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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 6-7
54. Jahrgang | März
Stüclwerk
Die Grenzen des Celloklangs überschreiten
Siegfried Palm über Schlüsselwerke seiner Karriere
und Meilensteine der Neuen Musik
Der 1927 in Wuppertal geborene Siegfried Palm gehört zu
den bedeutendsten Interpreten Neuer Musik. Seine instrumentale
Meisterschaft, seine Kompromisslosigkeit bei der Umsetzung der
Anforderungen selbst komplexester Partituren machten das Violoncello
zum bedeutendsten Avantgarde-Instrument seit den 60er-Jahren.
Als Vorabdruck aus Michael Schmidts Anfang April bei ConBrio
erscheinendem Gesprächsporträt „Capriccio für
Siegfried Palm“ präsentiert die neue musikzeitung einige
Ausschnitte aus dem Kapitel „Musikalische Grenzübergänge“,
in dem Palm seine Erfahrungen mit epochemachenden Werken und ihren
Komponisten schildert. Zunächst steht Bernd Alois Zimmermann
im Mittelpunkt.
Palm: In Köln gab es einen Hornisten, Fritz Straub,
der ein fanatischer Verfechter der Musik für Blasorchester
war; der organisierte öfters Konzerte. Unter anderem auch eines
im Börsensaal der Handelskammer. Und so rief Straub mich in
Hamburg an, er hätte von diesem Konzert von Zillig für
Cello und Blasorchester gehört – das sei genau das, was
er bräuchte; ob ich Lust hätte, es in Köln zu spielen.
Ein Termin wurde schnell gefunden, und ich sagte gerne zu.
Das war mein allererstes Auftreten mit Neuer Musik in Köln
überhaupt (1956). In der Pause kam ein schon etwas weißhaariger
Herr herein und ich fragte mich: Woher kenn‘ ich den nur?
Bevor er etwas zu mir sagte, wusste ich schon, dass ich von ihm
mal etwas gespielt hatte, und kam darauf, dass es Zimmermann war.
Er gratulierte mir, wir kamen ins Gespräch und er fragte, ob
ich Interesse hätte, mir eine Partitur anzusehen; er habe da
ein Stück. Es war der „Canto di Speranza“, der
schon durch die Hände von allen damals berühmten Cellisten
gegangen war – absolut unspielbar. Auch Mainardi war dieser
Meinung. Das vermied Zimmermann natürlich, mir zu sagen. Vielmehr
schickte er mir die Partitur, und ich bekam schon einen Schreck,
als ich sah, in welche abstrusen Höhen das führte. Ich
hatte nun aber schon mit Freuden zugesagt, ohne die Vorgeschichte
des Stückes zu kennen.
Zimmermann
Schmidt: Als Ihnen Zimmermann das Stück anbot, wussten
Sie also nicht, dass die Entstehungsgeschichte ein wenig verwickelt
war und Adolf Steiner es schon 1953 als Cellokonzert unter Rosbaud
uraufgeführt hatte?
Palm: Nein, das wusste ich nicht. Damals nicht.
Schmidt: Später sagte Zimmermann dann interessanterweise,
dass er es im Grunde genommen schon damals in der späteren
Form geplant hatte, aber dass es ihm erst möglich wurde,
diese eigentliche Urfassung zu realisieren, als er Sie kennen
lernte.
Palm: Ja, das stimmt. Das kann man so sagen. Ich habe das
ja auch nicht gewusst.
Schmidt: Sie haben das Stück also als neues Stück angesehen…
Palm: Ziemlich lange sogar! Am 17. April 1958 war die Aufnahme im
Südwestfunk angesetzt, es dirigierte Ernest Bour – aus
dieser Produktion resultierte übrigens diese große Freundschaft
zwischen Bour und mir. Wir verstanden uns blind…
Schmidt: Ihre nächste Zimmermann-Uraufführung
war dann die Solosonate?
Palm: Noch im selben Jahr, 1958, kam die Anfrage von Zimmermann,
ob ich Lust hätte, mit dem Süddeutschen Rundfunk ein Stück
von ihm uraufzuführen. „Ich würde gerne eine Solosonate
für Sie schreiben“, sagte er. Ich war begeistert, und
so entstand das Schlüsselstück meiner Karriere. Es waren
zunächst drei Sätze, und die habe ich sehr gründlich
und schön erarbeitet. Im Februar oder März 1960 (die Uraufführung
war für April angesetzt) rief Zimmermann bei mir an und teilte
mir mit, er habe noch „ein paar winzig kleine Zusätze“,
ein paar „Erweiterungen“, die wir zusammen besprechen
könnten. Ich konnte aber nicht weg, weil im Orchester zu viel
zu tun war. Er kam dann zu mir, wir waren im Studio, und er packte
die beiden Zusätze aus: Es waren der vierte und der fünfte
Satz, die absolut schwierigsten Teile! Der fünfte Satz ging
bis zum fünffach gestrichenen c hoch. Heute lache ich drüber.
Damals aber war das absolut beängstigend. Da hatten wir übrigens
den ersten richtigen Krach. Ich sagte zu ihm: „Wie stellen
Sie sich das vor? Wie soll ich das in der verbleibenden Zeit noch
schaffen?“ Er erwiderte: „Ja, ich weiß, dass das
verrückt ist, was ich verlange, und ich muss mich entschuldigen.“
Dann fragte er: „Werden Sie es schaffen?“ – „Natürlich
werde ich es schaffen“, sagte ich, „und wenn ich Tag
und Nacht übe.“ Aber ich war wirklich ein bisschen böse.
Ich würgte mich von Takt zu Takt. Der vierte Satz war einfach
nicht zu machen. Er ließ mich mit diesen Zusätzen hoffnungslos
alleine…
Schmidt: Wie wirkte das Stück auf Sie?
Palm: Nach dem letzten Satz gibt es keinen Beifall, weil
das Publikum so fasziniert ist von der Kraft dieser Musik, dieser
ganz einsamen, total hoffnungslosen Musik. Da habe ich zum ersten
Mal Zimmermanns Freitod zehn Jahre später verstanden. So eine
Verzweiflung habe ich noch nie erlebt. Es hat denselben Charakter
wie die „Soldaten“. Das Cello war ja für ihn das
Schlüsselinstrument schlechthin. Die ganze Soldatenpartitur
resultiert aus der Solosonate. So wie das Requiem aus „Intercomunicazione“
entstanden ist. [...]
Penderecki
Schmidt: Eine enge persönliche und künstlerische
Beziehung verbindet Sie mit Krzysztof Penderecki. Wie lernten
Sie sich kennen?
Palm: Ich habe Krzysztof erst kennen gelernt, nachdem ich
schon sehr viel von ihm gespielt hatte. Die erste Komposition, die
er für Cello schrieb, war die Sonate für Cello und Orchester.
Er nannte sie ganz bewusst so. Wie es dazu kam? Strobel, der legendäre
Musikchef des Südwestfunks, hatte schon für Aufführungen
von Pendereckis „Fluorescences“ und „Polymorphia“
gesorgt, sodass seine Musik, seine ungewöhnliche Musik nicht
nur mir, sondern uns allen in Deutschland und in Mitteleuropa bekannt
war. Meine Bewunderung für ihn war grenzenlos. Ich hatte ihm
das auch einmal schriftlich mitgeteilt. Es kam aber nie zu einer
persönlichen Begegnung. Die sollte erst möglich werden,
als Strobel den Wunsch hatte, dass Penderecki etwas für mich
schrieb, was dann in Donaueschingen uraufgeführt werden sollte.
Dazu kam es allerdings längere Zeit nicht, weil Krzysztof meistens
für Geige schrieb und ihm das Cello immer ein bisschen fremd
war. Ich glaube, die erlösende Situation ergab sich bei einem
Weltmusikfest der IGNM: das Konzert 1963 in Amsterdam. Da spielte
ich die Solosonate von Zimmermann, und anwesend waren Krzysztof
und Strobel als damaliger Präsident der IGNM. Danach sagte
Krzysztof: „Jetzt weiß ich ganz genau, wie ich für
Cello schreiben muss.“ Er hatte überhaupt nichts mit
Zimmermann gemein, aber der hatte ihm die Tür geöffnet
oder den Schlüssel gegeben, wie man etwas für Cello schreiben
kann. Dann kam ganz schnell die erwähnte Sonate.
Schmidt: …die ein Konzert war…
Palm: Ja, Strobel rief an und sagte: „Ich habe jetzt
die Partitur.“ Und dann sauste ich erst einmal nach Baden-Baden,
um die Partitur einzusehen. Und nun musste ich mir alles selbst
erarbeiten, denn Erklärungen gab es nicht. Penderecki war krank.
Am Telefon murmelte er nur etwas, was wir nicht verstanden. Wir
mussten den Klang erahnen, uns darüber klar werden, was er
wohl meinte mit diesen merkwürdigen Zeichen. Dass die Musik
archaisch dröhnte, war klar, aufgrund der Notierungen. Wie
sich überhaupt häufig in der Neuen Musik allein der Klang
und auch die Qualität eines Werkes durch das Studieren der
Notierung herausstellen. Was ich früher nie glauben wollte,
ist ein Faktum: dass man nämlich schon erkennt, um was es geht,
wenn man die Notation versteht. Und diese Notierung der langen Balken,
der Penderecki’schen Balken, der Cluster, die ja phänomenal
sind – es war von vorneherein klar, dass hier etwas ganz Besonderes
auf uns und den Hörer zukam. Aber erklärt hat er mir grundsätzlich
nichts. Das muss ich leider sagen. Ich war ziemlich auf mich gestellt.
Schmidt: Es kommt also auf den Interpreten an, was aus
solch neuartiger Musik wird?
Palm: Ohne Zweifel. Aber das ist doch immer so. Das ist
bei einem Haydn- oder Dvorák-Konzert genau dasselbe. Auch
da muss der Interpret seine Position einnehmen und sich dem Werk
stellen. Das ist nichts Neues. Nur hier war die Situation insofern
neu, als dass die Sonate überhaupt noch nie jemand gehört,
gesehen oder gelesen hatte. Es war sicherlich auch Glück, dass
ich den richtigen Weg fand und in Ernest Bour einen wunderbaren
Partner hatte. [...] Ich habe viel von ihm gelernt, unheimlich viel.
Und Strobel hatte einfach einen Narren an mir gefressen, was ich
sehr sympathisch fand. Er hat viel für meine Karriere getan.
Er wollte, dass Penderecki für mich ein Stück für
Cello und Orchester schreibt. Dieser Wunsch ist dann mit der Sonate
in Erfüllung gegangen.
Schmidt: …die dann in Donaueschingen uraufgeführt
wurde.
Palm: Leider war Krzysztof wieder nicht dabei. Er hatte
eine schwere Lungenentzündung, blieb also in Krakau. Die Uraufführung
ist eine kurze Erzählung wert. Wie immer wurde im Südwestfunk
mit äußerster Sorgfalt und Akribie probiert. Das Stück
dauert nur elf Minuten. Wir haben wie wild probiert und es war für
das Orchester zunächst nicht ganz einfach, diese Vierteltöne
so zu spielen, dass sie gewollt und nicht wie falsche Musik klingen.
Das war auch für mich nicht ganz leicht. Ich weiß noch,
dass Heinz Josef Herbort in der „Zeit“ ungefähr
Folgendes schrieb: „Es dauerte einige Zeit, bis man sich an
die Klänge gewöhnt hatte.“ Er dachte wahrscheinlich:
Mein Gott, der Palm spielt ja scheußlich unsauber. Bis einem
plötzlich klar wird: Das ist nicht unsauber, das sind die Töne
dazwischen, die wir nur noch nie so gehört haben. Dann diese
unendlich vielen, aufregenden Geräusche: Klopf- und Schlaggeräusche,
die mit beiden Händen am Cello ausgeführt werden müssen,
was natürlich einem Geiger schwer fällt, denn wenn ein
Geiger mit beiden Händen auf den Hals schlagen soll, dann fällt
die Geige hinunter. Aber es kam schließlich zu der Aufnahme,
und Strobel war dabei. Nach diesen elf Minuten sagte er: „Es
gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird es ein Riesenskandal
oder ein Riesenerfolg.“
Schmidt: Dachten Sie das auch?
Palm: Ich war viel zu aufgeregt, um überhaupt eine
Meinung zu haben, was daraus würde. Es wurde tatsächlich
ein Riesenerfolg, die Leute in Donaueschingen tobten derartig, dass
wir das Stück sofort wiederholten, weil es so aufregend gut
gelungen war. Es ging dann sehr schnell seinen Weg. Die nächsten
Aufführungen waren in Polen mit Markowski, aber Krzysztof war
nie dabei. Allerdings wusste er von den Schwierigkeiten, die ich
mit den Orchestern hatte. Sie erstens zu überzeugen und ihnen
zweitens die Spielweise zu erklären, ohne oberlehrerhaft zu
sein. [...]
Schmidt: Fanden weitere Aufführungen im Ausland statt?
Palm: Ich erinnere mich an eine Aufführung bei der
BBC; da gab es monatlich eine Sendung: „My favourite concert“.
Dort spielten eingeladene Solisten zwei Konzerte. Ich hatte Penderecki
und Dvorák gewählt – ein schöner Gegensatz.
Edward Downes, inzwischen Sir Edward Downes, dirigierte. Wir hatten
ein phänomenales Orchester, das London Symphony Orchestra.
Es hatte aber noch nie Penderecki gespielt. Es gab nicht so sonderlich
viele Proben; ich erinnere mich nur an drei. Ich hatte es vorher
erklärt, und jetzt spielten wir es auf Verdacht einmal durch.
Der Erfolg war –, so etwas hatte ich noch nie erlebt –
dass das Orchester zum Teil die Instrumente weglegte und lachte.
Sie haben schallend gelacht, sich auf die Schenkel geschlagen vor
Lachen, sodass ich dachte: Jetzt kannst du einpacken und nach Hause
fahren. Dann haben sie aber ganz wunderbar gearbeitet, weil es Profis
sind. Das vergesse ich auch nie: sich zuerst einmal richtig auslassen
über diese ungewöhnlichen Dinge, sich amüsieren und
lachen. Danach fanden sie es großartig… [...]
Schmidt: Andere Komponisten, die für Sie exemplarisch
für etwas stehen, zum Beispiel für Entwicklungsschritte,
die Sie gemacht haben, aber auch für Grenzüberschreitungen
oder gar Revolutionen – was bleibt da für Sie erwähnenswert?
Palm: Es bleibt sehr viel. Interessant ist es, wenn man
aufgefordert wird etwas aufzuführen, das seinerzeit sehr wichtig
war, heute aber nicht mehr eine so entscheidende Rolle spielt. Dazu
gehört zum Beispiel Hindemith, der meiner Ansicht nach absolut
verkannt wird. Ich habe kürzlich in Cottbus Hindemiths Konzert
von 1940 gespielt – das „große Konzert“,
wie wir immer sagen. Ich habe festgestellt, dass das ein enorm gutes
Stück ist. Der erste Satz ist ein bisschen brutal; er ist auch
der schwächste. Aber der zweite Satz ist so gut komponiert!
Und der dritte hat eben das, worüber wir schon sprachen: diesen
leichten Touch von Humor, wie es bei Hindemith sehr häufig
ist. Das ist schon außerordentlich.
Kagel
Dann natürlich Mauricio Kagels „Match“ von 1964
– ein epochales Stück, welches einfach so hervorragend
für Cello komponiert ist, dass einem die Worte fehlen …
so großartig ist es.
Schmidt: Für zwei Celli…
Palm: Ja. Kagel wollte ursprünglich ein Stück
für mich schreiben, daraus wurde dann „Match“ für
zwei Celli und Schlagzeug. Ursprünglich hatte er es für
mich und den Cellisten des Parrenin-Quartetts, Pierre Penassou,
geschrieben, der mit mir rein äußerlich eine gewisse
Ähnlichkeit hat: klein, untersetzt, vergnügt, sehr aktiv
und sehr lebendig. Er wollte diese beiden sehr ähnlichen Cellisten
haben. Die Schwierigkeit des Stückes hat aber bewirkt, dass
ein getrenntes Probieren in Paris und Köln gar nicht möglich
war.
So nahm er also einen Kollegen, der äußerlich der absolute
Gegensatz zu mir war – Klaus Storck: groß, schlank,
sehr ernst im Charakter. Auch das hatte seinen Reiz, diese beiden
so verschiedenen Cellisten einen Streit ausfechten zu lassen, ständig
gesteuert vom „Schiedsrichter“, dem Schlagzeuger Christoph
Caskel. Und das Aufregende ist nun, dass beide Celli (das Stück
dauert immerhin dreizehn Minuten) keinen einzigen Ton spielen, der
nicht irgendwie verfremdet, denaturiert wird. Nicht mit einfachen
Mitteln, am Steg oder Ähnliches, sondern zum Beispiel erzeugt
durch Berührung des Nagels mit der Saite oder unter der Saite.
Oder mit einem Halbflageolett, wo gar kein Flageolett möglich
ist. Das macht dieses Stück so exzeptionell wichtig für
Cello. Es bleibt ein hinreißendes Stück.
Schmidt: Eine echte Grenzüberschreitung des Celloklangs.
Palm: Absolut. Das sind Stücke, die alle in ein paar
Jahren entstanden sind: Pendereckis Sonate, „Match“,
das Cellokonzert von Ligeti (Uraufführung 1967 in Berlin) und
natürlich 1966 „Nomos alpha“ von Xenakis, eine
der größten Herausforderungen, die ich je erlebt habe.
Xenakis, Ligeti
Auch da war mir nicht sehr viel Hilfe vom Komponisten beschieden.
Er sagte nur zu mir: „Weißt du, es dauert dreizehn Minuten
und kann nur auf dem Cello gespielt werden. Es darf aber dreizehn
Minuten lang nicht eine Sekunde nach Cello klingen.“ Da war
mir klar, was ich zu tun hatte. Was dieser Mann wusste über
rein instrumentale Dinge, das kann man gar nicht beschreiben. Zum
Beispiel dass, wenn man ein a im pizzicato in der vierten Lage spielt,
mit dem ersten Finger auf der D-Saite, aber die Saite nicht an der
normalen Stelle zwischen Fingerdruck und Steg anzupft, sondern umgekehrt
zwischen Sattel und Finger, dass dann ein Drittelton tiefer plus
Oktave herauskommt, also ein gis, etwas höher mit Oktave darüber.
Das kommt in dem Stück ständig vor. Ich fragte ihn: „Woher
weißt du das, wieso weißt du solche Dinge?“ Er
antwortete: „Du darfst nicht vergessen, ich bin Physiker und
Mathematiker und dann erst Musiker. Natürlich weiß ich
das.“ Dieses Stück ist epochal, das finde ich nach wie
vor. [...]
Schmidt: Ein Meilenstein war sicher das Ligeti-Konzert.
Palm:
Oh ja, das habe ich weit über achtzig Mal gespielt [...] Wie
Ligeti mir das Cellokonzert erklärte, war köstlich. Ich
habe eigentlich nichts verstanden. Zum Anfang sagte er: „achtfaches
piano.“ – „Also unhörbar“, meinte ich.
Und Ligeti: „Nein! Acht piano, ja, aber doch nicht unhörbar!“
Er hatte ein unvorstellbar gutes Gehör. [...] Da fällt
mir eine wunderbare Geschichte ein. Ich spielte das Konzert in Mailand,
im ausverkauften großen Saal des Konservatoriums, mit Zoltan
Pesko am Pult. Das Orchester war sehr gut aufgelegt, wir hatten
gut probiert. Nun ist das Wesentliche beim Ligeti-Konzert, dass
du zu Anfang deine Nerven im Zaum hast. Sonst kommen nur Kratzer
oder gar nichts oder der Bogen zittert. Ich war so weit. Ich fühlte
mich sehr wohl und setzte den Bogen an. Und ich beginne mit dem
e, es war mucksmäuschenstill. Wundervoll. Ich spiele also und
erwische gerade die Andeutung eines e, es entwickelt sich ein bisschen
und plötzlich vom Rang hinten ein lauter Schrei: „Più
forte, amico!“ – Ich brach zusammen, das Orchester lachte
Tränen und das Publikum dann auch. Wir haben alle erst mal
gelacht, bis wir uns beruhigt hatten. Und dann wollte ich den Bogen
wieder ansetzen, doch jedes Mal fing wieder jemand zu lachen an.
Es dauerte ganz lange, bis es so weit war. „Più forte,
amico!“ – Unvergesslich.
Vorabdruck aus:
Capriccio für Siegfried Palm
Ein Gesprächsporträt von Michael Schmidt. Unter Mitwirkung
von Theo Geißler, Juan Martin Koch, Brigitte Palm und Ludwig
Harig
Paperback, ca. 192 Seiten, € 14,80 ConBrio
Verlagsgesellschaft, Regensburg, CB 1171, ISBN 3-932581-71-7
Erscheint zur Musikmesse Anfang April