1999
|
|
Tagebuch Seite 9Autor:
[an error occurred while processing this directive] |
Tagebuch Moderne out Da werden sie denn lebendig, Stehaufmännchen und (dreimal pardon!) -frauchen, Hanns Eisler und Lou, Kurt Weill und Lotte, Karl Amadeus Hartmann würdig mit schiefgeneigtem Kopf vor Bierkrug und großbürgerlichem Geschirr. Petra Ellerts Komponistenportraits sind reliefartig auswachsende Fotoskulpturen; ihr grünstichiger, zumindest nicht reizloser Raum ist Teil eines Ausstellungs-Regietheaters, das sich der berühmt gewordenen Rekonstruktion (von Albrecht Dümling und Peter Girth) des NS-Schau-Pamphlets von 1938 Entartete Musik bemächtigt hat. Auf ihrer 49. Station erreichte diese Rekonstruktion Europas Kulturstadt Weimar, und hier im Rahmen eines mehrdeutig interpretierbaren Generalthemas Weimar und die Ambivalenz treiben heterogene und optisch überwiegend vorlaute kunsthafte Zusätze den Informationswert vor sich her. Der Charme der Armut (vielzitierter Ausspruch des Kulturstadt-Intendanten Bernd Kauffmann) sieht sich einmal mehr ästhetizistisch verbogen zur scheinhaften Moderne. Damit lieferte die Aufbereitung ungewollt sinnliches Anschauungsmaterial für provokante Thesen eines auf der Weimarer Ambivalenz-Schiene ausgerichteten internationalen und interdisziplinären Kolloquiums: Der Fall Weimar. Moderne und Antimoderne im Spannungsfeld des 20. Jahrhunderts. Das Gegenüber und Ineinander von Buchenwald und Kulturstadt Europas, von Inhumanität und schillerndem Kulturbegriff gab dem Treffen seinen Brennpunkt. Es war eine Tagung zum Wohlfühlen auf höchstem Niveau, freilich auch eine der hartnäckig gegen offenkundigen Realitätsbefund behaupteten Utopien. In gewisser Weise war sie selbst ein Kunstwerk, das folglich auch alle Fragen an sich selber richtete. Vorab die nach der Überwältigung von Kunst durch das Ästhetische, den schönen Schein, der für die künstlerisch ausgebreiteten Problemfelder Scheinlösungen bereithält. Die Moderne als Programm wurde zur Leerformel erklärt, aber der Glaube an den Fortschritt, wie immer definiert, keineswegs aufgegeben. Hanns-Werner Heister, Musikwissenschaftler mit Weitblick, hatte die Tagung fest in der Hand. War jedoch der Vernichtungswille der Nazis genügend ernst genommen? Es gab Ansätze zur Relativierung, die ich für gefährlich halte. Die Vernichtungs-Süchtigkeit ist Teil des Seelenhaushalts über Generationen hinweg. Täterschaft kann sich in der Familie fortsetzen: Über diesen Schrecken wird noch zu berichten sein, das Tagebuch über Deformationen der Moderne als fortdauerndes Erbe finsterer Zeiten bleibt geöffnet.
Vollmundig klingend Politiker müssen nicht genau wissen, worüber sie reden, wenn sie über Kunst reden. Vage sollten sie es wissen, und manchmal haben sie dann Glück, daß sich der Stand ihres Wissens mit der Sache deckt. Von Franz Müntefering, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, wird die aus offiziellem Anlaß gegebene Einschätzung kolportiert, daß Klangkunst die Kunst des 21. Jahrhunderts sei: Klangkunst, auch Soundart oder in einem besonderen Strang mit der Nähe zu Happening und Fluxus Aktionskunst, die sich heute freilich von der Performance eher abgrenzt, weil der Performer gerade fehlt, die zunehmend Kunst im Öffentlichen Raum, auf Straßen und Plätzen, aber auch im Foyer einer Rundfunkanstalt ist. Sie entstand aus Musikmaschinen, die zugleich Skulpturen waren, nahm Gestalt an durch Bildende Künstler, die den Klang der Bilder und Formen im Wortsinn zu begreifen suchten. Klangkunst ist regellos, obwohl immer wieder versucht wird, ihr Regeln anzumessen. Sie bezieht sich auf den Raum, in dem sie tönt, und der Raum gewinnt durch sie eine neue Dimension, er wird, um es à la mode zu sagen, Erlebnisraum. Politiker sind gern à la mode, und sie lieben die Vagheit, der sie einen Aplomb anheften, als sei sie nicht vage. Gegenüber einer Phase der restaurativen Kunst, in der wir gegenwärtig leben, behauptet sich die Klangkunst mit der ihr eigenen begrifflichen Vagheit so die Musikwissenschaftlerin Helga de la Motte-Haber, die vor drei Jahren einen informativen Ausstellungskatalog Klangkunst für die Akademie der Künste, Berlin (im Prestel-Verlag München/New York) erarbeitet hat und den Abschlußband Klangkunst für das Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert (Laaber-Verlag: Die Jahrhundert-Bilanz) vorbereitet. Klangkunst verweigert dem Besucher das herkömmliche Konzert-Erlebnis, zwingt ihn in eine höchst komplexe, psychologisch differenzierte Wahrnehmungssituation. Ihr Kennzeichen ist die Unbestimmtheit, ein Wort, das auf die geistige Ausstrahlung und das Erbe von John Cage verweist. Cage ließ gelten, was sich ereignet die Klangkunst gibt sich damit nur selten zufrieden; sie intendiert, daß der sie umgebende Raum im übertragenen Sinn: der Resonanzraum als Instrument funktioniert und die Menschen darin als Bogen fungieren, als diejenigen, die den Luftstrom organisieren. Kunst für das zu Ende gehende oder für das kommende Jahrhundert? Gespräche, die von der Berliner Gesellschaft für Neue Musik angesetzt waren, zeigten sich davon zu Recht wenig berührt. Die Normalität einer optisch-musikalischen Erfahrung stand im Mittelpunkt. Von der Unbestimmtheit ausgehen: das heißt der Musik von Träumen den ihr eigenen Klang geben. Ihn zulassen in phantasiereichen Installationen, die frei sind von Erfahrungen und Geschichte. Zeitlos und vergänglich. Vielleicht ist Klangkunst nicht einmal Kunst. Ihren Ballast hat sie nicht. Vielleicht spottet sie über jeden, der sich ihr vollmundig nähert. Denn sie tritt in der Regel leise auf.
Oper zum Lesen Daß eine Inszenierung nur im Programmheft stattgefunden habe, ist ein mehr als abgenutztes Kritikerdiktum, in der nmz kaum vorstellbar. Andererseits sind Programmhefte und -bücher natürlich verbale Inszenierungen, was denn sonst? Die in Imagefragen rührige Staatsoper Unter den Linden schreitet auf dem Wege zur repräsentativen Hauptstadt-Oper voran. Zu Harry Kupfers Neuinszenierung von Wagners Tannhäuser (Premiere am 28. März 1999) ist das Programmbuch seitengleich als Opernführer im Insel Taschenbuch Verlag, einer Suhrkamp-Dependance, erschienen, mit Vertrieb im ganzen deutschen Sprachraum. Weitere Titel sind entlang der Lindenoper-Planung bis einschließlich Januar 2000 angekündigt: eine dem breiten Publikum zugewandte, für das O-pernhaus durch höhere Auflagen kostensenkende und als Werbemittel fast unbezahlbare Koproduktion. Die renommierte Goethelastige Verlagsabteilung, ein Bildungs-Instrument hohen Grades, wird gleichwohl die Opernproduktion nicht beeinflussen und remittendenträchtige Namen wie Carter und Schönberg in Kauf nehmen müssen; der Prestigegewinn bleibt ihr dennoch. Zwei grundsätzliche Erwägungen mögen angesichts der neuen Partnerschaft bedacht werden. Da wäre einmal zu fragen, ob nicht ein solches Druckerzeugnis, auf dem Buchmarkt gegenüber dem Preis im Opernhaus leicht verteuert und aus dem Kontext des aktuellen Kunstgeschehens gelöst, die Legitimationsprobleme verschleiern hilft, denen sich die Oper oder das Musiktheater mit jeder Neuproduktion heute ausgesetzt sieht. Das Vergängliche wird gleichsam absolut gesetzt, eben als Opernführer anstelle einer ebenfalls denkbaren Dokumentation des ephemeren Ereignisses mit kritischen Notizen zum Werk und dessen Auslegung, damit indes kaum Insel-tauglich. Wird aber die skeptische Frage bejaht, so müßte auch anerkannt werden, daß gerade die Literarisierung über systemimmanente Unzulänglichkeiten hinweg die Energien der Kunstform Oper bündeln hilft. Jedenfalls für Bildungsbürger, die sich führen lassen. Claus-Henning Bachmann |
Links |
@ leserbrief @ nmz info (internetdienste) und hilfe |
||
@ KIZ, das Kultur-Informations-Zentrum der nmz |
@ aktuelle ausgabe |
@ anzeigenpreise
print |
|
Home |
© copyright 1997 ff. by |
Postanschrift |