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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 14
56. Jahrgang | Oktober
Kulturpolitik
Unheilige Allianz: Popmusik und Rechtsradikalismus
Drei Antworten auf Theo Geißlers Leitartikel „Glashaus-Musik“ in
der September-Ausgabe der neuen musikzeitung
Auf die Jugend zugehen
Popmusik ist zeitgenössische Musik. Sie formuliert gesellschaftliche
Statements in ganzheitlicher Form immer wieder neu. Deshalb wirkt
sie in umfassendem Maße identitätsstiftend. Gerade in
der jungen Generation ist sie das zentrale kulturelle persönlichkeitsprofilbildende
Trägermedium. Dies alles sind sozial-, kommunikations- und
musikwissenschaftliche Binsenweisheiten, die in diesem speziellen
Kontext eine größere Bedeutung bekommen, weil zum ersten
Mal ein bestimmtes Feld von Politik diese Tatsachen einfach professionell
und ganz besonders qualitativ für die eigenen politischen
Ziele einspannt. Da dies nur schwer zu verhindern ist, bleibt nur
der eindringliche Appell an die parteilich-organisierte Demokratie,
sich dieser Tatsache bewusst zu werden und somit kommunikativ wie
kulturell adäquat auf die junge Generation zuzugehen, die
sonst diesen radikalen politischen Strömungen alternativlos
ausgesetzt ist.
Dieter Gorny, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender, Bundesverband
der Phonographischen Wirtschaft e.V.
Musik und „rechte Gesinnung“
Dass das „Dissen“, also das diskreditieren des Gegners
zu einer der Hauptdisziplinen des HipHop gehört, ist allen
Fans durchaus bekannt, auch die Battle ist ein grundlegendes
Element der Musik sowohl im Jazz als auch im HipHop oder im indirekten
Vergleich der Gitarristen und Drummer im Hard Core. Dass dazu
oft auch das Einnehmen einer Gegenposition zum gängigen
gesellschaftlichen Mainstream oder gegenüber anderen „Communities“ bis zur Ablehnung der gegebenen
Gesellschaftsordnung gehört, ist in der Historie der Popmusik
bis zur Gegenwart belegt. Leider hat sich in den letzten Jahren
jedoch vor allem am rechten Rand aber auch mittlerweile mitten
im Mainstream das Gedankengut verbreiten können, dass vor
70 Jahren in Deutschland zu den bekannten Ergebnissen geführt
hat. Diskriminierung von Minderheiten bis zur Gewaltverherrlichung
gehören in diesen Zusammenhang.
Dass manches auch in einem Kunst-Kontext seine Daseinsberechtigung
sucht, macht die Sache um so perfider. Vor allem durch diejenigen,
die ihre nationalsozialistische Gesinnung durch intellektuelle
und künstlerische Untermauerung auch einem jungen Publikum
schmackhaft zu machen suchen. Bei manchen jungen Menschen in
der Pubertät mag dies in Ermangelung von anderen Gegenentwürfen
zum Leben ihrer liberalen Eltern der einzig mögliche Aufschrei
von Trotz gegen die elterliche „Coolness“ sein. In
der Regel jedoch sollten derartige musikalisch-textliche Ergüsse
dahin gehören, wo sie keinen Schaden anrichten: Auf den
Müllhaufen der Musikgeschichte.
Der Deutsche Musikrat hatte sich in seiner Präsidiumssitzung
in Berlin vom 10./11. Februar 2006 auf Antrag des Bundesfachausschusses
Populäre Musik in einer einstimmig gefassten Erklärung
sehr deutlich gegen rechtsextreme Musik ausgesprochen. Aufklärung
in der Schule tut Not, vor allem in den dafür relevanten
Unterrichtszusammenhängen (Musik, Deutsch, Gesellschaftskunde).
Der Verbreitung dieser Musik – auch auf den Schulhöfen – sollte
durch „Zero Tolerance“ Einhalt geboten werden.
Darüber hinaus muss die Aufklärung über Inhalte,
Hintergründe, geschichtliche Bezüge et cetera nicht
nur in der Schule, sondern auch durch Musiker, Prominente und
Identifikationspersonen beständig erfolgen.
Das Eindämmen dieser braunen Gesinnungspest ist jedoch eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sich nicht auf den rein
musikalischen Zusammenhang beschränken darf. Wo derartige
Musik entsteht, gehört und gekauft wird, gibt es entsprechende
Hintergründe und Zusammenhänge, die einer Antwort bedürfen,
die weit über das musikalische Umfeld hinausgehen.
Und das gilt für Mügeln als jüngstes Beispiel
wie auch für alle anderen vergleichbaren Vorfälle.
Udo Dahmen, Vizepräsident des Deutschen Musikrats und Künstlerischer
Direktor und Geschäftsführer der Pop-akademie Baden-Württemberg
MusikGewalt
„Die stärkste Waffe eines Menschen ist seine Stimme“ (Titel
einer BILD-Kampagne vom 18. Januar 2007) – so abartig der
hergestellte Zusammenhang ist, so sehr ist dieser Slogan Spiegel
unserer Gesellschaft. Ob „Happy Slapping“ – möglichst
noch mit der passenden Musik unterlegt – oder Musik mit
Gewalt verherrlichenden Texten auf dem Schulhof oder in den virtuellen
Welten die Runde macht, Gewalt ist geil … und mehr und
mehr gesellschaftsfähig. Ob offen oder versteckt, ob zweckbestimmt
oder aus purer Lust um ihrer selbst willen – Gewalt bestimmt
in steigendem Maße unseren Alltag.
Die Klagemauer über die zunehmende Verrohung menschlichen
Zusammenlebens wird lang und länger und dennoch zieht die
Karawane immer neuer und härterer Varianten erfahrbarer
Gewalt unverdrossen weiter. In der öffentlichen Wahrnehmung
leuchten die Berichte darüber wie Sternschnuppen auf und
versinken im Nirwana einer digitalisierten Welt – ebenso
wie die diskutierten Lösungsansätze. Die zarten Pflänzchen
differenzierter Auseinandersetzungen – wie es sich zum
Beispiel bei der Diskussion um die Computerspiele zu entwickeln
scheint – sind nicht massenmedientauglich und damit nicht
wirklich prägend für die öffentliche Meinungsbildung.
Musik kann den Menschen wie keine andere Kunst prägen – sie
ist Gift und Gegengift zugleich. Die janusköpfige Rolle
der Musik und die durch sie gegebenen Manipulationsmöglichkeiten
fordern einen besonders wachen Umgang mit dem Wirkungsspektrum
der Musik.
So klar es ist, dass die Kunstfreiheit ein hohes, zu schützendes
Gut ist, die Rahmenbedingungen für die Musikwirtschaft gerade
dort wo gesellschaftliche Entwicklungen Kreativpotenziale gefährden
(Stichwort: Schutz des geistigen Eigentums), verbessert werden
müssen, so klar muss es auch sein, dass die im Grundgesetz
verankerte Menschenwürde nicht verletzt werden darf.
Dieser gesellschaftliche Konsens wird dort perforiert, wo Gewaltverherrlichung
unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit Raum greift. Wir brauchen
keinen Wächterrat, sondern einen breiten, gelebten Konsens,
was der gesellschaftlichen Ächtung unterliegt. Gewaltverherrlichung
jedweder Art gehört dazu. Angesichts der technologischen
Möglichkeiten werden Verbote nur eine (immerhin) symbolische
Wirkung entfalten. Entscheidend wird es sein, deutlicher als
bisher gegen jede Gewaltverherrlichung Position zu beziehen
und Wege aus der Gewaltspirale zu beschreiben und einzufordern.
Dass Musik ein Wert an sich ist und um ihrer selbst Willen
in all ihren differenzierten Ausprägungen Entwicklungsräume
braucht, wird heute allenfalls als weltferne Romantik vergangener
Zeiten belächelt – so es denn überhaupt verstanden
wird. So sitzen wir in einer selbstgebauten Verwertungsfalle,
die nur nach dem Wofür und nicht mehr nach dem Was fragt.
Die Erfahrbarkeit kultureller Vielfalt ein Leben lang ist aber
eine zentrale Voraussetzung für das Zusammenleben von Menschen,
die die Frage nach der Verwertbarkeit in eine ausgeglichene Balance
zu einem humanistischen Gesellschaftsbild rückt.
Der Deutsche Musikrat trägt als Teil der Zivilgesellschaft
Mitverantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen. Die
Stärke seiner musikpolitischen Arbeit gewinnt er aus der
Fachkompetenz und der gesellschaftspolitischen Wirksamkeit
seiner Mitglieder sowie seiner strategischen Ausrichtung und
dem daraus
folgenden gesellschaftspolitischen Engagement.
Mit den in den vergangenen Jahren aufgenommenen Schwerpunktthemen
unter anderem zum Interkulturellen Dialog, der Musik in Ganztagsschulen,
der Musikvermittlung, der Zukunft der Musikberufe und dem demographischen
Wandel hat der Deutsche Musikrat neben dem Dauerthema der musikalischen
Bildung gesellschaftspolitische Wirksamkeit praktiziert. Dieses
Spektrum bedarf der Ergänzung um die Themen „Musik
und Gewalt“ und „Musik in der Virtualisierung von
Lebenswelten“.
Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen
Musikrats