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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 1
55. Jahrgang | November
Leitartikel
Wo junge Komponisten die Schulbank drücken
Donaueschingens Musiktage legen sich ein Off-Programm zu ·
Von Gerhard Rohde
Die Donaueschinger Musiktage begreifen sich vornehmlich als Uraufführungsfestival.
Jedes Jahr im Herbst erklingen hier ein Dutzend und mehr neuer Kompositionen,
vornehmlich für das sinfonische Orchester, zum ersten Mal.
Tendenzen aktuellen Komponierens werden dabei erkennbar, ästhetische
Fragen neu gestellt. In den letzten Festivaljahren hat sich der
ästhetische Kanon bemerkenswert erweitert. Neue Ausdrucksmittel
wie Film, Video, Installationen, Performances stellten sich zu den
tradierten strengen Kompositionen, die sich wiederum oft mit theatralisch-szenischen
Raumkonzeptionen vereinigten.
Licht ist ein Musikinstrument. Sagt der Komponist Georg
Friedrich Haas. Für die Donaueschinger Musiktage (Bericht
Seite 6/7) komponierte er jetzt ein Konzert für Licht
und Orchester, das den Titel „Hyperion“ trägt.
Die Grundkonzeption ist einfach: Vier Orchestergruppen befinden
sich an den vier Wänden eines Raumes. Ihnen gegenüber
sind jeweils vier verschiedene Lichtbänder angebracht,
deren aufleuchtende Muster und Farben den Musikern die Dirigentenzeichen
geben. Das Publikum wandelt in der Mitte. Foto: Charlotte
Oswald
Nicht nur ein guter Ruf, auch die Zukunft verpflichtet, und diese
Zukunft liegt für die Musik vor allem in den Händen (den
Köpfen, den Herzen, der Fähigkeit zur Imagination) der
jungen Komponisten. Es war daher ein sinnstiftender Gedanke, das
Forum der Donaueschinger Musiktage auch für die nächste
Komponistengeneration zu öffnen. Gemeinsam mit der Musikhochschule
in Trossingen, der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
in Frankfurt am Main sowie dem Institut für Neue Musik der
Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden boten die
Musiktage europäischen Kunst- und Musikstudenten, auch jungen
Musikwissenschaftlern, einen „Workshop“ an, in dem sie
sich über aktuelle Tendenzen zeitgenössischen Komponierens
informieren konnten. Der Besuch der Konzerte sowie der Proben zählte
selbstverständlich zum Programm. Gespräche mit den beteiligten
Komponisten über das Gehörte, Diskussionen über gemeinsame
Fragestellungen, auch über eigene Arbeiten der jungen Komponistinnen
und Komponisten komplettierten das Angebot. Da derartige Begleitveranstaltungen
zu einem Kern-Festival leicht einen unverbindlichen Info-Charakter
annehmen, fügte man den drei Musiktagen in Donaueschingen noch
zwei strenge Arbeitstage in Trossingen hinzu, jeweils einen davor
und danach. Hier konnten junge Komponistinnen und Komponisten ihre
eigenen Stücke vorstellen. Vertreten waren Studierende der
Kompositionsklassen aus Bremen, Essen, Frankfurt und Freiburg. Es
spielten Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen.
In mehreren Workshops wurden in kleineren Gruppen Themen wie „Klangraum/Raumklang
– Komponieren für den Raum“, die „Auseinandersetzung
mit elektronischen Medien“, „Komponieren in neuen Traditionen“
oder „Klang als instrumentale Synthese“ behandelt, also
all die Materialien und Verfahrensweisen, die das „Komponieren
heute“ prägen, wie es die Studenten dann „real“
bei den Konzerten der Musiktage erfahren können. Das Interesse
an diesem Angebot der Donaueschinger Musiktage, das natürlich
nicht ohne einen englischen Titel auskommt, den beliebten „The
Next Generation“, war zur Überraschung der Veranstalter
enorm. Bereits vierzehn Tage nach der Ausschreibung waren die vorgesehenen
hundertfünfzig Plätze belegt, so dass man die Zahl auf
zweihundert erhöhen musste.
Die Verantwortlichen für das Off-Programm bitten für
ihr Projekt ausdrücklich um Vorschläge und Anregungen
für die weitere Ausgestaltung des Programms. Denkbar wäre
zum Beispiel eine engere Verzahnung mit den Musiktagen selbst, die
Aufnahme eines eigenen Konzertbeitrags in das Hauptprogramm. Das
setzt natürlich eine akzeptable Professionalität voraus.
Vorbild dafür könnte etwa die Arbeit des Ensemble Modern
in Frankfurt sein, das in Workshops re-gelmäßig mit jungen
Komponisten deren Werke erarbeitet, dabei auch junge Interpreten
in die oft komplizierten und komplexen Spielweisen der neuen Partituren
einführt. Wenn in Donaueschingen im nächsten Jahr das
neue Konzerthaus bei den Donauhallen errichtet wird, die Donauhallen
selbst einer gründlichen Renovierung unterzogen werden, dann
müssten auch die räumlichen Voraussetzungen für eine
Erweiterung des Musiktage-Programms in die genannte Richtung gegeben
sein.
Für den weiteren Ausbau von „Off-Donaueschingen“
würde sich vielleicht auch ein Blick nach Luzern lohnen. Dort
hat sich in drei Jahren die Lucerne Festival Academy nicht zuletzt
durch die Mitwirkung von Pierre Boulez zu einer höchst effektiven
Institution für die Qualifizierung des Musikernachwuchses entwickelt
– siehe hierzu das Interview mit der Projektleiterin Katharina
Rengger auf Seite 17. Und da in der Neuen Musik das Visuelle und
Theatralische ständig an Bedeutung gewinnt, wären auch
die Erfahrungen, die das Forum für Neues Musiktheater der Staatsoper
Stuttgart in den vergangenen Jahren gesammelt hat, für die
Arbeit in Donaueschingen, natürlich in entsprechender Auswahl,
nützlich.
In diesem Zusammenhang muss, unabhängig von Donaueschingen,
eine ernste Kritik an den Stuttgarter Kulturverantwortlichen geübt
werden. Mit dem Fortgang Klaus Zeheleins von der Stuttgarter Oper
steht wohl auch sein ambitioniertes Projekt eines Labors für
Musiktheater auf dem Spiel. Für das Musiktheater-Forum will
offensichtlich niemand mehr Geld bereitstellen. Diejenigen, die
solche Entscheidungen treffen, haben offenbar nie den wunderbaren
Spielraum im Römerkastell betreten, nie die dort geleitete
Arbeit und deren oft faszinierende Ergebnisse in Gestalt hoch professioneller
Musiktheater-Aufführungen zur Kenntnis genommen. Inzwischen
wurde bekannt, dass sich die Frankfurter Oper für die Fortführung
des Musiktheater-Forums interessiert, mit demselben Team, das in
Stuttgart arbeitete.
Der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe hat auch mit anderen
Institutionen in der Stadt als möglichen Kooperationspartnern
gesprochen. Wenn die Frankfurter Musikhochschule in das Projekt
„Musiktheater-Forum“ mit einsteigen sollte, wäre
der Weg nach Donaueschingen nicht weit, schließlich beteiligt
sich die Frankfurter Musikhochschule bereits an Donaueschingens
„The Next Generation“. Vernetzung heißt das Stichwort.
Man muss die Energien bündeln, um der wachsenden Erosion an
der Kultursubstanz unseres Landes mit Erfolg zu begegnen.