[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 5
55. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Suchen nach neuen Klängen
Werke von Furrer und Pesson in der Musikstadt Stuttgart
In der vorletzten Ausgabe der neuen musikzeitung hieß es
auf der ersten Seite, dass die Musikstadt Nummer eins Stuttgart
sei. Dazu erreichte uns ein sowohl freundlich belehrender als auch
betrübter Brief von der Bachakademie Stuttgart und ihres Leiters
Andreas Keller, in dem die zahlreichen Musikinitiativen der Stuttgarter
Institutionen aufgeführt wurden, die nicht in unserem Bericht
genannt worden sind: von der Bachakademie bis zu den Stuttgarter
Philharmonikern, von Kammerorchester und Kammerchor Stuttgart, von
der Musikschule und der Musikhochschule unter ihrem engagierten
Rektor Heinrichs, von der Kulturgemeinschaft Stuttgart mit ihren
43.000 Mitgliedern bis zu den vielen Kirchenchören.
Wir hätten das alles sicher angeführt, wenn es in dem
Artikel um eine Gesamtdarstellung des ohne Zweifel imponierenden
Stuttgarter Musiklebens gegangen wäre. Die insofern etwas missverständliche
Überschrift wurde aber durch die folgenden Ausführungen
schnell eingeengt: Es sollten nur die Einrichtungen des Stuttgarter
Musiklebens „belobigt“ werden, die sich gleichsam in
vorderster Front für die Weiterentwicklung der Musik und deren
Sprache einsetzen. Diese Beschränkung sollte nicht die Arbeit
der anderen Einrichtungen herabsetzen, vielmehr den speziellen Einsatz
Stuttgarter Musikinstitute für die Avantgarde herausheben.
Das Risiko, das dieser Einsatz für die Veranstalter bedeutet,
wird von der neuen musikzeitung bei der Wahl ihrer Themen immer
mitbedacht. Die nmz-Redaktion sieht bei der Beobachtung des aktuellen
Musikgeschehens ihre wichtigste Aufgabe darin, die neuen Werke sowohl
gestandener als auch junger bis jüngster Gegenwartskomponisten
vorzustellen.
Nachdem wir, wie wir hoffen, das kleine Missverständnis erklärt
haben, können wir mit der Musikstadt Nummer eins unmittelbar
fortfahren, soweit es sich um die Präsentation neuer Werke
handelt. Gerade hatte im Forum Neues Musiktheater Stefano Scodanibbios
„Il cielo sulla terra“, ein Musiktheater für 2
Tänzer, 15 Kinder, 10 Instrumentalisten, Video und Elektronik
Premiere – wir werden darüber in der nächsten Ausgabe
berichten. In der Staatsoper erlebte man die Uraufführung von
Gérard Pessons „Pastorale“ auf ein Libretto nach
Motiven des Barockromans „L‘Astrée“ von
Honoré d‘Urfe (1627), die bedauerlicherweise wegen
eines Streiks nur konzertant erfolgen konnte (siehe
Leitartikel auf Seite 1 dieser Ausgabe).
Gespannt war man besonders auf ein Konzert des Staatsorchesters
Stuttgart, das der Komponist Beat Furrer dirigieren sollte. Mit
einem intelligent und beziehungsreich „komponierten“
Programm, das Furrers Komponieren in dramaturgische Zusammenhänge
stellte.
Zwischen Weberns „Sechs Stücken für Orchester op.
6“, Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“
und Varèses „Amérique“ erklang als Uraufführung
Furrers Orchesterstück „Phaos“ sowie die „canti
notturni“ für zwei Soprane und Kammerorchester. Da der
Komponist kurzfristig erkrankte, übernahm Stuttgarts Generalmusikdirektor
Lothar Zagrosek das Programm ohne Änderungen – wie beneidenswert
für eine Stadt, einen so kompetenten und souveränen Dirigenten
zu besitzen.
Furrers „Phaos“, das griechische Wort für Helligkeit/Licht,
darf man als eine Art nachträglich geschriebene Vorstudie zu
Furrers Hör-Theater „Fama“ bezeichnen. „Fama“,
eine Göttin in der Mythologie, sammelt in ihrem inmitten der
Weltensphären gelegenen Haus alle Klänge und Geräusche,
die zu ihr dringen. Furrers „Phaos“ reflektiert seine
„Fama“-Komposition in einem dichten Klanggeflecht, in
dem wellenartiges Fließen, harte Schnitte, schwebende Klänge
und eine subtile Organisation von Obertönen zu einer faszinierenden
Geschlossenheit führen. Musik, die wie von weither zu uns klingt
und deshalb ganz nah wirkt.