1999
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Kupo / Medien Seite 6Autor:
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Tagebuch Mäzenatentum Wir sind so frei. Wir haben die Freiheit, betteln zu gehen, wenn auch auf höchster Ebene. Das Privatleben derer, die dort walten, ist so banal wie unseres meist, kulturpolitisch daher ohne Bedeutung. Das hat etwas Tröstliches. Kulturpolitisch von größter Bedeutung sind die finanziellen Kompetenzen der infolge jener Banalitäten bekanntesten Historikerin Deutschlands. Brigitte Seebacher-Brandt hat im dreiköpfigen Vorstand der Kultur-Stiftung der Deutschen Bank – neben dem Siemens Kulturprogramm München der meistgenannte private Kulturförderer, nach eigener Bekundung kein interessengesteuertes Sponsoring, sondern „Mäzenatentum in moderner Form“ – nicht allein das Sagen, ist aber bei den Vorentscheidungen nach allen Erfahrungen, die Antragsteller gemacht haben („Theater heute“: „50 bis 60 pro Woche“, „Der Spiegel“: „40 bis 50“), die gewichtigste Stimme. Zwei Befragungen in den genannten Periodika suchten die Kriterien von Frau Seebacher-Brandt herauszufinden. Ich halte die Gespräche für besorgniserregend, ja erschreckend. Die Kriterien nämlich blieben verborgen; es gibt offenbar keine, vom persönlichen Geschmack abgesehen. Von der „klassischen Kultur“ hoffe und glaube sie, „daß sie nicht so völlig den Bach runtergehen wird“ gegenüber dem Trend zur „Marketing- und Event-Kultur“. Hoffe und glaube ich auch, doch wie definiert sich das „Klassische“, und ist es gefeit gegen Marketing und Event? Die Stiftungsgründung sei „Bündelung“ der zuvor unsystematisch betriebenen Kulturförderung. Was bündeln die Entscheidungen über Zu- oder Absage inhaltlich im gesellschaftlichen Kontext? In vier Jahren seien etwa 300 Projekte gefördert und 30 Millionen an Fördermitteln zugesagt worden. Mit „Fingerspitzengefühl“, ohne „Proporz“-Denken, „Subjektivität“ bei der Urteilsfindung, doch auch zugelassenem „Zweifel“ an den eigenen Erkenntnis-Voraussetzungen. Kann, ja darf das alles sein? Die Zusammensetzung eines „Netzwerks informeller Berater“ bleibt im Dunkel. Wer sind sie, wie funktioniert das? Man müsse „auch den Widerspruch fördern“. Mit dem Geld des Kapitals könne man sogar „subversive Kunst“ ermöglichen. Wie schön: Man kann auch das Subversive kaufen – neu ist dies freilich nicht. Maecenas, Freund des Kaisers Augustus, hat Horaz und Vergil gefördert. Befreundet sind Macht und Reichtum immer noch, doch darüber spricht man nicht. Ästhetisierung Ein kleines Mädchen wurde vom Großvater, dann vom Vater sexuell mißbraucht. Der Vater, den es „vergöttert“ hat, war ein kultivierter Mann mit ästhetischem Feingefühl und ein hoher Nazi-Funktionär; seinen Mißbrauch begleitete er mit Tiraden vom „Wert der KZ“. „Netzwerke der Gewalt bestehen zwischen Politischem und Privatem“ (Jürgen Müller-Hohagen, Psychotherapeut und Sozialpsychologe, in einem Papier zu dem Weimarer Forschungsprojekt über „Moderne und Antimoderne im Spannungsfeld des 20. Jahrhunderts“ – vgl. mein Tagebuch in der nmz 7-8/1999). Hier soll nicht so sehr die Fallgeschichte, sondern die destruktive Gewalt des sogenannten Ästhetischen, der nach außen gekehrten Haltung des „Schönen“ interessieren. Bernd Sponheuer, Musikwissenschaftler aus Kiel, wies in Weimar darauf hin, daß in der NS-Zeit die Rezeption, die Aufnahme und Wirkung von Kunst, zum entscheidenden Faktor wurde. Goebbels wollte eine „verzauberte Welt des Ideals“ errichten. Daraus folgt eine „potentielle ideologische Anfälligkeit des Ästhetischen selber“. Der Mißbrauch des Ästhetischen zur scheinhaften Versöhnung gesellschaftlicher Widersprüche ist ein Leitgedanke des Musikwissenschaftlers Hanns-Werner Heister (Hamburg). Kunst sei nicht unbedingt „eine spezifische Ausprägung des Ästhetischen“; vielmehr gelte für die Kunst, „daß in ihr gesellschaftliche Widersprüche, Konflikte, Probleme“ gerade nicht „ästhetisch überformt, gestaltet, übertönt“ würden. Damit sind wir im Hier und Heute angekommen und haben die Geschichte des Nationalsozialismus, den man nicht mit unnötig viel kultureller Identität ausstatten sollte (Joachim Radkau, Historiker in Bielefeld), scheinbar hinter uns gelassen. Aber nur scheinbar, denn – davon wissen vor allem Psychotherapeuten ein Lied zu singen – die Geschichtslast wirkt fort bis in die (derzeit) vierte Generation. Die Folgen dieser Last in uns sind vielfach nicht mehr erkennbar, aber latent vorhanden und in dieser Verborgenheit schwer zugänglich. Das kulturelle Leben ist selber nicht frei von den Spätfolgen. Ein auffälliges Beispiel bietet zur Stunde der Machtkampf in Bayreuth. Metamorphose Auch ehemalige Gewalttäter sind unter den Spielern. Sie verdienen Beifall für ihr Spiel. Man muß in die Hände klatschen – ein merkwürdiges Gefühl? Nein, lieber keine Gefühle, sonst sind wir beim Heimkino: „Mal echte Mörder bestaunen ...“ Es geht um Erfahrung, um den mehr als flüchtigen Einblick in die unbekannten Gesetze einer unbekannten Stadt, der größten deutschen Gefängnisstadt namens Justizvollzugsanstalt Tegel. Die Erfahrung vermittelt das experimentelle Kunstprojekt „AufBruch“ in seinem zusammen mit den (ausschließlich) männlichen Gefangenen erarbeiteten Zweiteiler „Tegel – Alexanderplatz“ unter Verwendung von Motiven aus Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ von 1930, ein halbes Jahr nach der Premiere wiederaufgenommen für das erstmalig in Berlin stattfindende Festival „Theater der Welt“. Täter sollen nicht Täter bleiben; dafür sorgen sogenannte Resozialisierungs-Programme, in Zeiten der öffentlichen Finanznot mehr schlecht als recht verwirklicht. Ein türkischer Häftling, der den Roman wohl gelesen hat, sagte mir, es sei alles noch so wie zur Zeit des fiktiven Franz Biberkopf: Viele kämen zurück, ertrügen die „Freiheit“ nicht. Das ist ein Döblinscher Gedanke: Die Strafe beginnt mit der Einlieferung in die Wirklichkeit. „Einlieferung“ heißt der erste Teil, der – mit Schauspielern und einem Freigänger – im S- und U-Bahnhof Alexanderplatz spielt; „die Strafe beginnt, ab in die Freiheit, einfach weiterlaufen!“ wird den Zuschauern am Schluß zugerufen. Die wenigsten gehen, bleiben in Gruppen auf dem Platz stehen, mitten in der Nacht – beklemmend. Ist der ostinate Satz: „Ich bin Täter, aber ich bin auch Opfer“ mehr als eine Selbstschutzbehauptung? Der Zweifel bleibt. Verwandlung aber, bleibend, unvergeßlich, gibt es auch auf diesem Festival des Internationalen Theaterinstituts, eines weltweiten Netzwerks. Sie kommt aus einem polnischen Dorf nahe der ukrainischen Grenze, Gardzienice. „Metamorphosis“ ist der Titel eines „theatralen Essays“ nach dem Platoniker Apuleius; die antiken Lieder ergreifen von den Spielern um Wlodzimierz Staniewski Besitz, Lieder von Steinen aus der Zeit um Christi Geburt. Die – variierende – Lieder-Folge bildet die Fabel; es ist, als bräche sie in diesem Lobgesang an den Eros aus den Körpern der Frauen und Männer hervor, als würden die Steine mit den Spuren unvorstellbarer Musik zu Stimmen. Sehr einfach alles – und groß; es gibt kein anderes Wort dafür. Die Musik ist wie ein Element, das theatralisch verwandelt. Staniewskis Theater arbeitet für kulturelle Minderheiten, überwand das Mißtrauen der Dorfbewohner. Der dionysische Wahnsinn verbindet sich bruchlos mit christlicher Symbolik. Staniewski kommt, wen wun-dert’s, von dem Theater-Laboratorium seines Landsmannes Jerzy Grotowski her. Den ungestrichenen „Faust“ kann seine Truppe nicht geben. Die Millionen des Maecenas gelangen nicht in ihr Dorf. Claus-Henning Bachmann
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