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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 6-7
54. Jahrgang | Oktober
Magazin -
Weltjugendtag
Hotel Gott – Weltjugendtag als Karneval der Musikkulturen
Mittendrin und nur dabei · Eine Reportage von Inga Rapp
Ein paar Wochen erst ist es her, da trafen sich in Köln hunderttausende
Jugendliche zum Weltjugendtag (WJT). Natürlich ist ein solches
Treffen ohne Musik nicht denkbar. Doch welche Rolle spielt sie dabei
wirklich? Zu Füßen des Kölner Doms, vor dem „Alten
Wartesaal“, sitzt Mathieu. Ungerührt von dem Gewimmel
um ihn herum klimpert er selbstvergessen auf seiner Gitarre. Flink
bewegen sich die schlanken Finger über die Saiten. Das Intro
des Eagles-Songs „Hotel California“ bahnt sich seinen
Weg durch den Lärm.
Die Gitarre gehört für mich einfach dazu“, erzählt
der 20-jährige Franzose. „Es ist für mich normal,
zu singen und zu muszieren; das hat einfach seinen Platz in einer
Gruppe. Musik ist wichtig für die Atmosphäre.“
Erhebt
eure Hände, schwenkt eure Fähnchen: Der Jugendgebärdenchor
St. Georg. Fotos: WJT
Was Mathieu meint, ist unübersehbar für den, der in diesen
Tagen mit offenen Augen durch die Stadt geht. Am Wallrafplatz gröhlt
eine Gruppe Spanier mit Inbrunst „Eviva Espana“. Der
Flamenco mit der spanischen Flagge gehört selbstverständlich
dazu. Auf der Domplatte wird Samba getanzt, eine Gruppe portugiesischer
Mädchen zeigt stolz, wie man es richtig macht. Vor der Minoritenkirche
wirbelt der Staub, von vielen Händen vom Boden losgelöst.
„We will, we will rock you.“ Den Rhythmus auf dem Marsch
hinunter zum Rhein, in die Altstadt, gibt der Schellenkranz einer
Gruppe aus Polen vor. Auf den Wiesen am Rheinufer sammelt sich ein
immer größerer Kreis zum Spiel. „Wir tanzen Labada,
Labada, Labada, wir tanzen Labada, Labadabada.“ Einmal hin,
einmal her, und zur Erhöhung des Schwierigkeitsgrades muss
man sich immer auf andere Art aneinander festhalten: an den Händen,
den Ohren, der Nase... Gelächter und Gekicher mischt sich in
den Gesang. Direkt daneben wird es wieder südamerikanisch,
eine brasilianische Gruppe tanzt Samba. Zwei deutschen Jungs werden
ihre neugierigen und interessierten Blicke zum Verhängnis.
Jetzt müssen sie mitmachen, und wenn sich die Hüften noch
so steif anstellen.
Der Paolozzi-Brunnen einige Meter weiter markiert eine imaginäre
Grenze. Hinter den Absperrgittern liegt der Weg der Domwallfahrt.
Während der Weltjugendtagswoche besucht jede Gruppe einmal
den Dom und pilgert zum Schrein mit den Gebeinen der Heiligen Drei
Könige. Den ganzen Weg entlang stehen Lautsprecher. Sie übertragen
live aus dem Innern des Doms. Ein Schritt nur, ein halber Meter
Weg, und schon ist die feierfreudige Stimmung Vergangenheit. Sakrales
breitet sich aus. „Laudate omnes gentes.“ Die Pilger
auf dem Weg zum Dom singen leise mit.
Die Organisatoren des Weltjugendtages haben sich mit der Liturgie
für diese Tage sehr viel Mühe gegeben. Gemeinsam mit einer
Gruppe Jugendlicher sind Gottesdienste, die Domwallfahrt und der
Kreuzweg bis ins Detail vorbereitet. Texte, Bilder, Symbole, alles
ist aufeinander abgestimmt. Und auch die Musik fügt sich nahtlos
in das Bild ein. Ein umfangreiches Pilgerbuch mit Liedern und Gebeten
wird zum treuen Begleiter der Weltjugendtagswoche.
Südliche
Lebensfreude in Köln: brasilianische Pilger am Wallrafplatz.
Foto: Inga Rapp
Das Motto „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“, findet
sich in lateinischer Form im Mottolied wieder. „Venimus adorare
eum“ wurde verfasst von Gregor Linßen, diplomierter
Toningenieur und Lehrbeauftragter für Neues Geistliches Lied
(NGL) an der Bischöflichen Kirchenmusikschule Essen, der Hochschule
für Musik in Köln und der Kirchenmusikhochschule Sankt
Gregorius in Aachen. Linßen setzte sich mit diesem Lied in
einem Wettbewerb gegen 250 andere Komponisten aus aller Welt durch.
„Venimus adorare eum“ bezieht sich auf die Erzählung
von den drei heiligen Königen aus dem Matthäusevangelium.
Es stellt Fragen. „Warum verließen Könige ihre
Paläste? [...] Warum verließen Hirten nachts ihre Herden?“
Und es zitiert die Antworten. Dem „Venimus adorare eum“
der Könige wird in der zweiten Strophe das „Immanuel,
Gott ist mit uns“ der Hirten gegenübergestellt. Beides
vereinigt sich zum Schluss. „Die Hoffnung der Jugendlichen
verdichtet sich zur Summe der Antworten von Königen und Hirten,
von Gesalbten und Propheten, der Antwort der Menschen von einst
und heute: ,Venimus adorare eum, Immanuel, Gott ist mit uns‘“,
schreibt Pfarrer Ulrich Hennes, Generalsekretär des Weltjugendtages,
in seiner Hinführung zum Mottolied.
Im Rückblick: Verständigung mit Hand, Fuß und
Herz
Hinter vorgehaltener Hand waren im Vorfeld häufiger jugendliche
Stimmen zu vernehmen gewesen, die das Mottolied als „langweilig“
oder gar „unsingbar“ deklariert hatten. Und auch der
erste Blick in den Liederteil des Pilgerbuches wirkte ernüchternd.
Nur wenig bekanntes Neues Geistliches Liedgut und vieles, was erst
einmal kompliziert aussah.
Doch vor allem die Chöre hatten ganze Arbeit geleistet; unter
ihrer Führung erwachte am 14. August in der Leverkusener BayArena,
beim Eröffnungsgottesdienst der Freiwilligen Helfer, das Mottolied
zum ersten Mal zum Leben. Und in den folgenden Tagen gewann auch
der Rest des Liederbuches an Profil. Augenfällig vor allem
„Jesus Christ, you are my life“ (Text und Musik: Marco
Frisina). Ein Hauch Rock und Pop, ins Blut gehender Rhythmus, eine
eingängige Melodie, kurz: ein Ohrwurm. In diesem Lied steckt
Bewegung. Im wahrsten Sinne des Wortes: Ab dem ersten Tag sangen
auch die hörenden WJT-Teilnehmer dieses Lied wie selbstverständlich
in Gebärdensprache mit.
Unnachahmlich elegant
Möglich gemacht hatte es der Jugendgebärdenchor St.
Georg. Im Vorfeld des Weltjugendtages fanden sich 18 hörende
und hörgeschädigte Jugendliche in der integrativen Gemeinde
St. Georg in Köln zusammen. Sie stellten die Texte der gesungenen
Lieder parallel zum Rhythmus in Gebärdensprache dar. Während
der Gottesdienste und Konzerte standen sie gut sichtbar vor oder
neben den singenden Künstlern. Mit unnachahmlicher Eleganz
bewegten sich ihre Hände, und mancher, der sich vorher wohl
gefragt hatte, wie es denn überhaupt möglich sein sollte,
Musik mit Gebärden darzustellen, verstand auf einmal, dass
Musik eine Sache des ganzen Körpers ist. Wer diese singenden
Hände gesehen hat, vergisst sie wohl so schnell nicht wieder.
Eifrige
Ameisen in Karrees huldigen dem Papst: Luftaufnahme des
Marienfeldes. Foto: WJT
Ohrwurm-Anspruch hatten auch die vielen Taizé- und Taizé
ähnlichen Lieder. Ihre getragenen Rhythmen waren in diesen
Tagen häufig in der Stadt zu hören. Vor allem das „Cruce
tuam“ des freitäglichen Kreuzweges ging unter die Haut.
Einfach, schlicht, aber tiefgehend, ebenso wie die Kreuzweg-Bilder.
Eine Gruppe Jugendlicher hatte die Stationen in einer Fotogeschichte
nachgestellt.
„Bleibet hier und wachet mit mir“, auch dies ist ein
Taizé-Lied. Seinen Platz hatte es ganz klar bei der Vigilfeier
am Vorabend der Abschlussmesse. Etwa eine Million Menschen hatten
sich auf dem Marienfeld eingefunden, einem ehemaligen Braunkohletagebau
etwas außerhalb von Köln, um dort unter freiem Himmel
zu übernachten, so wie einst die Hirten auf dem Feld. Die drei
Elemente Musik, Tanz und Licht rankten sich um die liturgischen
Texte dieses Abends.
Musikalisch beeindruckte vor allem Giora Feidman. Eben noch fröhlich-fetzige
Klezmer-Musik, ein Hauch vom Heiligen Land mitten im Erftkreis,
und plötzlich, ganz zart und sanft, fast zärtlich gestreichelt,
Schuberts „Ave Maria“. Rundherum der Schein hunderter
Kerzen – für die, die im Gewusel und im Schlamm zur Ruhe
gekommen waren und zuhörten, sicherlich ein unbeschreiblicher
Moment.
„Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann
und worüber zu schweigen unmöglich ist“, stellte
einst der französische Schriftsteller Victor Hugo fest. Stellenweise
hätte Hugo dies während des Weltjugendtages sicherlich
bestätigt gefunden.
Die
Gitarre gehört einfach dazu. Jugendliche auf dem Marienfeld.
Foto: WJT
Hunderttausende Menschen auf den Spuren der Pilger des Mittelalters,
in der Nachfolge der Drei Weisen aus dem Morgenland, unterwegs zum
Mensch gewordenen Gott, unterwegs in der Hoffnung auf eine ganz
persönliche Gotteserfahrung, suchend, fragend, kritisch, engagiert,
offen und neugierig, aber auch beladen mit all den Irrwegen und
Sackgassen, die diese Suche nun einmal mit sich bringt.
Die Gespräche in diesen Tagen enthalten viele Zwischentöne,
vieles bleibt unausgesprochen, weil es sich nicht in Worte fassen
lässt. Die Sprache stößt an ihre Grenzen –
und das sind nicht nur die Grenzen, die zwischen Dialogpartnern
mit unterschiedlichen Muttersprachen nun einmal ganz natürlich
sind.
Wo die Verständigung in einer gemeinsamen Sprache nicht klappt,
müssen eben Hände und Füße helfen. Erkennungszeichen
dafür, wo die Verständigung sprachlich klappen könnte,
sind die vielen Nationalflaggen. Auch deutsche finden sich darunter,
mit ungewohntem, fast seltsam anmutendem Stolz getragen. Und bei
einem nächtlichen Spaziergang über die Domplatte erklingt
auch schon mal die deutsche Nationalhymne, nicht hart und im Marschschritt,
sondern zart und melodisch vorgetragen, mit wesentlich mehr Haydn’schem
als Fallersleben’scher Anteil.
Hoch emotional, völkerverständigend, grenzüberschreitend,
unverzichtbarer Teil der Liturgie und unverzichtbarer Teil des Feier-Abends,
ohne die Musik wäre der Weltjugendtag undenkbar gewesen.
Vielleicht war es das, was der amerikanische Geiger Yehudi Menuhin
meinte, als er sagte: „Die Musik spricht für sich allein.
Vorausgesetzt wir geben ihr eine Chance.“