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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 13-14
55. Jahrgang | Oktober
Kulturpolitik
Wie die Kulturgesellschaft in Vergessenheit gerät
Manfred Trojahn über die Gründe seines Rücktritts
als Präsident des Deutschen Komponistenverbandes
Nach knapp zweijähriger Tätigkeit als Präsident
des Deutschen Komponistenverbandes (DKV) trat Manfred Trojahn nun
von diesem Ehrenamt zurück. nmz-Herausgeber Theo Geißler
befragte den Komponisten nach seinen Motiven und nach der Zukunft
der so genannten Ernsten Musik.
neue musikzeitung: Manfred Trojahn, Sie haben
dem Komponistenverband zwei Jahre lang als Präsident vorgestanden,
gedient und gestaltet. Dann traten Sie zurück. War es wirklich
„nur“ die Arbeitsüberlastung?
Wieder
zurück unter den Künstlern: Manfred Trojahn, hier
mit Generalmusikdirektor John Fiore bei einer Probe zum
kürzlich in Düsseldorf uraufgeführten Opernfragment
„Merlin-Prolog“ (Bericht Seite 43). Foto: Tonhalle
Düsseldorf
Manfred Trojahn: Niemand dürfte so überrascht
davon gewesen sein, dass ich 2004 Präsident des DKV wurde,
als ich selbst. Ich habe mich niemals um Verbandsarbeit gekümmert
und habe die Arbeit des DKV, dessen Mitglied ich schon jahrzehntelang
war, gar nicht mehr wahrgenommen. Erst 2003, als es im Wahlverfahren
zum Aufsichtsrat der GEMA zu Engpässen für die E-Musik
gekommen ist, habe ich mich mit einigen Kollegen in der ‚pro-klassik‘
engagiert, vor allem mit dem Ziel, die Komponisten der E-Musik zu
motivieren, an den GEMA-Versammlungen teilzunehmen, um auch wieder
E-Kollegen für den Aufsichtsrat nominieren zu können.
2004 wurde dann der Präsident des DKV neu gewählt, ich
hatte mich als Vorstandskandidat zur Verfügung gestellt und
wurde gewählt, obwohl ich deutlich gemacht hatte, dass ich
ohne Vorkenntnisse in dieses Amt gehen würde.
Natürlich ist diese Arbeit zeitraubend, ich habe mich aber
erst zum Rücktritt entschlossen, als mir deutlich geworden
ist, dass es noch mehr Zeit und Aufmerksamkeit kosten würde,
als ich bis dahin aufgebracht hatte, um meine Vorhaben und Ziele
auch umsetzen zu können und sie gegen Störungen zu verteidigen.
Wissen Sie, für mich spielen Posten, Titel und Anstecknadeln
keine Rolle, ich bin ja sowieso der, der ich bin. Das ist bei anderen
vielleicht anders und da wird ein Amt angestrebt, ohne dass der
Überblick über die Voraussetzungen vorhanden wäre.
Man will halt gern auf einen bestimmten Stuhl und fühlt sich
dann eine Nummer größer.
Es ist auch die Aufgabe eines Präsidenten, so etwas zu steuern
– da habe ich versagt, weil ich nicht genügend Zeit opfern
konnte und wollte; Zeit, in der ich mir den Überblick über
derartige Entwicklungen hätte schaffen können.
Ich habe mich schützen müssen, oder besser: meine künstlerische
Arbeit schützen müssen und daher habe ich in einem völlig
vernünftigen Moment aufgehört.
nmz: Welches Fazit ziehen Sie aus ihrer Verbandsarbeit?
Trojahn: Der DKV ist in den vergangenen Jahren
modernisiert worden, noch nicht ausreichend, aber es gibt gute Ansätze.
Die Geschäftsführung ist wesentlich intensiver in die
Sacharbeit einbezogen worden und ich habe mich durch die neue Geschäftsführerin
Sabine Begemann hervorragend gestützt gefühlt. Sie hat
mein Lernen aushalten müssen und ich das ihre, denn die Übernahme
der Verantwortung war auch für sie nicht leicht, zumal mit
einem Präsidenten, der ihr sagte: ich bin ein Künstler,
strukturieren Sie meine Vorhaben, ich kann das nicht!
Ich habe die Zusammenarbeit mit ihr sehr gemocht und auch mit
den anderen Damen der Geschäftsstelle, mit Barbara Haack, die
für die Öffentlichkeitsarbeit gewonnen werden konnte,
und natürlich mit Marianne Augustin war das Zusammentreffen
immer erfreulich und nicht ohne gute Ergebnisse.
Der Verband ist entschieden in die Öffentlichkeit gegangen
und damit erfolgreich geworden und auf diesem Weg war ich mit den
Vorstandsmitgliedern Moritz Eggert, Harald Banter und natürlich
Jörg Evers aufs Beste verbunden.
Zuletzt ist es gelungen, einen weiteren E-Komponisten im Aufsichtsrat
der GEMA zu positionieren, und ich bin gespannt darauf, die imposante
Wendung zum Besseren zu erleben, die die Arbeit des Aufsichtsrates
nun nehmen wird.
nmz: Sie machen sich – als ausgewiesener
E-Komponist – stark für das Miteinander der Genres und
Sparten. Wie weit kann dieses Miteinander gehen angesichts beispielsweise
der Frage von unterschiedlichen GEMA-Tarifen, für die es spartenweise
zu kämpfen gilt, und angesichts der doch sehr unterschiedlichen
Markt-Situation von „E“ und „U“?
Trojahn: Der DKV ist ein Verband, in dem Komponisten
aller Genres gemeinsam ihre Rechte vertreten, daher ist es für
jeden, der ein wenig politisch zu denken vermag, völlig selbstverständlich,
für ein Miteinander der im Verband vertretenen Gruppen einzutreten.
Natürlich gibt es immer Figuren in solchen Verbänden,
die nicht in der Lage sind, die Notwendigkeit dieses Miteinanders
zu begreifen und die daher versuchen sich auf der Basis von Konflikten
gegen etwas zu profilieren, mit dem gemeinsam es ihnen nicht gelingt,
ein Profil zu finden.
Der DKV ist gut beraten, auch nach meinem Rücktritt an einer
Gemeinschaftlichkeit der verschiedenen Genres festzuhalten, wenn
ihm daran gelegen ist, als Verband weiterhin eine Bedeutung zu behalten.
Es gibt Strömungen im DKV, die für sich eine höhere
kulturelle Wertigkeit reklamieren als für andere Mitglieder.
Oftmals wird ja versucht, etwas, was man nicht hat, durch besonders
lautes Geschrei vorzutäuschen. Ich rate da zur Umsicht. Es
ist dringend notwendig, eine gemeinsam agierende Lobby für
die anstehenden Fragen einsetzen zu können.
Andererseits muss man auf beiden Seiten eine autonome Handlungsfähigkeit
bewahren, was der E-Musik allein dadurch schwerfallen wird, dass
sie nicht genügend Stimmen aufbringt, um ihre Rechte und Forderungen
gegenüber der U-Musik zu behaupten.
Natürlich sind die Interessenlagen keinesfalls identisch.
Der DKV sollte daher seine Aufgabe darin sehen, die gemeinsam zu
lösenden Probleme anzugehen.
Die vergessenen Werte
Die Momente, in denen die Bedürfnisse sich einander im Wege
stehen, muss man möglichst ausklammern. Zweifellos ist das
die Schwäche der Verbandskonstruktion, der Preis, den man zahlt,
um als Quantität wahrgenommen zu werden.
Das Kernproblem in der Beziehung zwischen E- und U-Musik bleibt
das der gesellschaftlichen Anerkennung.
Wir befinden uns in einer Zeit, in der die traditionellen Werte
weniger in Frage gestellt, also diskutiert, als vielmehr vergessen
werden.
Der bürgerliche Kulturbegriff, die bürgerliche Bildung
spielt in großen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens keine
Rolle mehr. Ein kultureller Wert wird daher nach anderen Kriterien
bemessen als noch vor einigen Jahrzehnten.
Wirtschaftlicher Erfolg ist ein Faktor für Anerkennung, wie
auch Glamour, Massenwirksamkeit ... Gesellschaftlich steht die Anerkennung
der U-Musik daher weit vor der (neuen!) E-Musik und auch die Anzahl
der U-Komponisten dürfte die der E-Komponisten weit überschreiten.
Inhaltlich haben beide Genres nur noch geringe Berührungspunkte
– wobei ich jetzt ausschließlich künstlerische
Inhalte anspreche.
Wunsch nach Anerkennung
Dennoch habe ich immer wieder erfahren, dass den U-Kollegen ihr
unbestreitbarer gesellschaftlicher Erfolg nicht auszureichen scheint,
vielmehr besteht der Wunsch, eine Anerkennung ihrer künstlerischen
Qualitäten gerade bei denen zu finden, die sie wirtschaftlich
weit überholt haben. Und dieses Überholen war möglich,
weil für den Umgang mit Musik andere Lösungen bevorzugt
wurden, als die E-Komponisten für richtig hielten.
In der Diskussion um diese Dinge gibt es nichts als Empfindlichkeiten
auf beiden Seiten – aber man muss bei aller angestrebten Objektivität
festhalten, dass die U-Kollegen zuweilen einen recht forschen Zugriff
auf die Probleme haben und vielleicht nicht immer begreifen wollen,
dass es bei Förderungen und Subventionen von E-Musik, die die
U-Musik ausklammern, darum geht, Bereiche zu erhalten, die von einigen
wenigen doch als wesentlich für eine Kulturgesellschaft angesehen
werden.
Es kann also nicht darum gehen, bei der gegenseitigen Anerkennung
die Unterschiede zu verwischen und für die U-Musik, die sozusagen
ein prosperierendes Geschäftsmodell ist, die gleichen Förderungen
zu beanspruchen, die der E-Musik – die überhaupt kein
Geschäftsmodell sein will – zugute kommen.
nmz: Sie engagieren sich in GEMA-Gremien für
die Sache der Komponisten. Die Verwertungsgesellschaften erfahren
zurzeit Angriffe aus Brüssel, zum Beispiel in der Frage ihrer
Monopol-Stellung oder in der Frage des Territorialitätsprinzips.
Wo lauern die größten Gefahren?
Trojahn: Es scheint mir so zu sein, als sei der
größte Feind der GEMA in den Reihen ihrer Mitglieder
zu finden. So wie der Lobbyismus die parlamentarische Demokratie
an den Rand ihrer Möglichkeiten gebracht hat, bringen die unübersichtlichen
Interessenströmungen die GEMA zur Unbeweglichkeit. Man ist
weder in der Lage das, was man als Missbrauch des Verteilungsplanes
nach außen hin lautstark anklagt, durch Mehrheitsentscheidungen
zu unterbinden – weil dann jeder von uns ein paar Euro verlieren
würde; noch ist man bereit, durch geeignete Maßnahmen
jungen Kollegen das Erreichen der ordentlichen Mitgliedschaft zu
erleichtern, um zum Beispiel das Ungleichgewicht der Stimmen von
E- und U-Kollegen auszugleichen.
Auch dabei spielen spießige Kleininteressen die Hauptrolle.
Natürlich ließe sich gegenüber Brüssel und
den übrigen europäischen Ländern die Struktur der
GEMA und ihre positiven Aspekte, die sie vor allen anderen Urheberrechtsgesellschaften
auszeichnen, mit einer klaren, kompetenten Aussage verantwortungsvoller
Mitglieder viel besser vertreten als mit dem Haufen engstirniger
Kleinaktionäre, die ich in den Jahresversammlungen immer wieder
erlebe.
Ich befürchte ordnungs- und wettbewerbsrechtliche Verfahren,
in denen die GEMA ihrer gewachsenen Struktur beraubt werden wird
und eine Angleichung an andere Gesellschaften wird hinnehmen müssen.
Das wird zum Schaden aller sein und besonders dumm wird es für
jene Kollegen ausschauen, deren Ausschüttung sich in einem
gewissen Gegensatz zu dem befindet, was durch ihre Arbeit von der
GEMA inkassiert wird. Da es gerade diejenigen sind, die durch ihre
Voten eine Veränderung der Organisation von innen verhindern,
scheint mir das blinde Tappen in die Falle nahezu unausweichlich
bevorzustehen.
nmz: Inwieweit haben die nationalen Verwertungsgesellschaften
überhaupt noch eine Zukunft?
Trojahn: Diese Frage möchte ich an die Brüsseler
Kommission weiterleiten ...
Die Frage der Angemessenheit
nmz: Was muss die GEMA tun, um weiterhin die
Interessen der Urheber
angemessen wahrnehmen zu können?
Trojahn: Der intrikate Punkt der „Angemessenheit“
ist das, was Ihre Frage so unangenehm macht. Es bestehen ja in der
GEMA, und natürlich im noch verstärkten Maße außerhalb
derselben, sehr unterschiedliche Auffassungen davon, was „angemessen“
ist.
Das Kernproblem ist doch, dass die Mitglieder in einem gewaltigen
demokratischen Prozess die unübersichtlichen Reglements geschaffen
haben, die zur momentanen Interessenwahrnehmung führen. Diese
scheint mir angemessen zu sein, obzwar sie sich – wie in demokratischen
Organisationen üblich – einer dauernden Infragestellung
ausgesetzt sieht. Wenn nun von Brüssel andere Maßstäbe
an diese „Angemessenheit“ angelegt werden, dann geschieht
das aufgrund übergeordneter Absprachen im Rahmen eines europäischen
Entwurfes.
Es scheint mir nun die Aufgabe der GEMA zu sein, die Vorteile des
deutschen Konzeptes gegenüber den Alternativen zu betonen.
Dass dazu erforderlich ist, die Reglements den Forderungen nach
Gerechtigkeit der Verteilung und Durchsichtigkeit der Vorgänge
anzupassen, ist eine Voraussetzung, die durch die Voten der Mitglieder
erfüllt werden müsste.
Als Zweites scheint mir ein Verhandlungsspielraum geboten. Wenn
man etwa die zehn Prozent Kulturabgabe behalten möchte, weil
man sie für das Richtige und Angemessene hält, müsste
zuwenigst die gesellschaftliche Verankerung einer solchen Maßnahme
verdeutlicht werden können.
Das hat sicher den Preis, dass man andere Bevorteilungsaspekte,
zum Beispiel die nicht sonderlich inkassonahen Auszahlungsmodalitäten,
zur Disposition stellen müsste. Bitte, dieses ist nichts als
eine Konstruktion von Möglichkeiten, eine Konstruktion privatester
Natur. Ich bin nicht mit derartigen Vorgängen befasst und –
wenn ich zitieren darf – „das ist auch gut so!!“ nmz: „Der Komponist in der Gesellschaft“
– das ist ein Thema, das Sie in Ihrer Arbeit als Präsident
des Komponistenverbandes stark forciert haben. Damit steht es zurzeit
nicht zum Besten. Wie sehen Sie die Zukunft der Komponisten in unserem
Land? Wie wird es um die Kreativen in 20 Jahren stehen?
Trojahn: Ich werde mir einen langen grauen Bart
wachsen lassen und hoffen, dass dann – in entsprechender Verkleidung
– der prophetische Blick gelingt.
nmz: Welche sind heute die dringlichsten Aufgaben,
die es anzugehen gilt, um den Komponisten in Zukunft ein angemessenes
materielles – und ideelles – Ambiente zu sichern?
Trojahn: Sicher ist das materielle Ambiente nur
dann angemessen, wenn es in einem ausgewogenen Verhältnis zum
ideellen Ambiente steht.
Es ist kaum überspitzt gemeint, wenn ich sage, dass wir heute
mehr verdienen als unser Rückhalt in der Gesellschaft eigentlich
erlaubt. All diese Förderungsmaßnahmen, die Zuschüsse,
die Stipendien sind doch längst lästige Gewohnheit für
die geldverteilenden Organe und werden nicht mehr aus Überzeugung,
das Richtige zu tun, verteilt, sondern um Arbeitsplätze zu
sichern und um sich nicht zu blamieren ...
Die dringlichste Aufgabe stellt sich der Gesellschaft, an die die
Frage zu richten ist, in welchem Maße sie eine Kulturgesellschaft
zu bleiben gedenkt. Wenn die Kunst für die Gesellschaft ein
wichtiger Faktor bleibt, wird für unser materielles und für
das ideelle Ambiente gesorgt sein.
Künstler-Dasein
nmz: Was raten Sie Ihren Kompositions-Studenten?
Trojahn: Ältere Herren als Ratgeber sind
ja so etwas von unbeliebt ... Ich frage eher zum Beispiel, ob es
nicht richtiger wäre, einen bürgerlichen Beruf zu lernen
und etwas Sinnvolles zu tun. Es sind nicht immer die Besten, die
die Frage dann verneinen.
Aber es stellt sich bei diesem Studium doch bald heraus, wer diesen
Weg unbedingt gehen muss, und der hält dann auch meine zynischen
Bemerkungen aus.
nmz: Sie sind in erster Linie Komponist –
das haben Sie immer betont. Welches sind die nächsten schöpferischen
Projekte?
Trojahn: Die vergangenen Jahre haben diese Betonung
auch dringend nötig gemacht. Als zuletzt ein befreundeter Kulturpolitiker
mich darauf hinwies, dass ich jetzt ein Funktionär sei, habe
ich die Betonung meines Künstlertums noch verstärkt. Sehr
gefährlich, wenn man das eigens betonen muss ...
Es gibt einen schönen Satz im „Merlin“ von Tankred
Dorst. Merlin beendet ein Gespräch mit seinem Vater, dem Teufel,
und sagt: „Ich bin ein Künstler, was geht es mich an!?“
Ich bin froh, dass mir dieser Satz wieder eingefallen ist, er wird
allen Projekten zugutekommen, über die man in der neuen musikzeitung
in der nächsten Zeit ausführliche Vorberichte wird lesen
können. [Gesagt,
getan; Anm. der Internet-Redaktion]