1999
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Jazz Seite 35Autor:
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Neoromantische
Erzählausflüge und poetische Posaunen Ralf Dombrowski stöberte in den Plattenläden von Paris und entdeckte das Paradies Frankreich tut etwas für seinen Jazz. Vom Orchestre National de Jazz bis zu den lokalen Kulturhäusern wird er unterstützt, gefördert, aufgeführt und archiviert. Die jahrzehntelange Pflege zahlt sich aus, denn die nationale Szene floriert und schillert in den verschiedensten Farben. Ein paar Schlaglichter aus der Veröffentlichungsflut. Als der Pianist Henri Renaud sich seinen Namen machte, war Paris das Mekka der Jazz-Exilanten. Es gab kaum eine amerikanische Berühmtheit, die sich nicht eine Zeitlang dort aufgehalten hätte. Für die einheimischen Musiker war das Segnung und Fluch zugleich. Denn einerseits konnten sie am praktischen Beispiel lernen und Sidney Bechet, Dexter Gordon oder Miles Davis begleiten. Auf der anderen aber mußten sie sich auch vom übermächtigen Stilideal der Amerikaner lösen, um ihre eigene Beziehung zur Improvisation zu entwickeln. Renaud ist neben Martial Solal ein typisches und berühmtes Beispiel für dieses Zwitterdasein. Orientiert an Bud Powell und Hampton Hawes suchte er nach seiner Sprache zwischen Bebop und Abendland. Das Label Vogue hat nun drei Alben aus den frühen Jahren 53 bis 55 anläßlich seines Firmenjubiläums im Rahmen einer 20teiligen Reihe mit Reissues verschiedener Künstler auf einer CD zusammengefaßt. Sie präsentiert Renaud als elegant swingenden Verwandlungskünstler im Quartett, Sextett und einer All-Star Combo, die damals bezeichnenderweise ihre LP New Sounds From France überschrieb. Nostalgisch und vital. Zwischen Renaud und Bojan Zulfikarpaic liegen vier Jahrzehnte Jazzgeschichte. Inzwischen wurde befreit und wieder adaptiert, wurden Verbindungen zur Klassik, zur Folklore, zu anderen Kulturkreisen der Welt gesucht. Bojan Z. ist Teil dieser Entwicklung. Er stammt aus Kroatien, lebt aber seit langem in Frankreich. Seine Musik ist ein Konglomerat verschiedener Stilistiken. Und seine dritte CD bei Label Bleu Koreni ist die bislang konsequenteste Umsetzung der gestalterischen Vielfalt. Denn die Musiker stammen aus Frankreich, Kroatien, Mazedonien, der Türkei und die Klänge setzten sich aus Post-Bop, Avantgarde, südosteuropäischen Einflüssen und zeitgenössisch experimenteller Moderne zusammen. Ein Album zum Entdecken, Verweilen, Berauschen. Bojan Z.s künstlerische Qualitäten sind längst kein Geheimnis mehr. Seit er 1990 beim Pariser La Défense Wettbewerb teilnahm, kann er sich die Angebote aussuchen. Eben erst war er auf Michel Portals Dockings zu hören, schon ist er auch bei Henri Texiers Azur Quintet zu Gast. Mosaïc Man ist als Fortsetzung des famosen 93er Albums An Indians Week nüchterner, reflektierter konzipiert, lebt aber noch immer von der präzisen Gestaltung ausgedehnter Spannungsbögen und der subtilen Kommunikation zwischen Glenn Ferris mächtiger, poetischer Posaune und Bojan Z.s neoromantischen Erzählausflügen. Ein langjähriger Mitstreiter des angesehenen Bassisten hat sich ebenfalls mit einem eigenen Album zurückgemeldet. Der Schlagzeuger Aldo Romano ließ sich vom Vagabundendasein der Jazz-Musiker beeinflussen und widmete sein Album Corners all den Orten, die ihm im Laufe seiner Jahre auf Achse aufgefallen und ans Herz gewachsen sind. Mal klingen die Hommagen nach New Orleans, mal nach Provence, dann wieder nach hektischen Unorten im Nirgendwo der Tourneepläne. Im Kern ähnlich konzipiert und klanglich geläutert wie Texiers Azur Quintet, schöpft dieses Projekt jedoch seine Kraft aus dem Mit- und Gegeneinander von Mauro Negris mäandrierender Klarniette und Tim Millers zuweilen kratzbürstig konkreten E-Gitarre. Richard Galliano und Jean-Louis Matinier verankerten in den neunziger Jahren das Akkordeon neu im französischen Jazz. Nun wagen sich vermehrt auch junge Musiker mit dem ehemaligen Traditionsinstrument der Unterschicht auf die Bühnen der Clubs und Festzelte. Marc Berthoumieux hat es sich mit Les couleurs dici zur Aufgabe gemacht, ein großes Publikum anzusprechen und packt den melancholischen Klang in einen Rahmen aus folkloristischen Andeutungen, edlem Studiosound und cleveren Arrangements. Er wirkt damit wie ein Michel Petrucciani des Akkordeons, anspruchsvoll und populär, hintergründig und konsumierbar, wenn auch zuweilen ein wenig gefällig. Zum Schluß noch ein Tip für Fortgeschrittene: Marc Ducret gehört neben Marc Ribot zu den rüden Saitenschändern der internationalen Avantgarde. Ob New York oder Paris hier wird zerlegt, zerhäckselt, zerfetzt. Musik entwickelt sich zur Spielwiese, die Stimmigkeit des Systems von Hörgewohnheiten zur bevorzugten Zielscheibe klanganarchischer Angriffe. Lombra di Verdi auf Tim Bernes Label Screwgun ist Ducrets erstes Bandalbum seit sieben Jahren und präsentiert ihn an der Seite von Bruno Chevillon (b) und Eric Echampard (dr) in gewohnter Verläßlichkeit als bösen Buben der gängigen Ästhetik. Der Spaß am Hören entsteht erst auf der Ebene des Kommentars, wenn die asthmatischen Läufe, kryptischen Rhythmen und lärmend postrockigen Ausfälle im Kontrast zur Traditionsbildung der Jazz-Moderne erscheinen. Dann wird Ducrets Trio zur Kernzelle kraftvoller Kreativität, unverschämt offen und raffiniert verschroben. Anspieltips |
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