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1999
48. Jahrgang
Ausgabe 06
Juni (Inhalt)

© nmz und
autoren 1999

  nmz - neue musikzeitung

Kupo / Medien

Seite 8

Autor:
Claus-Henning
Bachmann

 

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Tagebuch

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Melancholie I

Evoziert eine Komposition von Wolfgang Rihm „tonale Heimat“? Ruft sie dieses Heimatgefühl herbei, ohne es letztlich einzulösen? Legt sich Beschreibung über das Musik-Erleben, ist die Musik heute „versprachlicht“, gar „ver-begrifflicht“, mit Begriffen zugedeckt, wie Isabel Mundry beklagt, kommt es darauf an, die Begriffe daraus zu entfernen, das Rätselhafte, somit nach Adorno Kunsthafte wieder in sie einzulassen, die Ambiguität? Ist die Musikwissenschaft der Komposition gehorsame Tochter oder bezieht sie ihre Berechtigung aus dem „Einspruch gegen Musik“? Inwieweit bestimmen musiktheoretische Kenntnisse unsere Wahrnehmung? Muß die „Rückseite des Mondes“ mitgehört werden, das, wogegen sich die Komponisten jeweils entschieden haben, das „GegenWerk“? Wer benennt die Gegen-Werke der Musikwissenschaftler? Impliziert das „Verstehen“ von Musik Elemente des Forschens? Ist die „Wunde“ zwischen struktureller und metaphorischer Analyse zu schließen? Ist die beschreibende Metapher, obwohl von der Philosophie als inhomogen und undeutlich mißachtet, ein Instrument, Körperlichkeit und Räumlichkeit von Musik zuzulassen, ein Abwehrverhalten in der Wahrnehmung zu durchbrechen?

Das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die ein Symposion von Musikwissenschaftlern der Hochschule der Künste und der Technischen Universität Berlin aufwarf. Eine der möglichen Schlußfolgerungen benannte ein Zeitgefühl, das weit über die Musik hinausgreift. Die Musik-Metaphorik des 20. Jahrhunderts ist durchsetzt von Melancholie. Sah Adorno Schuberts Werk vor Versteinerung bewahrt, weil ihm „das unorganische, sprunghafte, brüchige Leben von Steinen bereits“ innewohnt, die „Landschaft des Todes“ (1928), so verteidigte der Philosoph Ulrich Horstmann die Melancholie mit Büchner, Petrarca und anderen als „heilsame Heillosigkeit“ gegen die Suggestion des Glücklichseins, gegen den vermeintlich „gesunden Optimismus“, der abschreibt, „was nicht strahlenden Auges zu ihm aufblickt“ (1985). Peter Iden als Sprecher der Jury des 36. Theatertreffens Berlin 1999 erkennt, daß Gerhart Hauptmanns Rose Bernd „in ihrem Scheitern ... ihren Triumph dennoch“ hat, sieht das Scheitern darüber hinaus als „die Signatur der Epoche“. Es herbstet im Aufbruch.

 

Melancholie II

Der Umgang mit einem Werk von Luigi Nono ist nicht nur eine ästhetische, sondern eine eminent kulturpolitische Frage. Die Hamburgische Erstaufführung von „Al gran sole carico d’amo-re“ (vgl. nmz 5/99, S. 29 f.) verweist auf die Zukunft der Kunstform Oper, deren klassischen Gebilden – „Lohengrin“, „Wozzeck“ – sich das Haus unter der neuen Leitung Hänseroth/Metzmacher höchst innovativ genähert hat. Nonos Azione scenica war der Wunsch des Nono-Kenners Ingo Metzmacher für die zweite Spielzeit, auf den der Intendant sich eingelassen hat. Damit war unausweichlich die Verbindung hergestellt zu der Hamburger Großtat im letzten Jahr der Vorgänger-Mannschaft, dem „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ des Nono-Schülers Helmut Lachenmann, einer Absage an „Oper“ im alten Sinn. Dergleichen ist gewiß nicht wiederholbar mit einem Werk, das bei seiner Uraufführung vor 24 Jahren schon „Zusammenfassung“ war und „Ausgangspunkt“ (Jürg Stenzl), Rückblick vor allem in semantischer und musikalischer Beziehung, einem Requiem für die vergessenen Heldinnen in gescheiterten Revolutionen. Doch zu leisten gewesen wäre – gerade auch in kritischem Abstand zu Nono – ein Beitrag zu dem ungelösten Theaterproblem landauf, landab: Wie nähern wir uns nach dem realen Scheitern des Sozialismus einer politisch „überholten“ Kunst, einem Brecht, einem Eisler, und eben dem Nono vor „Prometeo“?

Melancholie macht sich hier also nicht nur fest an der schönheits- und todestrunkenen Musiksprache des Requiems „Al gran sole“ (deren aggressive Einschübe heute keinen halbwegs Kundigen mehr schrecken), sondern an den denunziatorischen Zügen der Inszenierung, an der vermutlich ungewollten Nähe zur „Literaturoper“. Travis Preston erzählt seine Geschichte ohne erkennbare Einsicht in die musikalische Dramaturgie und läßt damit Metzmacher auffällig allein. Aus dem „Mythos“ Revolution wird das katholische Gegenbild mit Mater dolorosa und Pietà, ein pathetischer Reim, der Walter Benjamins Geschichtsphilosophie – als Angelus Novus, Engel der Geschichte, tanzend auf der Bühne anwesend – eher verrät, als daß sich bühnensinnliches Begreifen mitteilt. Und gerade darin, in der Gegenwart von Historie, die „unaufhaltsam in die Zukunft“ treibt, in die Veränderung von heute aus, deutet sich ein Weg an zum Umgang mit den gescheiterten Utopien. „In der Vorstellung vom Glück“, fundiert auf Trostlosigkeit und Verlassenheit, „schwingt ... die Vorstellung der Erlösung mit“ (Benjamin). Nono hat gerade „nicht für die Ewigkeit“ geschrieben, aber für genaues Hören.

 

Bürgerbewegtheit

Ein Tagebuch erlaubt Sprünge. Hier ist einer. Der Vorabend: Die Berliner Kulturszene ist bewegt von der moderaten Götz-Friedrich-Nachfolge an der Deutschen Oper: Udo Zimmermann kommt – und alle Fragen bleiben offen. Im Haus der Kulturen der Welt muß sich das Isang Yun-Ensemble Pjöngjang vor deutschem Publikum behaupten, mit Werken ihres Namensgebers. Sie spielen um ihr Leben, sie müssen reüssieren – zehn Musiker, zwei Musikerinnen, ein Sopran, der Dirigent. Ihr Auftritt an diesem Abend ist glanzvoll, fast sensationell. Hochvirtuoses, präzise artikuliertes, sensibel ausgehörtes Espressivo verweist stil-exegetische Fragen für einmal ans Nebensächliche.

Der 8. Mai 1999: kein Tag wie jeder andere. Tag der Befreiung für die Verfolgten – vier Jahre später Beschluß eines im Kern guten, rechtlich handhabbaren Verfassungstextes, mitten hinein in das schwindende Gedächtnis. Ein Demokratieforum „50 Jahre Grundgesetz“ (Initiatorin: Hildegard Hamm-Brücher, Schirmherrschaft: Richard von Weizsäcker) in der Berliner Philharmonie war Auftakt von mehr als 400 Veranstaltungen in 150 Städten: „Die Bürgergesellschaft lebt!“ Sie müßte, so wäre es rechtens, nach einer neuen Verfassung leben – denn so schreibt es das Grundgesetz vor für den Fall des wieder geeinten Deutschland. Aber der „Runde Tisch“ hatte in diesem Punkt umsonst getagt; es kam zum „Beitritt“, der die versäumte Anwendung des Gesetzes festschrieb, mit den bekannten sozialen und psychologischen Folgen. Wie gut ist die Verfassungs-Wirklichkeit dennoch?

Sie ist in dem Maße gut, denke ich, wie die in der Demokratie versammelten Stimmen in voller Deutlichkeit vernehmbar sind. Das gilt in erster Linie für die in schlechten musikalischen Interpretationen mulmig und diffus tönenden Neben– und Mittelstimmen, für die Minderheiten. Die Bürgergesellschaft ist nicht gleichbedeutend mit der Mehrheitsgesellschaft, umgekehrt ist sie nicht deshalb eine Minderheiten-Gesellschaft, weil sich nur eine Minderheit engagierter Bürger mit der Zukunft unseres Staatswesens befaßt. Die verletzliche, in ihrer Selbstdarstellung gehemmte Demokratie scheint an „Wehrhaftigkeit“ zu gewinnen durch die Einführung plebiszitärer Elemente wie Volksbefragung und Volksentscheid. Was spricht gegen sie? Die Beeinflußbarkeit über Emotionen in der Mediengesellschaft und das Fehlen einer breit angelegten, aber differenzierten Debattenkultur. Das Zauberwort der politischen Bildung kann zwar die Verfassung für Deutschland nicht ersetzen, aber die Radikalität bestehender Grundrechte könnte eingefordert werden von der Bürgergesellschaft als einer wissenden.

Claus-Henning Bachmann

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