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1999
48. Jahrgang
Ausgabe 10
Oktober (Inhalt)

© nmz und
autoren 1999

  nmz - neue musikzeitung

Kupo / Medien

Seite 6

Autor:
Claus-Henning
Bachmann

 

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Tagebuch

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Gleichstimmung

Aus dem „Passagen-Werk“ von Walter Benjamin: „Methode dieser Arbeit: literarische Montage. Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen. Ich werde nichts Wertvolles entwenden und mir keine geistvollen Formulierungen aneignen. Aber die Lumpen, den Abfall: die will ich nicht inventarisieren sondern sie auf die einzig mögliche Weise zu ihrem Rechte kommen lassen: sie verwenden.“ Montage ist nicht gleichbedeutend mit Collage, wie Peter Rautmann und Nicolas Schalz einleuchtend hervorheben; sie ist gleichsam deren höhere Organisation. Seit Beginn des Jahres arbeite ich an einer Radio-Collage für den Bayerischen Rundfunk über den musikalischen Fortschritt und seine „Abfälle“, hoffend, dass eine Montage daraus werde. In dieses Bemühen trafen die dreibändigen „Passagen – Kreuz- und Quergänge durch die Moderne“ von Rautmann und Schalz wie eine kleine Explosion. Das psychologische Problem bei der Studien- und Rezensionsarbeit (meine mehr oder weniger entschieden gegen sie vorgetragenen Einwände wurden von der Redaktion nicht akzeptiert) war alsbald evident: Es war die Nähe zu einer Vielzahl der Positionen und ihrer formalen Aufbereitung; es waren die häufig wiederkehrenden „Ja – richtig“-Erlebnisse. Wie sollte, wie konnte ich damit umgehen? Die Arbeit mit den beiden Textbänden wurde zunehmend zu einer Selbsterfahrung, zu einer permanenten Aufforderung, die eigenen Einstellungen zu überprüfen. Die Last verkehrte sich indes auch in das Glück, dergleichen von mir persönlich unbekannter Seite signalhaft ausgesetzt zu werden. Eine der möglichen Gegenpositionen zu Schalz und Rautmann fand ich kürzlich in einem Artikel über den früheren Ligeti-Schüler Manfred Stahnke, dessen „synkretistisches Musikdenken“ als „das eines bekennenden Post-Avantgardisten“ herausgestellt wurde (Peter Niklas Wilson in „MusikTexte“ 80, S. 44). Nicht Stahnkes Musik steht dabei zur Diskussion, sondern das aus ihr gefolgerte „Bekenntnis“ im Zusammenhang mit einem „Denken“, an dem die Vermischung hervorgehoben wird und das daraus seine Ungenauigkeit erfahren muss. „Avantgarde“ – „Vorhut“ – ist, aufs Ganze der Musikgeschichte gesehen, ein Unwort. Es deutet an, dass ein linearer Fortschritt zum immer Besseren stattfindet, Landgewinnung eben. In den Büchern von Schalz und Rautmann lesend höre ich die „Missa l’homme armé“ von Johannes Ockeghem und frage mich, wie viele Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert sich ihr an die Seite stellen lassen. Überschätzen wir dieses Jahrhundert? Vielleicht ist die häufige Nennung von „Avantgarde“ eine Flucht, eine Abwehrhaltung – man delegiert an die Kunst, was man selber zum besseren Leben nicht auf sich nehmen will. Und die Frage muss erlaubt sein – an die eigene Adresse, an die Autoren der neuen „Passagen“-Bände –, ob Kunstwerke die ihnen aufgebürdete Last zu tragen imstande sind.

Allumfassend

Sie wollen alles. Keine klingende Musikgeschichte, keine Darstellung der „ismen“, aber (unausgesprochen) alles anders, alles besser machen als die anderen, alles Mögliche und Denkbare im phänomenologischen Querschnitt einbeziehen, mit Hilfe von 46 nicht nur inländischen Autoren/-innen in 120 Sendungen über einen Zeitraum von drei Jahren. „Sie“: das sind die Redakteure im Südwestrundfunk, das ist vor allem Armin Köhler, der diese „Hörgeschichte der Musik des 20. Jahrhunderts“ unter dem bildhaften Titel „Vom Innen und Außen der Klänge“ konzipiert hat (vgl. nmz 9/99, S. 9). Der Werbeaufwand ist beträchtlich, er übertrifft alles, was andere Sender bei äußerster Anstrengung zu leisten imstande wären; auf jeder der Rezensions-CDs ist die „Zusammenarbeit mit der Kultur-Stiftung der Deutschen Bank“ erwähnt – man ahnt die Verbeugungen auf den Chefetagen. Sechs der 55-Minuten-Sendungen liegen vor; ich habe sie mir angehört, viele Passagen mehrfach. Es sind gute, grundsolide, kenntnisreiche und sauber recherchierte Arbeiten, in den Einstellungen und Wertungen teilweise kontrovers, aber das war mit den Namen der Beteiligten bereits programmiert. In keiner Sendung ist – von den üblichen Klangbeispielen abgesehen – der Versuch erkennbar, eine hörfunkeigene und nur dort mögliche strukturelle Form zu finden; die Manuskripte sind wesentlich „normaler“ als die Inhalte, mit denen sie sich befassen – oft sind sie auffällig didaktisch (Max Nyffeler über „die magische Zahl“). In einem Falle sind die gehirnphysiologischen und wahrnehmungspsychologischen Informationen derart verarbeitet, dass der Titel der Reihe im Scheinwerferspot aufleuchtet: Die erste von zwei Sendungen des Komponisten und Theoretikers Konrad Boehmer, Amsterdam – „Wie die Zeit vergeht“ mit dem zentralen Gedanken, dass musikalische Zeit übersetzt wird in Wahrnehmungsqualität – lüftet ein wenig den Schleier über dem fortdauernden Rätsel der Wirkung von Musik. Peter Niklas Wilson versucht mit Eloquenz den angestaubten Begriff der Postmoderne für die musikalische Innovation zu retten, nachdem Reinhard Kager gerade den „Anbruch einer gänzlich neuen Epoche“ mit guten Argumenten zur Chimäre erklärt hat. Eine beckmesserische Marginalie: „In keinster Weise“ ist in wirklich gar keiner Weise sprachtauglich, Armin Köhler.

Produktivkraft

Die Frage, ob das Kompliziert-Einfache, also das von einem komplexen Ansatz her zur Einfachheit Geklärte und das aufklärerisch Wirksame, also gesellschaftlich Eingreifende in der Musik zusammengebracht werden können, hat zeitlebens Hanns Eisler beschäftigt. Aber auch Gustav Mahler (der zur Zeit auf den 49. Berliner Festwochen gefeiert wird) und der neunzigjährige Elliott Carter (der in diesen Tagen in Berlin seine erste Oper vorlegt: „What next?“) suchten nach der möglichen Verbindung von Komplexität und spontaner Wirksamkeit. „What next?“ fragte sich die amerikanische Komponistin Ruth Crawford Seeger, nachdem sie im Jahre 1933 „Two Ricercari“ für Gesang und Klavier komponiert hatte, Lieder nach Texten aus dem „Daily Worker“, die von den unschuldig hingerichteten Anarchisten Sacco und Vanzetti sowie von einem chinesischen Wäschereiarbeiter handelten. Sie hatte in dem Klavierpart von „Chinaman, Laundryman“ die von ihrem Mann Charles Seeger erlernte Technik des „dissonant counterpoint“ – eine unabhängig von der Wiener Schule die Dissonanz emanzipierende Praxis – zu einem eigenwilligen „Rotationsprinzip“ weiterentwickelt. Eine kompositorische Pause folgte, in der sich die Seegers mit Erfolg auf die Forschungsspur der nordamerikanischen Volksmusik begaben; gilt die dadurch beabsichtigte Identitätsbildung der amerikanischen Musik im Gefolge des „New Deal“, der staatlichen Wirtschaftsplanung unter Roosevelt, auch als gescheitert, so konnte doch die 1953 an Krebs verstorbene Ruth Seeger in den 40er-Jahren nationale Beachtung als Vorkämpferin der frühkindlichen Musikerziehung finden. In dieser Komponistin war die Verbindung von musikalischer Differenziertheit und Massenwirksamkeit personifiziert. Die „Ricercari“ wurden im gleichen Konzert wie Edgard Varèses „Ionisation“ uraufgeführt, eine Komposition, die noch 1950 das Publikum der Darmstädter Ferienkurse verstörte; andererseits hatte Eisler in den USA das Signal zu einem sozial wirksamen „Composer’s Collective“ gesetzt. Auf die Spur von Ruth Crawford Seeger führte mich die Forschungsarbeit der Flötistin und Musikwissenschaftlerin Kirsten Reese, die damit Beweis ablegte für das produktive Ineinander von Wissenschaft und Praxis.

Claus-Henning Bachmann

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