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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 12
49. Jahrgang | November
Forum
Unerträglich pauschal
Leserbrief zum Editorial
von Gerhard Rohde:
S. 1, nmz 10/00
Der Artikel Unanständig ist wegen seiner fehlenden
Sachkenntnis und seiner Pauschalisierungen (Alle sind unanständig)
unerträglich!
Anders als Herr Rohde möchte ich mich nur zu dem Fall äußern,
über den ich etwas genauer informiert bin: Barenboim hat sein
Bleiben in Berlin nicht von zehn Millionen Mark abhängig gemacht.
Wenn Sie sein ausführliches Interview in der FAZ
gelesen hätten, wüssten Sie, dass er nie den Betrag zehn
Millionen genannt hat. Er hat im Wesentlichen zwei Forderungen:
1. Die Anhebung des Gästeetats, damit Sänger, die
man selbstverständlich in London und Paris hören kann
auch in Berlin engagiert werden können. Über die Höhe
der Anhebung dieses Etats lässt Barenboim durchaus mit sich
reden.
2. Die Angleichung der Staatskapelle an andere vergleichbare Orchester
(nicht wie Sie böswillig unterstellen, an die Berliner Philharmoniker,
sondern an München oder auch im Osten Leipzig und Dresden).
Dabei geht es um 3,5 Millionen Mark. Nur an diese Forderung hat
Barenboim sein Bleiben in Berlin geknüpft.
Seit Jahren wird diese Angleichung versprochen. Es ist deshalb
kein Wunder, wenn sich nun nach langem Hinhalten die besten Solospieler
der Staatskapelle zu Probespielen in anderen Orchestern anmelden,
wo sie im Monat 1.300 Mark mehr verdienen. Wenn dann deren Stellen
von mittelmäßigen Musikern besetzt würden, könnte
ein Absinken des Niveaus des traditionsreichsten deutschen Opernorchesters
nicht ausbleiben. Eine Korrektur wäre auf lange Sicht nicht
möglich, denn die wichtigsten Stellen wären dann auf Jahre
hinaus besetzt.
Sollte Barenboim mit seiner Forderung nicht erfolgreich sein,
so würden Sie wahrscheinlich zu den Ersten gehören, die
bei seinem Abschied, ohne mit der Wimper zu zucken, schreiben würden:
Die Berliner Staatskapelle ist nicht mehr das, was sie war,
als Barenboim sie übernommen hat. Ein Orchester, dessen
Konzert in Japan von den Kritikern neben großer internationaler
Konkurrenz (unter anderem auch Berliner Philharmoniker) zum besten
des Jahres erkoren wurde, ein Orchester, das aus der Kritikerumfrage
der Zeitschrift Opernwelt als das beste des Jahres hervorging,
würde zum Mittelmaß absinken.
Ich verstehe nicht, warum ausgerechnet Sie als Musikzeitung Herrn
Barenboim bei seinem Bemühen, das zu verhindern, in den Rücken
fallen. Sie sollten die Alarmglocken läuten, damit Barenboim
Berlin erhalten bleibt. Was große Namen betrifft, läuft
München schon lange der Hauptstadt den Rang ab.
Anders als Herr Rohde meint, liegen die Probleme hier doch eindeutig
auf Seiten der Politik, in der es zu keinem Entschluss kommt, weil
sich die Stadt Berlin und der Bund den schwarzen Peter zuschieben.
Hätte die Stadt Berlin nicht für den Bau einer U-Bahn
drei Milliarden buchstäblich in den Sand gesetzt (sie wird
nicht fertig gestellt und offensichtlich auch nicht so dringend
gebraucht), so könnte sie viele Opern sanieren.
Ich kann nichts Unanständiges darin sehen, wenn
ein Chefdirigent um die Qualität seines Orchesters besorgt
ist. Unanständig ist demgegenüber, wenn ein Journalist
aus Profilierungssucht einen schmissigen Artikel schreibt, ohne
vorher sorgfältig recherchiert zu haben. Aber warum braucht
denn unsere Hauptstadt überhaupt Spitzenorchester? Sie hat
doch die Loveparade. Weiter so!