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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 45
55. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Münchens klingende Nachwuchsschau
Ein großes Tor zur Karriere: Überraschungen im 55.
ARD-Wettbewerb
Wettbewerbe seien die Pforte zur Karriere, meinen die Veranstalter
der weltweit über hundert großen Musikwettbewerbe, unter
denen der von den deutschen Rundfunkanstalten getragene Internationale
Wettbewerb in München sicher der bedeutendste und zweifellos
der anspruchsvollste ist. Anspruchsvoll, wenn man die Interpretationsanforderungen
und den von internationalen Jurygremien Jahr um Jahr steigenden
Beurteilungsmaßstab zu Grunde legt. Ähnlich dem noch
älteren Wettbewerb in Genf oder dem Prager Frühling öffnet
sich dieser in München im Turnus nicht nur einem, sondern mehreren
Solo- und zusätzlich gängigen Kammermusikfächern.
Dass und mit welchen Kunstgriffen der Bayerische Rundfunk dieser
allerdings abgeschmeckten Konzeption treu bleibt, ohne seinen Ruf
zu verlieren, hat BR-Musikchef Axel Linstädt in seinem nmz-Interview
(siehe nmz 9/06, S. 14)
dargelegt.
3.
Preis für das Weimarer Bläserquintett. Foto: Catherina
Hess.
Je mehr künstlerischer Nachwuchs aus aller Herren Länder
um Publikumsgunst und Agenturverträge buhlt, desto wichtiger
sind Wettbewerbe, in denen sich junge Musiker im Anschluss an ihre
Ausbildung beweisen, auf sich aufmerksam machen können. Der
Zu- und Auftritt beim diesjährigen ARD-Wettbewerb in München
in den diesmal ausgeschriebenen Fächern Sologesang, Klavier
und Bläserquintett gelang nicht einmal der Hälfte der
ursprünglich fast 400 Bewerber aus 32 Ländern. Voraussetzung
wardie Überwindung der Tonträger-Eingangssperre der Vorrunden.
Denn bei steigender Konkurrenz wird zwangsläufig auch hier
die Messlatte immer höher angelegt. Eine andere Hürde
im diesjährigen ARD-Wettbewerb: die in den Zwischenrunden den
Kandidaten auferlegten Uraufführungen der haarigen Auftragskompositionen,
im Gesang Aribert Reimanns Vokalisen, für Klavier Manfred Trojahns
Deux Préludes und für Bläserquintett Evis Sammoutis
„Metallaxis“. Was wenige Wettbewerb so komfortabel bieten:
bereits im Semifinale Soloauftritt mit Orchester. Kollegial stellte
sich das Münchner Kammerorchester zur Verfügung.
Mit 26 Bewerbern überraschend groß die Zahl der Bläserquintette,
denen sich nicht allzu oft ein solcher Leistungsvergleich anbietet,
zuletzt in München vor 5 Jahren. 18 Ensembles aus 10 Ländern
traten letztlich an, sechs aus Deutschland, drei aus Frankreich,
mehrere international besetzt, allesamt mit frappierender Technik,
origineller Registermischung, hoch trainierter Spielkultur sowie
einem erstaunlich breitem internationalen Repertoire – das
zeigt ein zunehmendes Reagieren auf kammermusikalische Hörervorlieben
und das Interesse hochqualifizierter Musiker, sich neben Orchesterdiensten
für Ensemblemusizieren selbst zu managen, so etwa das vitale
internationale Quintett Chantily (2. Preis), dem auch das Publikum
sein Votum gab. Das französische Quintett Aquilon positionierte
sich mit seiner bestechend homogenen Klangpalette auf den ersten
Platz, während das junge Weimarer Bläserquintett, vor
drei Jahren noch Bundespreisträger bei „Jugend musiziert“,
vor zwei Jahren Erster im Europäischen Wettbewerb der EMCY
in Dubrovnik, in seiner musikantischen Frische mit dem 3. Preis
ausgezeichnet wurde. Bis zum Semifinale hatten sich noch das junge
deutsche Arirang-Quintett und das dänisch-norwegische Carion
behauptet.
Von der diesjährigen Neuerung im ARD-Wettbewerb, die Sängergilde
nach Oper und Konzert getrennt zu werten, profitieren die Liedinterpreten.
Ihr Stimmcharakter erhält mehr Gewicht, gerechtere Würdigung.
Das traf auf die locker jubilierende jugendlich-schöne Stimme
der gebürtigen Chilenin Caroline Ullrich ebenso zu wie auf
den reifen Konzertgesang der Rumänin Roxana Constantinescu
(zwei 2. Preise) oder die beiden 3. Preisträger, Colin Balzer
aus Kanada und Peter Schöne aus Deutschland – allesamt
mit Ausbildungsphasen und Praxiserfahrung in Deutschland.
Kein Zweifel, dass die vier prämierten souverän auftretenden
Opernrepräsentanten in Verbindung mit ihren bisherigen Bühnenerfahrungen
bald weitere Engagements erwarten dürfen: vorne dran der Bariton
Jun Mo Yang aus Korea, der sich auf der Bühne selbstbewusst
darzustellen weiß, oder bescheidener der mit dem 2. Preis
bedachte Bariton Joshua Hopkins aus Kanada sowie die beiden drittplazierten
Sopranistinnen Anna Kasyan aus Georgien und Ilse Eerens aus Belgien.
Bedenkens- und analysewert: Deutschland stellte die Hälfte
der 22 Liedkandidaten, Korea die Hälfte der 12 Opern-Bewerbern,
unter denen sich gar keine deutsche Stimme fand.
Klavier ist in München vielleicht nicht (mehr) die vorrangige
Domäne für Tastenlöwen. Denn auf sie warten jedes
Jahr allein europaweit mindestens weitere 20 Spezialwettbewerbe.
Im zweiten Durchgang bemühte sich noch ein einziger deutscher
Kandidat gegen die Dominanz des Nahen und Fernen Ostens. So teilte
sich auch die sich besonders virtuos gebende Japanerin Hisako Kawamura
ihren 2. Preis mit dem Publikumsliebling, der mit Mozart besonders
sensibel umgehenden Armenierin Marianna Shirinyan – beide
übrigens in Deutschland ausgebildet. Der erste Preisträger,
der Amerikaner Ben Kim konnte in seiner künstlerische Persönlichkeit
zumindest beim Abschlusskonzert mit Schumanns a-Moll-Konzert mit
dem BR-Sinfonieorchesters unter Jonas Alber noch nicht so recht
überzeugen.
Drei mit bis zu zehn Maestri international besetzte Jurygremien
suchten die Würdigsten – quasi ein Service für Agenten,
Orchester, Phonoproduzenten und Stifter von vielen Sonderpreisen.
Sie alle können nun in hinreichender Weise fündig und
karrierebildend aktiv werden. Im Dutzend warten Einladungen auf
Preisträger. Jetzt müssen sie sich in der Konzertpraxis
zu bewähren und dauerhaft ein Publikum zu gewinnen trachten.
Der ARD-Wettbewerb und die deutschen Rundfunkanstalten wollen dazu
die Türen öffnen, sagt Hörfunkdirektor Johannes Grotzky
und kündigt den Wettbewerb 2007 in den Fächern Oboe, Posaune,
Schlagzeug und Klaviertrio an.