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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 11
55. Jahrgang | November
Forum
„Auschwitz darf für die Oper kein Tabu sein“
Leserbrief zum Bericht über die Uraufführung der Oper
„Das Frauenorchester von Auschwitz“ in der nmz 10/06,
S. 47
Muss das Thema „KZ Auschwitz“ für eine Oper beziehungsweise
ein Opern-Libretto tabu sein? Wer meint, sich dabei auf Theodor
W. Adorno berufen zu müssen, übersieht (oder weiß
nicht), dass bereits im Werk der Dichterin Nelly Sachs Adornos Auffassung
eine Umkehrung erfahren hat. Das Thema Auschwitz darf auch für
eine Oper kein Tabu sein.
Davon überzeugt bin auch ich als Zeit- und Augenzeuge, der
als 14-Jähriger im Sommer 1943 auf dem Erfurter Bahnhof einen
Zug mit geschlossenen Güterwagen – Herkunft mit französischen
Ortsnamen markiert – voller Menschen in Richtung Osten auf
einem Gleis stehen sah, bewacht von SS-Leuten. Unvergessen bleibt
der Anblick heraushängender Arme mit leeren Eimern und stummem
Schrei: „Wer bringt uns Wasser?“ Dem Zeitpunkt nach
könnte es womöglich der Transport gewesen sein, in dem
sich Alma Rosé befunden hat …
Es gab am 16. September dieses Jahres in Mönchengladbach
die Uraufführung der Oper „Das Frauenorchester von Auschwitz“
von Stefan Heucke (Libretto vom Bruder Clemens Heucke). Ähnlich
wie in anderen Zeitungen meint Georg Beck: „Als
Tabubrecher fungierte der Bochumer Komponist Stefan Heucke.“
(nmz 10/06, S.47)
Mit dem Frauenorchester wird ein bestimmtes Objekt des KZ in Augen-
und Ohrenschein genommen, womit die zentrale Funktion des Lagers
mit Vernichtung in Gaskammern deshalb gar nicht verharmlost oder
verdrängt wird.
Im Gegenteil: In der Oper sind entsprechende Hinweise optisch und
akustisch immer wieder einbezogen. Ich wüsste nicht, wie das
Thema „Frauenorchester“ künstlerisch besser und
anschaulicher verarbeitet werden könnte als in der einer Oper
zuzuordnenden Struktur: handlungsmäßig und szenisch auf
einer Bühne, akustisch mittels realistischer Darstellung eines
solchen Orchesters, wie es etwa gewesen sein dürfte, freilich
unter Hinzunahme eines üblichen Opernorchesters, das die entsprechenden
musikalischen Aufgaben und Funktionen neben dem zur Handlung gehörenden
Ensemble zu leisten hat.
Es sei an dieser Stelle gleich eingeschoben: Was bei dieser
Opernproduktion den Beteiligten (professionellen und nichtprofessionellen)
mit den Dirigenten einzeln und in der Koordinierung geglückt
ist, verdient größte Anerkennung.
Darin einzuschließen sind alle Sängerinnen und Sänger
mit solistisch zum Teil außergewöhnlichen Anforderungen.
An den grundsätzlichen Tatsachen – dem KZ mit seiner
grauenvollen Todesmaschinerie, der Existenz dieses in gewisser Weise
paradoxen Frauenorchesters, und der in diese Geschichte einbezogenen
Gruppe bestimmter Einzelpersonen mit der im Vordergrund zu positionierenden
Alma Rosé – wird von keiner Seite gerüttelt.
Zwei Zeugnisse aus der Feder ehemaliger KZ-Häftlinge,
die im Frauenorchester mitspielten – Fania Fénelon
und Anita Lasker-Wallfisch – sind unterschiedlich ausgefallen,
vor allem in Bezug auf die im Mittelpunkt stehende Alma Rosé.
Fania Fénelon kann nicht mehr zu ihrer Niederschrift gefragt
werden, sie starb 1983. Als einzige Überlebende kam Frau Lasker-Wallfisch
zur Uraufführung. Hatte sie vor Jahren Vorbehalte zum Opern-Projekt
im Ganzen und zum Libretto im Einzelnen vorgebracht, zeigte sie
sich nach der Aufführung versöhnt und bekundete Anerkennung.
(Ein Brief von ihr an den Komponisten mit großen Bedenken
vor Jahren, der auch Korrekturen bewirkt hatte, wird während
der Ouvertüre auf eine Bühnenleinwand projiziert!) Ob
bei dem, was in Details historisch genau vor sich gegangen sein
mag, etwas „verzerrt“ sein könnte, dürfte
für das Gesamtbild unerheblich sein und für das, was Librettist
und Komponist zu vermitteln versuchen, was auch gelingt: Beschreibung
in Worten und Tönen einer furchtbaren Konfliktsituation, in
die sowieso schon hilflose Gefangene zusätzlich vor ihrem Gewissen
ausweglos in Gewissensqualen geschickt wurden, wenn sie für
die SS spielten, anstatt ihre Instrumente wegzuwerfen, um dann natürlich
den in die Gaskammern Marschierenden folgen zu müssen ...
Die Musik ist spannend, bewegend, rüttelt auf, und sie ist
originär. Wenn man meint, dass Heucke sich nur „im mäßig
inspirierten Gefolge von Zimmermann, Reimann, Ligeti und Zender“
bewege (RP, Düsseldorf) oder manchmal „Schostakowitsch
die Klangpatenschaft übernommen“ habe (FAZ, Frankfurt),
sollte man zum Beispiel an Beethoven erinnern, bei dem manches nach
Haydn klingt, sogar spät noch einmal in der Klaviersonate op.
110.
Einerseits ist, vor allem im Frauenorchester, traditionsverbundener
Klang bei entsprechenden Werken von Schubert, Suppé, Johann
Strauß und Puccini vorgegeben. Das eigentliche Opernorchester
bewegt sich im freitonalen beziehungsweise atonalen Raum, abgesehen
von ebenfalls gelegentlicher Einbindung von Zitaten, so die Splitter
der Chaconne für Violine solo von J.S. Bach in einer raffinierten
Vermengung mit expressionistischen Klangpuzzeln durch Heucke. Clusterförmige
Klangschichtungen sind naheliegend vom Grundtenor des Werkes her
immer wieder zwingend.
Ebenso sind vom Komponisten Heucke auch andere Töne zu hören,
etwa gegen Ende des ersten Aktes in der Andacht der Gefangenen:
Beeindruckend ist das jüdische „Adon olam ascher malach“
mit dem christlichen „Ave Maria“ verbunden in einem
achtstimmigen Kanon, der zur Hälfte vokal durch die Sänger
im Vordergrund und instrumental durch das Orchester im Hintergrund
der Bühne realisiert wird. Im zweiten Akt vollzieht sich an
der Stelle des Totengedenkens für Alma über einem Ostinato
in der einer Chaconne ähnlichen Variationsfolge etwa zwölfmal
eine Verdichtung mit einem Steigerungseffekt, der jedoch nie „mit
hysterischen Klängen, die Filmmusik Ehre machten“, gleichzusetzen
ist.
Einmal mag man Panik verspüren, wenn nämlich tonmalerisch
mit einem ungeheuren Klang-Knäuel das Nahen, Überfliegen
und Sichentfernen eines großen Fluggeschwaders der Alliierten
dargestellt wird und die Häftlinge in die Höhe starren
und sich fragen: Warum werfen die keine Bomben auf die Zufahrtsgleise
zum KZ? – Einen besonderen Platz nimmt in der Partitur ein
außergewöhnliches Instrument ein, das altjüdische
sakrale Schofar-Horn. Wie an etlichen Stellen der Oper erklingt
am Ende des Werkes sein Ton allein, bevor der Vorhang fällt.
– Zu Meinungen anderer: Der Dirigent der Oper, GMD der Niederrheinischen
Sinfoniker, der Brite Graham Jackson, sieht kein Problem zur Thematik
des KZ in der Oper. Er konnte vieles beim Werk bereits im stadium
nascendi verfolgen. Fröhlich bekundete er in einem Gespräch,
dass die Partitur aufzuschlagen auf jeder Seite interessant sei.
Ein Orchestermusiker äußerte, dass das Stück handwerklich
gut gearbeitet sei. Dass unterschiedliche Meinungen zu diesem oder
jenem bestehen, ziehe sich bei Orchestermusikern bekanntlich durch
das gesamte Opernrepertoire. Grundsätzliche Bedenken oder gar
Widerstand habe es bei den etwa 50 Beteiligten nicht gegeben, und
bei anfänglichen Vorbehalten Einzelner zu Heuckes Oper
sei die Akzeptanz auch im Laufe der Proben gewachsen.
Auf die Frage, ob das Werk „musiksprachlich nach 15 Minuten
verausgabt“ sei, wie es eine Zeitungskritik brachte, kam ein
eindeutiges „Nein!“. Am meisten dürfte beeindrucken,
was eine Studienrätin für Musik von der Gruppe ihrer 55
Schülerinnen und Schüler zwischen 17 und 19 Jahren berichtete,
die zum großen Teil nicht musikalisch vorgebildet seien und
sich „freiwillig auf etwas eingelassen“ hätten.
Jede/r habe auch die Wahl gehabt, zur Pause, also nach 90 Minuten,
das Theater zu verlassen. Keiner sei gegangen. Wie es eine Vorbereitung
gegeben habe, so auch eine Nachbereitung. Die negative Presse über
die Musik wurde als ungerechtfertigt oder gar herabwürdigend
empfunden.
Die Inszenierung fand auch viel Lob. Zum Ergebnis: Es bannt ...
ergreift …