1998
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Kulturpolitik
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Tagebuch |
Unklare Regie Welche Art von Oper wollen wir? Diese, halten zu Gnaden, doch wohl nicht. Reicht es, die Anweisungen des Komponisten szenisch zu befolgen? Doch wohl nicht. Jonathan Miller hielt sich gerade darauf einiges zugute, als er an der Staatsoper Unter den Linden Verdis Falstaff nichtssagend ablaufen ließ. Die unfreiwillige Parodie dieser ernsthaftesten aller Komödien war in Bildern von verhuschtem Kitsch als Absicht ausgegeben. Leistet solche Regie etwas für die Musik? Doch wohl nicht. Claudio Abbado dirigiert dramaturgisch und wird von der szenischen Dramaturgie versetzt wie ein verschmähter Liebhaber. Er dirigiert auch das Ensemble wie Instrumente, doch das schwebende Parlando auf dem Fundament strukturierter Klangfarben tönt ins Leere. Nicht so das Heldenepos über den ehemaligen Staatsopernchef Heinz Tietjen in der Hauszeitschrift vivace (vgl. Tagebuch in nmz 3/98). Im zweiten Teil ist das Spotlight verschärft. Auch diese Schaumgeburt eines Widerstandskämpfers können wir nicht wollen. Was hat den jüdischen Hausherrn Daniel Barenboim dazu gebracht, diese Ehrenerklärung zuzulassen für einen Vorgänger, der mit Glück und Geschick der Täterschaft entkam? Es wagnert in Berlin.
Ohne Beiwerk Ein melodisches Band, scheinbar ziellos, blüht aus der
Tastatur, die Melodie festigt sich, wird immer beredter und dann ist es, als
wendete sie sich nach innen, als verdämmere sie in ihrem Selbst. Der Pianist Jascha
Nemtsov nennt diese vierte der 1930 komponierten sieben Statuettes von Joseph
Achron eine orientalische Liebesbeschwörung voll Wonne und Anmut. Ich würde
eher von einem Stück Musikalischer Prosa sprechen, im Sinne der berühmten
Schönberg-Definition als einer direkten und unumwundenen Darstellung von Gedanken
ohne jegliches Flickwerk, ohne bloßes Beiwerk und leere Wiederholungen. In der Tat
war Achron, aus einem polnisch-litauischen Dorf stammend und Wunderkind auf der Violine
schon vor Beginn seines Petersburger Studiums, in seiner letzten, wohl um 1930 beginnenden
Schaffensperiode von Schönbergs Musik beeinflußt worauf Nemtsov, der exzellente
Pianist, auch hinweist. Peter Gradenwitz hörte von Achron, der 1943 in Los Angeles
57jährig starb, Meisterwerke neuer Musik mit unverkennbaren Charakteristika
jüdischer Prägung. Aber Gradenwitz und zuvor Max Brod haben, was Europa angeht,
für ihn und andere vergeblich geworben.
Dorfmusik Die Ziege Dizza frißt einen Seidenstrumpf und stirbt
daran. Sie wird ein Stern am Firmament. Leah aus Rußland zitiert Lenin. Zwei italienische
Kriegsgefangene singen eine neapolitanische Kanzone. Die hübsche halbwüchsige Dassi
spielt Schubert und zieht sich zum Baden aus. Der Knabe Jossi erkundet sie mit
dem Fernglas. Die Deutschen stehen 1942 bei El-Alamein, die entscheidende Schlacht ist
noch nicht geschlagen. Sie wird von den Briten gewonnen, sechs Jahre später ist der Staat
Israel gegründet, aber bald darauf sterben die jüdischen Helden. Der Anti-Held Jossi,
alterslos, wird Totengräber und erzählt Dorf, Joshua Sobols
verklärten Blick auf sein palästinensisches Heimatdorf. Gespielt wird Kfar
(Dorf) von dem georgisch inspirierten russisch-jüdischen Immigranten-Theater
Gesher (Brücke) aus Tel Aviv auf einem kreisförmigen Steg, der
sich pausenlos dreht. Ein Mikrokosmos in Körpersprache; die Wortsprache des Stückes
hebräisch mußten fast alle Spieler in den vergangenen sieben Jahren erst
erlernen. Yevgeny Arye, der künstlerische Leiter und Regisseur, spricht sie heute noch
nicht.
Diplomatische Mission Nur eines will ich noch: das Ende, singt Wotan
in Wagners Die Walküre zu Brünnhilde. Gespenstische Daten, die ein Ende
markieren: Der 23.8.1939 Hitler-Stalin-Pakt zur Sicherung des deutschen
Angriffs auf Polen, Ziel: die Vernichtung Polens; der 28.9.1939 und 11.2.1940
Nachfolgeverträge; an den Paktdaten von 1939 Geheime Zusatzverträge über die Aufteilung
und Annexion souveräner Staaten; 21.11.1940 Premiere der Walküre am
Moskauer Bolschoi-Theater, im Auftrag Stalins inszeniert von Sergej Eisenstein, ein
symbolischer Akt der Annäherung an Hitler; 22.6.1941 vorgeplanter Vertragsbruch
mit dem Überfall auf die Sowjetunion zu Lande und aus der Luft. Claus-Henning Bachmann |
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