erfolgt: Schimmel Konzert, Schimmel
Classic und Vogel by Schimmel. Unter dem Signet Schimmel Konzert
sind alle Instrumente zusammengefasst, die zur konzertanten Anwendung
entwickelt wurden. Neben den Flügeln sind dies auch neue Konzertklaviere.
Schimmel Classic Pianos sind die meistgekauften Klaviere deutscher
Herkunft. Sie stehen für zeitgenössisches Klavierbaukunsthandwerk
und den Einsatz im privaten und institutionellen Bereich, wie etwa
in Schulen und Musikschulen. Vogel by Schimmel rundet das Produktangebot
des Braunschweiger Klavierbauers ab: Das Signet steht für ein
hochwertiges Instrument aus deutschen Komponenten, die in einem
Schimmel eigenen Werk in Polen kostengünstig zu einem wettbewerbsfähigen
Instrument zusammengefügt werden.
Vogel-Schimmel bestätigt: „Der Handel drängt nach
wie vor auf Menge. Heute werden nicht weniger Klaviere verkauft
als früher. Allerdings ist man im deutschen Markt mit den höchsten
Qualitätsansprüchen konfrontiert.“
Nach den bekannten Designer-Flügeln von Otmar Alt, Luigi
Colani oder dem Glasflügel von Schimmel gefragt, bestätigt
Vogel-Schimmel auch hier befriedigende Absätze. Allein aufs
Design als Innovation setzt man schon lange nicht mehr: Dazu Gabriela
Schimmel, seit 1994 im Management des Familienunternehmens: „Die
Design-Nische ist eine gefährliche Schiene. Man kann schnell
aus der Mode kommen und wird qualitativ nicht ernst genommen.“
Beim typischen Klavier-Kunden sei Innovation im Übrigen wenig
gefragt. Instrumente aus alternativen Materialien wie Glas oder
Kunststoff bleiben immer kleinen Serien vorbehalten.
Bei den elektronischen Innovationen hat die deutsche Klavierindustrie
bereits den Zug verpasst, als vor 40 Jahren die ersten elektronischen
Instrumente auf den Markt kamen. Schimmel hat zwar in den 60er-Jahren
Heimorgeln gebaut, „wir hatten jedoch keine Chance, mit dem
Stand der Technik Schritt zu halten”, gibt Hannes Schimmel-Vogel
unumwunden zu. Der Marktführer Yamaha – „der Steinway
der Elektronik“ – ist mit 24,9 Prozent Gesellschafter
beim Familienunternehmen Schimmel.
Schimmel gehört zu den industriellen Musikinstrumentenherstellern.
Dass Klavierbau aber nach wie vor Handwerk, sogar Kunsthandwerk
ist, wird auch dem Laien beim Rundgang durch die Fertigungshallen
klar. Das Kapital des Unternehmens ist der hochqualifizierte Mitarbeiter,
der mit Liebe und Kreativität am Produkt arbeitet.
Zu den 220 Mitarbeitern, von denen ein hoher Prozentsatz ausgebildete
Klavierbauer, Holztechniker oder Schreiner sind, zählen 20
Lehrlinge. Es ist kein Zufall, dass man mit motivierten und qualifizierten
Mitarbeitern wie hier in Braunschweig auf „Nebennischen mit
Zukunft“, so Vogel-Schimmel, schneller reagieren kann. So
stellen die Klavierbauer „nebenher“ auch noch Möbel
für den Edel-Versand Manufaktum her.
40 Prozent der gesamten deutschen Klavierproduktion kommen aus
Braunschweig. Das ist nicht nur Schimmel mit 30 Prozent, sondern
auch das bereits 1835 gegründete Unternehmen Grotrian-Steinweg.
Obwohl Mitbewerber in einem hart umkämpften Markt, hoben die
beiden Firmen 2003 gemeinsam ein originelles und von insgesamt 10.000
Besuchern frequentiertes Klavierfestival „Tastentaumel“
aus der Taufe (siehe
auch nmz 11/2003).
In einer Zeit, in der Massenmedien und Freizeitindustrie das Zeitkontingent
der Menschen mehr und mehr für sich in Anspruch nehmen, sicher
eine Idee, die sich langfristig für beide Unternehmen auszahlt:
Das Thema Klavier, überhaupt das Thema Musik und Selber-Musizieren
wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rücken.