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Ausgabe 2005/07
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Konzerte für KinderKonzerte für Kinder

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nmz 2005/07 | Seite 24
54. Jahrgang | Jul./Aug.
Musikvermittlung

Der plurale und integrative Ansatz ist vonnöten

Teil 2 des Artikels „Variation oder Invention – Was kann Musikvermittlung leisten“ (nmz 6/05, S. 24)

Konzertpädagogik

Die Konzertpädagogik umfasst das klassisch pädagogische Feld der education progammes. Es geht darum, altersspezifische (meist für Kinder und Jugendliche) Konzertprogramme oder besser -foren zur Musikerfahrung zu erarbeiten. Die Palette reicht vom Mitmach- und Mitsing-Ereignis, das eher in der musikalischen Früherziehung anzusiedeln ist, bis hin zu dramaturgisch durchgestalteten Konzerten mit Orchester, Geschichtenerzählern, Clowns, Jongleuren et cetera. Das moderierte Konzert, das Familienkonzert wie auch die ausführliche Konzerteinführung gehören ebenfalls in diesen Arbeitsbereich.

Vermittlung jedoch braucht langfristige stete Bemühung. Ein einziger Kinderworkshop wird selten nachhaltige musikalische Elementarerfahrungen auslösen. Ein ausgeprägtes Beispiel konzertpädagogischer Arbeit war die Aufführung der Oper „Brundibár“ bei der Biennale Bern 2001. „Brundibár“, 1938 vom tschechischen Komponisten Hans Krása nach einem Libretto von Adolf Hoffmeister komponiert, ist eine Kinderoper über zwei Geschwister, die die Kraft der Gemeinschaft entdecken und den bösen Leierkastenmann Brundibár (eine Metapher für den Nationalsozialismus) besiegen. Die Oper wurde an der Biennale in mehrmonatiger Probezeit mit Kindern erarbeitet und in der Originalsprache (Tschechisch) aufgeführt. Unterstützt wurden die Kinder und Jugendlichen durch professionelle Musiker, Bühnen- und Kostümbildner et cetera. Mit diesen probten, entwarfen, bauten und schneiderten sie die Produktion. Über die mehrmonatige Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit dem künstlerischen Material und dem Thema des Werkes war ein Heranführen an die komplexe inhaltliche Fragestellung beabsichtigt. Nicht nur die Aufführung, sondern auch schon die Erarbeitung der Aufführung sollte Interesse hervorrufen und bleibende Resonanz zur Folge haben.

Musikdramaturgie

Die Musikdramaturgie zielt auf eine kluge und packende Programmzusammenstellung ab. Im Gegensatz zum klassischen Nummernprogramm, oder zu den rein ökonomischen Überlegungen vieler Konzertveranstalter bei der Programmzusammenstellung, sollen hier übergreifende Akzente gesetzt werden. Armin Köhler, Leiter der Donaueschinger Musiktage, spricht vom Idealtypus der „Konzert-Komposition“. Musikdramaturgie-Konzepte können auf künstlerische, gesellschaftliche, thematische, atmosphärische und andere Aspekte abheben.

Eine extreme Form der Konzertdramaturgie ist die Musik-Collage, die nach dem Prinzip der filmischen Collage oder des Features arbeitet, bei dem es um die „Kontextualisierung von Musik“ zu außermusikalischen Ereignissen geht. Dazu verdeutlicht Christian Schmidt-Banse: „Was haben Woodstock und Berios’ „Sinfonia“ gemeinsam? Was der „Feuervogel“ mit dem Schlager „Immer an der Wand lang“ oder mit Schönbergs op. 11? Ein Drehbuch gediegener Art würde jene scheinbar inkommensurablen Fakten zusammenbringen [...] Nachrichten, parallel entstandene Werke, verwandte Kulturdokumente, literarische Zeugnisse, private Komponistennotate, Bewertungs-Widersprüche et cetera.“ (nmz, 2/01, S. 51)

Weiter gehören in den Bereich Musikdramaturgie die szenischen Gestaltungsmittel der Musikpräsentation. Zusammenarbeit mit Bildenden Künstlern (zum Beispiel verschiedene Skulpturen, die je nach Werk und Stimmung unterschiedlich beleuchtet oder in Szene gesetzt werden), VJs (wie sie die London Sinfonietta einsetzt), Medienkünstlern, Lichtdesignern, Tänzern, Schauspielern et cetera ist hier möglich. Gerade Hochschulen, die mehrere Kunstdisziplinen miteinander vereinen, beispielsweise Musik, Theater oder Bildende Kunst/Medienkunst, bieten eine ideale interdisziplinäre Plattform, auf der Studierende und Lehrende neue Konzert-Konzepte miteinander entwickeln könnten.

Das Publikum

Audience development beginnt damit, sein Publikum und seine Gewohnheiten zu kennen. Bei einer bestimmten Konzertdramaturgie muss man ein bestimmtes Publikum vor Augen haben. Man muss sein Zielpublikum kennen und wissen, an welchen Orten dieses „abgeholt“ werden kann. Das heißt, zielgruppengerechte Konzert- oder Vermittlungsangebote können nur bei klaren Publikumsprofilen entstehen. Auch die geeignete Vermittlungsmethode kann nur mit dem Wissen um die Adressaten gewählt werden. Gleiches gilt für das Verfassen von Programm- oder Moderationstexten und auch für eine gelungene Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Unter dem Aspekt der Musikvermittlung muss also gefragt werden: Wer ist mein Publikum? Welche Rezeptionsgewohnheiten hat mein Publikum? Welche Bedürfnisse hat mein Publikum? Welche Erwartungen hat es an das Ereignis Konzert? Wo ist mein Publikum? Wie kann ich es ansprechen? Mit welcher Botschaft finde ich ein „offenes Ohr“?
Das klassische Konzert – verglichen mit Kunst-Vernissagen, Literaturlesungen, Theateraufführungen et cetera (ohne überhaupt Jazz-, Rock- oder Popkonzerte zum Vergleich heranzuziehen) – kann momentan wohl als die unkommunikativste Veranstaltungsform gelten. Selbst der Gottesdienst eignet sich eher dafür, Bekanntschaften zu schließen. Aus soziologischer Perspektive muss also auch gefragt werden: Wie gewinnt das Konzert als soziales Forum wieder an Attraktivität?

Die letzen Jahrzehnte waren geprägt von einer zunehmenden Dominanz des Visuellen. Der radikale Konstruktivismus, die evolutionäre Erkenntnistheorie wie auch die neuere Systemtheorie (Ernst von Glasersfeld, Paul Watzlawick, Gerhard Vollmer beziehungsweise Niklas Luhmann, Hellmut Willke und andere) haben uns gezeigt, dass alle Wahrnehmungsprozesse individuell geprägt sind und von vergangenen Erfahrungen abhängen. Aus der psychologischen Perspektive heißt deshalb Musikvermittlung auch lernen und lehren zu hören: Wie macht man die Hörerfahrung zum Hörerlebnis? Auf welche Hörerfahrung stößt man bei welchem Publikum? Wie hat sich das Hören in den letzten 100 Jahren verändert und was bedeutet das für zukünftige Konzertformen?

Musikmanagement/Selbstmanagement

Aufgrund wegfallender öffentlicher Stellen und gleichzeitig steigender Konkurrenz gewinnen die Themen Musikmanagement/Selbstmanagement zunehmend an Wichtigkeit. Berthild Lievenbrück hält fest, dass sich die Erwartungshaltung der Konzertveranstalter als auch die des Publikums erheblich verändert hat: „Ein mediengerechtes Auftreten mit Internetseite, Hochglanzbroschüre und CD-Einspielung ist heute schon weitgehend Bestandteil der eigenen Präsentation. Viele Musiker sehen sich entsprechend vor neue Herausforderungen gestellt, denen sie sich häufig nicht gewachsen fühlten, da nur die wenigsten in ihrem Studium adäquat auf diese zusätzlichen Aufgaben vorbereitet würden“ (nmz 5/03, S. 15).

Selbstmanagement im Musikbereich kann im weitesten Sinne umschrieben werden mit der Fähigkeit, sich selbst präsentieren zu können. Dazu gehören ebenso die Themen Bühnenpräsenz, Präsentation – also in Face-to-Face-Situationen zu überzeugen (Einführungen, Moderationen et cetera) – wie auch in der Lage zu sein einen Pressetext, Programmtext oder eine Selbstdarstellung adäquat verfassen zu können, also Know-how im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.

Unter das Stichwort Musikmanagement fallen unter anderem folgende Themenbereiche: Wie arbeitet eine Agentur? Wie funktionieren Labels und Verlage? Was ist bei dem inszenierten Konzertprogramm hinsichtlich des Urheber- und Verwertungsrechts zu beachten? Was muss in eine Präsentationsmappe? Was ist bei einem Vertragsabschluss mit einem Veranstalter zu beachten? Also das außermusikalische „Handwerkszeug“ des Musikers.

Musik und Gesellschaft

Der Themenkomplex Musik und Gesellschaft liefert die notwendige Reflexion für die praktische Arbeit auf dem Gebiet der Musikvermittlung. Hier muss die Frage gestellt werden, welche Funktion und welche Bedeutung klassische Musik heute hat. Klaus Zehelein äußerte im Gespräch mit Werner Heinrichs beim „3. Stuttgarter Musikfest für Kinder und Jugendliche“ an der Musikhochschule Stuttgart: „Kunst ist dazu da, damit man etwas über sich erfährt.“

An diesen scheinbar schlichten Satz schließen sich für Musiker viele Fragen an: Welchen Sinngehalt transportieren Musiker mit ihrer Musik? Inwiefern ist klassische Musik gesellschaftsrelevant als Kunstform wie als Sozialisationsort? Und daraus resultiert: Was bedeutet es heute, klassischer Musiker zu sein? Was kann oder muss das Konzert des 21. Jahrhunderts leisten?

Genauso notwendig wie das Wissen um historische Aufführungspraxis, das Beherrschen von Verzierungstechniken et cetera sind diese Fragen, die auf die veränderte Rolle der Musik, der Musiker und des Gebrauchs von Musik zielen. Der Musiker der Zukunft darf sich nicht auf das Abspielen vorliegender Partituren beschränken. Die Musikerinnen und Musiker müssen neu denken, was Musik in einer völlig anderen Welt als der des 19. Jahrhunderts bedeutet. Und sie müssen Foren kreieren, um das, was ihnen wichtig ist, einem Publikum näher zu bringen: Sie müssen der Musik Gehör verschaffen.

Der Musiker als Botschafter seiner Musik ist in der Pop- und Rockmusik so selbstverständlich, dass man gar nicht darüber nachdenkt. Pop- und Rockmusik konnte die klassische Musik bei der Identitätsbildung deshalb ablösen, da sie in der Lage ist, starke Sinnpotentiale zu vermitteln (auch wenn uns dieser Sinn manchmal sehr dünn erscheint) (Tröndle 2003b: 39f.). Der Star/die Band steht für eine bestimmte Musik und ein bestimmtes Lebensgefühl. Dorthin entwickelt Sir Simon Rattle gerade die Berliner Philharmoniker; er gibt ihnen zusätzlich zu ihrem musikalischen Profil ein soziales, das Identität stiftet, innerhalb und außerhalb des Orchesters. Auch Ensembles wie Bang on a can, die London Sinfonietta oder das Label ECM stehen für einen spezifischen, charakteristischen Zugang zur Musik und genau deshalb sind sie so erfolgreich – musikalisches Können vorausgesetzt.

Brisante Fragen zu Produktion und Rezeption

Musikvermittlung bedarf der Reflexion darüber, warum man etwas tut und wie man es tut und es bedarf der Praxis, um dieses Tun auszuprobieren und zu erfahren. Wenn das Konzert einen ästhetischen, sozialen, pädagogischen oder anderen Wert transportieren soll, dann müssen zuallererst die Akteure, also die Musiker wissen, was sie da an ihr Publikum herantragen. Angehende Musikerinnen und Musiker müssen wissen, was sie tun, warum sie es tun und wie sie es tun können. Musikvermittlung steht für Themen, die brisante Fragen zur Produktion und Rezeption im heutigen Kulturbetrieb stellen. Musikvermittlung muss die Produktion, Distribution und Rezeption von Musik aus verschiedenen Blickwinkeln thematisieren, sollen zeitgerechte Produktionsweisen und Rezeptionsformen für zukünftiges Musikschaffen entworfen werden; dabei müssen sich Reflexion und Praxis gegenseitig ergänzen. Musikvermittlung hat mit

einem schulmeisterlichen Zeigefinger genauso wenig zu tun wie mit ei-
ner „Eventisierung“ des Konzertprogramms. Zur Entwicklung seriöser, sinnvoller und sinnlicher Angebotsformen müssen künstlerische, musikwissenschaftliche, pädagogische und musikmanageriale Sachkompetenz sowie Erfahrungswissen Hand in Hand gehen: Nur im geglückten Zusammenspiel dieser einzelnen Arbeitsfelder werden überzeugende Zukunftsmodelle entstehen, die attraktiv auf das Publikum wirken.

Wolfgang Rüdiger fordert einen neuen „Musikertyp, eine neue Künstlerpersönlichkeit in der Personalunion von Produzent und Vermittler“ (nmz 6/04, S. 29). Solche Persönlichkeiten sind jedoch gar nicht so neu: Richard Wagner, Herbert von Karajan, Leonard Bernstein, Sir Simon Rattle, um nur einige zu nennen, waren und sind prominente Vertreter und stete Werber ihrer künstlerischen und persönlichen Botschaft. In Deutschland hat man dies in den letzten fünfzig Jahren – abgesichert durch die staatlichen Zuwendungen an Orchester, Chöre, Festivals, Rundfunkhäuser et cetera – etwas aus dem Blick verloren, da keine Notwendigkeit bestand zu werben.

Stephan Schmidt, der Direktor der renommierten Musikakademie Basel betont, dass die Krise der Veranstalter vor allem eine Krise der Ausbildungsstätten ist. Gerade diese müssten sich die Frage stellen, ob die Art und Weise der Ausbildung ihrer Studierenden – angesichts der sich verändernden Bedingungen – dem Auftrag noch gerecht wird, junge Künstler und Pädagogen optimal auf ihren Beruf vorzubereiten. Konzepte der Musikvermittlung müssen im Studium thematisiert werden. Wer hier nicht lernt seinen Blick zu öffnen, wird nichts Neues entdecken können, wer das Know-how nicht hat, wird es nicht entwickeln können. Wer Musik studiert, erfüllt sich einen Traum. Dass der Traumberuf Musiker für die Absolventen dann auch Wirklichkeit wird, dazu sollte das Fach Musikvermittlung dienen.

Martin Tröndle

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