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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 13
54. Jahrgang | März
Kulturpolitik
NDR Kultur – Neues von der Norddeutschen Tiefstebene
Über die öffentlich-rechtliche Ignoranz gegenüber
Kritik
Karl Kraus schrieb einmal: „Wenn die Sonne der Kultur niedrig
steht, werfen selbst die Zwerge lange Schatten.“ Die Wirkungsmächtigkeit
dieser Schnellanalyse hat sich auch im Rundfunk des Nordens, bei
NDR Kultur durchgesetzt. Anders lässt sich nicht interpretieren,
mit welchen Mitteln auch der Rundfunkrat des Norddeutschen Rundfunks
die Kritik an seinem „Kultur“-Programm, ausgehend von
der Initiative „Das GANZE Werk“ (www.dasganzewerk.de),
abgebügelt hat.
Nur das halbe Werk. Montage:
Hufner
Die Vorsitzende des Rundfunkrates, Dagmar Gräfin Kerssenbrock
(als Vertreterin des Landesnaturschutzbundes Schleswig-Holstein),
äußerte sich in einem Brief gegenüber der Initiative
folgendermaßen: „Die Fülle der Beschwerden und
die aufgeführten Details und Verbesserungsvorschläge,
mit denen sich der Programmausschuss u.a. in einer eigenen Arbeitsgruppe
befasst hat, ändern (…) nichts an der grundsätzlichen
Feststellung des Programmausschusses, dass die eingeleitete Reform
und Neuorientierung des Programms richtig gewesen sind. Ein weiterer
Handlungsbedarf jenseits der regulären Programmbeobachtung
und des gefassten Beschlusses wird daher nicht gesehen.“ Die
Kritik der Initiative „Das GANZE Werk“ sei im Prinzip
insgesamt hinfällig, weil man sich im Internet auch satirischer
Mittel bedient habe. Diese seien geschmacklos gewesen, so die Rundfunkratsvorsitzende:
„Die niveauvolle Ebene, auf der Gespräche über Kulturthemen
geführt werden sollten, wurde damit verlassen und macht eine
weitere Diskussion unmöglich.“ Wer hier die Hoheit über
den Begriff des Niveaus hat, ist offensichtlich und absurd; dazu
später.
Wer
die Kritik der Initiative „Das GANZE Werk“ am Programm
von NDR „Kultur“ nachliest, wundert sich dann schon.
Sie ist in der Regel sehr differenziert, an Fakten orientiert und
immer gekennzeichnet gewesen durch die Suche eines Gesprächs
mit den Verantwortlichen des Senders. Dieser jedoch verweigert beharrlich
das Gespräch. Dass nun der Rundfunkrat seinerseits einseitig
die Kritik ablehnt, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Die Aufgabe
des Rundfunkrates besteht gerade in einer möglichst unabhängigen
Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diese Aufgabe
ist unter anderem so definiert: „Der Rundfunkrat vertritt
die Interessen der Allgemeinheit im Sendegebiet des NDR. Dabei berücksichtigt
er die vielfältigen Meinungen der Bürger und Bürgerinnen.“
Es steht da, er „berücksichtigt“ die Meinungen;
es steht dort nicht, dass er sie „ignoriere.“ Was also
ist von so einem Rundfunkrat zu halten, der offenbar gegen seine
ureigenen Prinzipien verstößt?
Bei der Initiative „Das GANZE Werk“, die übrigens
über 1.600 Mitglieder vereinigt, darunter viele namhafte Persönlichkeiten
aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wie auch eine große
Anzahl Mitglieder von Chören und Orchestern, zeigte man sich
über diese Reaktion des Rundfunkrates enttäuscht. Man
hat das eigentliche Ziel, die Veränderung des Programms von
NDR „Kultur“, nicht erreicht.
Dennoch macht die Initiative weiter. In letzter Zeit werden in
der Tat genaue Protokolle des Sendeablaufes akribisch notiert. Und
damit ist man wieder bei der Satirefrage. Für den 11. Februar
2005 protokollierte man folgende Konstellation: Nach dem Abspielen
eines Satzes aus Beethovens dritter Sinfonie erklärt der Moderator:
„‚Es ist überhaupt unmöglich in der Musik
Beethovens, nicht die Musik eines Betrunkenen zu erblicken. Nichts
davon wird bleiben.’ So hat es ein Konzertkritiker einmal
geschrieben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ja,
und ich sag nur: Alle Fakten sprechen gegen diese Einschätzung.
Wir haben den 11.2.2005 und hörten eben den dritten Satz der
Sinfonie Nr. 3 Es-Dur, der Eroica, von Ludwig van Beethoven, und
das in einer Aufnahme mit dem NDR-Sinfonieorchester und Günter
Wand am Pult.“ [O-Ton, NDR Kultur] Theodor Clostermann, Sprecher
der Initiative, kommentiert dazu: „Der Moderator hätte
mal lieber den Mund gehalten! Der 1. und der 2. Satz und beinahe
auch der 4. Satz der Eroica scheinen bei NDR Kultur tagsüber
nicht zu existieren. Nach den Programmfahnen seit Mitte Mai 2004
gab es an diesem Freitag zum sechzehnten Mal einen Ausschnitt aus
der Eroica. Es war jedes Mal der dritte Satz, das Scherzo, zu hören,
am 7. Juli 2004 gnädigerweise außerdem noch der vierte
Satz.
Bei NDR Kultur gibt es nur zwei Interpretationen: die gesendete
mit dem NDR-Sinfonieorchester unter Günter Wand (zwölfmal)
und eine mit den Berliner Philharmonikern unter Claudio Abbado (viermal).
Die Daten: 17.5.04, 27.5.04, 22.6.04, 7.7.04, 23.8. 04, 5.10.04,
29.10.04, 31.10.04, 26.11. 04 (2mal), 4.12.04, 6.12.04, 8.12.04,
6.1.05, 19.1.05 und jetzt am 11.2.05. Am 26.11.04 wurde der 3. Satz
vormittags in der einen und nachmittags in der anderen Interpretation
gesendet. Zur Erinnerung: „‚Nichts davon wird bleiben.’
– Ja, und ich sag nur: Alle Fakten sprechen gegen diese Einschätzung.
Armer NDR Kultur…“
Nein, das ist keine erfundene oder nachgestellte Szene. Das ist
die Realität des norddeutschen „Kultur“-Funks.
Zurück zum Anfang: Was ist von einem Rundfunkrat zu halten,
der dennoch hartnäckig daran festhält, dass derlei Kritik
„nichts an der grundsätzlichen Feststellung des Programmausschusses
ändert, dass die eingeleitete Reform und Neuorientierung des
Programms richtig gewesen sind“? Da muss jemand schon eine
wirklich lange Leitung haben und auf den Ohren sitzen; oder zumindest
nicht das Programm hören, welches da verhandelt wurde.