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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 42
57. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Befruchtend
Stefano Gervasoni setzt sich mit dem Fado auseinander
Viele Komponisten Neuer Musik sind bestrebt, den strengen Bezirk
avantgardistischer Klangerfindungen zu verlassen, ihrem Komponieren
neue Energien und Fantasien aus „anderen Musiksprachen“ zuzuführen.
Die Namen von Louis Andriessen und Heiner Goebbels seien stellvertretend
als Beispiele genannt.
Suche
nach Gewissheit: Stefano Gervasoni (links) und Roland Diry
vom Ensemble Modern diskutierten in Frankfurt über
das neue Werk des Komponisten. Foto: Charlotte Oswald
Jetzt hat sich auch der Italiener Stefano Gervasoni mit einer
neuen Komposition dieser Bewegung angeschlossen. Er entdeckte den
Fado.
Für das Ensemble Modern und die portugiesische Fado-Sängerin
Cristina Branco schrieb er „Com que voz“ – nach
Fados von Amália Rodrigues und Sonetten des portugiesischen
Renaissance-Dichters Luís Vaz de Camões. Nach der
Uraufführung in Porto kam die Produktion drei Tage später
als deutsche Erstaufführung in die Alte Oper Frankfurt. Danach
war sie auch bei der MaerzMusik in Berlin zu hören (siehe
Seite 41).
Gervasonis „Com que voz“ überzeugt durch ein
geglücktes
Miteinander von abendländischer Tradition und melancholisch
grundiertem, leicht unterkühl-tem Fado. Die Musiker des Ensemble
Modern, die Raumklangarchitekten vom kooperierenden Pariser Ircam-Institut
sowie Ensemble Modern-Klangregisseur Norbert Ommer
fügten sich den wunderbar leichten Fingerzeigen des Dirigenten
Franck Ollu schlafwandlerisch. Alles wirkte wie ein Ausschnitt
aus dem uns umgebenden unendlichen Musikstrom, dem mit neuen Werken
wie diesem immer wieder eine andere Form gegeben wird. Der Bariton
Frank Wörner und Cristina Branco boten im duettierenden Mittelteil
größte Kunst. Die Identität zwischen den beiden
Musikbereichen blieb dennoch in jedem Augenblick gewahrt. Man hörte
kein plattes Crossover, sondern ein inspiriertes gegenseitiges
Befruchten. Mit welcher Zurücknahme die zerbrechlichen Klänge
und zarten Linien durch die Live-Elektronik unmerklich in den Raum
und damit auch in die Zeit verlängert wurden, das hatte den
Anschein einer eigenen Meta-Komposition, die das zutiefst traurige
Geschehen im x-dimensionalen Raum noch einmal reflektierte. Gervasoni
mied in seinem Instrumentalsatz jede aufdringliche Überlappung.
Einzelne Instrumente waren mit ihren Impulsen Bindeglieder zwischen
brüchigen Welten, in denen Zuversicht höchstens am Horizont
bang aufflackerte. Mit zwei Gitarren und Kontrabass als Fado-Kernensemble,
immer wieder zuckender Klarinette und schräger Fiedel zeichnet
Gervasoni das Menschenbild einer ständigen Suche nach Gewissheit,
die so einfach nicht zu erringen ist.