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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 3
50. Jahrgang | März
Zukunftswerkstatt
Vergessene Moderne wird ins Repertoire zurückgeholt
Projekttage Geschichte, Musik, Erinnerung: Brücken
für die Zukunft mit Wettbewerb Verfemte Musik
Die
Rubrik Zukunftswerkstatt ist eine der Neuerungen, die
die Redaktion der neuen musikkzeitung im 50. Jahrgang einführte.
Ebenfalls ins 50. Jahr kommt dieses Jahr die Jeunesses Musicales
Deutschland (JMD), deren Verbandszeitung die nmz bereits war, als
sie sich noch Musikalische Jugend nannte. Thema dieser
Zukunftswerkstatt ist der neue Wettbewerb Verfemte
Musik, den der JM Landesverband Mecklenburg-Vorpommern initiierte.
Für die Zukunft sei, so Thomas Rietschel, Geschäftsführer
der JMD in Weikersheim, gemeinsam mit dem Bundesverband der JMD,
eine internationale Ausweitung dieses Wettbewerbs geplant: Verfemte
Musik gab es nicht nur im Nationalsozialismus, sondern auch aus
den Diktaturen Lateinamerikas und Südostasiens und anderen
Teilen der Welt. Überall dort sind Komponisten vertrieben oder
unterdrückt worden, weil ihre Arbeit den jeweiligen Machthabern
nicht ins Konzept passte. Der Wettbewerb soll sich auch in
Zukunft speziell an junge Musiker richten, die sich über diesen
Wettbewerb künstlerisch mit widerständiger, unterdrückter
Musik auseinander setzen. Dabei geht es letztlich auch um das alte
Thema Musik und Politik. Wie die Premiere des Wettbewerbs in Schwerin
über die Bühne ging, berichtet Georg Beck.
Es hat sich herumgesprochen. Was als Repertoire im Musikbetrieb
verhandelt wird, ist Resultat von Verabredungen. Abhängig von
Markt und Moden. Etwas aber fehlt, heißt es in Brechts Mahagonny.
Was, sagen uns die Spurenleser abseits der abgesteckten Claims.
Sie machen uns aufmerksam auf komponierende Frauen und auf Komponisten,
die selbst noch aus der Beerenauslese der klassischen Moderne herausfallen,
auch wenn sie nach ihrem eigenen Bewusstsein ein Teil dieser Moderne
waren: Pavel Haas, Gideon Klein, Hans Krasa, Alma Mahler, Erwin
Schulhoff, Viktor Ullmann, um nur einige zu nennen.
Das Viktor Ullmann Quartett:
v.l.n.r. Katharina Uhde, Franziska Hölscher, Tatjana
Uhde und Simone Jandel. Gegründet wurde es 1998, betreut
wird es von Jörg-Wolfgang Jahn, Musikhochschule Karlsruhe.
Foto: Archiv
Es bedurfte und bedarf besonderer Anstrengungen, um sie und ihre
Werke wieder ins Gedächtnis zu rufen. Verdienst von Initiativen,
die sich seit nunmehr über zehn Jahren zunächst außerhalb
des universitären Betriebs gebildet haben und sich um das verdrängte
Erbe einer vergessenen Moderne bemühen. Spurensicherung, Zeugenbefragung,
Quellenedition, Konzerte.
Die Jeunesses musicales hat dieses Arsenal mit dem
ersten bundesweiten Instrumental- und Gesangswettbewerb Verfemte
Musik bereichert. Das Echo war mit rund vierzig Teilnehmern
in den Fächern Klavierlied und Streichquartett bemerkenswert
groß. Idee und Initiative machen Sinn. Denn wie anders sollte
sich das Repertoire erweitern, wenn es nicht zum Besitz eines fähigen
künstlerischen Nachwuchses wird?
Frischgekürt, die Schecks in der Hand, die Instrumente geschultert,
rüsten sich die Stars des Wettbewerbs zum Aufbruch. Mit einer
souveränen Interpretation des 3. Streichquartetts op. 46 (1943)
ihres Namenspatrons hat das junge Viktor Ullmann Quartett in Schwerin
abgeräumt. Jetzt aber nach Hause! Die Vier sind schon in der
Tür, als ihr energischer Schritt mit einem Mal innehält.
In einer Ecke sitzt Kollege und Juror Paul Kling. Wie sich verabschieden?
Als Siebenjähriger steht Kling zum ersten Mal auf der Bühne.
Wunderkind konzertiert mit Wiener Symphonikern, lautet die Schlagzeile.
Mit zwanzig begleitet ihn das Prager Symphonieorchester zu Brahms
Violinkonzert.
Dann kommt Theresienstadt, der Nazi-Käfig mit den vergoldeten
Gitterstäben, das Durchgangslager Richtung Auschwitz sechzig
Kilometer vor Prag. Kling überlebt und übernimmt nach
dem Krieg eine Professur im kanadischen Vancouver, wo er jahrzehntelang
nicht über die Ereignisse spricht. Auch aus Vorsicht. Der
spielt hier doch nur, weil er im KZ war. Solchen Ressentiments
wollte Kling das Wasser abgraben. Erst jetzt, am Ende seiner Laufbahn,
redet er und steht auch zur Absurdität, dass das Lager für
ihn mit dem Glück einer außerordentlichen menschlichen
wie künstlerischen Begegnung verbunden bleibt. Im KZ lernt
er Gideon Klein kennen, das junge Prager Multitalent, den viel bewunderten
Pianisten und Komponisten. Die Konzerte mit Klein sind Stunden der
Erfüllung. Erfahrungen, die nur er weitergeben kann.
Neue Begegnungen
Schwerin, im Januar 2001. Es ist mehr als das halbe Jahrhundert,
das zwischen Kling und dem Ullmann-Quartett steht. Immer sind da
auch noch die Reste einer Eiszeit aus Nichtsprechenkönnen,
Nichtsprechenwollen. Die Täter verstockt, die Opfer traumatisiert.
Die zweite Generation eher halbherzig, noch voller Angst über
das, was herauskommen könnte. Erst jetzt, im Umkreis der Epochenwende,
erhalten die Begegnungen neue Qualität. Was die Schweriner
Veranstaltungsregie etwas rationalisierend den Zeitzeugen-Auftritt
der KZ-Überlebenden nannte die Worte fehlen und die
wir finden sind nicht die, die wir bräuchten endet konvulsivisch
im Aufbrechen aufgestauter Erinnerungs- und Gefühlsenergie.
Theresienstadt-Überlebende teilen sich mit und finden
sich wieder. Nach 57 Jahren treffen hier zwei ehemalige Zimmergenossen
zusammen. Paul Sandfort, ein in Hamburg geborener dänischer
Jude und Zvi Cohen alias Horst Cohn, der Berliner Junge mit der
Mundharmonika. Ungläubiges Staunen über ein unwahrscheinliches
Wiedersehen. Bist du das?
Die Suche nach Vergleichen unter den Kunstformen führt auf
die Collage, auf Techniken des Überlagerns, des Übereinanderschichtens
von Ähnlichem. Ähnlich, nicht gleich, sind alle diese
fragmentierten Lagererzählungen. Was aber geschieht, wenn Überlebende
eines Muster-KZs erzählen? Dass sie junge Zuhörer
finden, hat es schon immer gegeben. Neu daran ist das Interesse
ohne die symbiotische Annäherung mit Hang zur Hinterlegung
von Sühnezeichen. Sichtbar noch in der Verabschiedung zwischen
Paul Kling und dem Ullmann-Quartett: Shake-hands, Blickwechsel,
gute Wünsche das wars. Es ist die Freiheit in
dieser Geste, die hoffnungsvoll stimmt. Ohne Sentimentalität,
vor allem aber ohne Schuldgefühl und Verantwortungsscham, was
für die ersten Nachfahren der Tätergeneration doch geradezu
konstitutiv war. Die Enkelgeneration scheint frei davon, das heißt,
sie ist frei für die Aneignung einer Musik, deren Modernität
wir erst allmählich wahrzunehmen beginnen. Kling hat verstanden.
Vielleicht ist es ein solcher Moment, auf den er ein Leben lang
warten musste. Die Musik eines Viktor Ullmann, eines Gideon Klein
Repertoire einer neuen Instrumentalistengeneration. Apropos.
Über das Spiel des Ullmann-Quartetts lassen sich wahlweise
viele und wenige Worte machen. Es differenziert, transparent, hingebungsvoll
zu befinden, ist sicher keine Übertreibung. Jurymitglied Paul
Kling macht es kürzer: Ich war weg beschreibt er
seinen Höreindruck.
Offener Kreis
Schwerin im Januar 2001. Eine Stadt wird Schauplatz von Begegnungen
der nicht ganz alltäglichen Art. Zu den beglückenden gehört
auch die Erscheinung des Baritons Matthias Flohr, Jahrgang 1977.
Mit den Vier Liedern nach Worten chinesischer Poesie
des Janácek-Schülers Pavel Haas wird Flohr zusammen
mit seiner Begleiterin Anne Schätz erster Preisträger
im Wettbewerbteil Klavierlied. Und auch in diesem Fall stiftet,
wenngleich auf Umwegen, ein Jurymitglied die Verbindung zum Komponisten.
Sängerin Olga Cerna aus Prag das Tschechisch des deutschsprachigen
Baritons nennt sie mit herrlich rollendem R so wunderbar
ist Schülerin des verstorbenen Karel Berman, der seinerseits
noch von Pavel Haas autorisiert wurde. Auch hier also, allem beschworenen
Traditionsabbruch zum Trotz, der Brückenschlag
unendlich vermittelt, aber gelungen. Was zählt sonst?
Fortsetzung mit Fragen
Auch wenn es ein Kreis sein sollte, der in Schwerin abgeschritten
wurde, muss von ihm gesagt werden: er schließt sich nicht.
Dagegen steht allein schon die Emotionalbilanz eines Viertage-Tauchbads
aus Konzerten, Wettbewerb, Vorträgen, Ausstellungen und Gesprächen:
der wahrnehmende Sinn erfüllt, vollgelaufen wie ein Schwamm.
Mit Geschichte, mit Musik, mit Erinnerung, um die skandierende Kopfzeile
der Schweriner Projekttage zu zitieren. Auch deren Unterzeile erwies
sich im nachhinein, entgegen vorausgegangener Skepsis, als beschreibungsfähig.
Brücken für die Zukunft war in Schwerin tatsächlich
nicht nur der Schirmherren- und Sponsoren-Lockstoff für Bundespräsident,
Bundeszentrale für politische Bildung und andere maß-
wie geldgebende Institutionen des öffentlichen Lebens in- und
außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns.
Notwendig transportieren Projekttage wie diese auch Widersprüche.
So lauert in der Ehrenrettung immer auch die fortgeschriebene Stigmatisierung.
Verfemt steht für entartet, das Wort,
mit dem die Nazis die Moderne ächteten. Wie lässt sich
Positives durch Negatives ausdrücken? Ähnlich vertrackt
das Wort von den Theresienstädter Komponisten. Sie waren es
natürlich schon vorher und auch im Lager verstanden sie sich
als Teil der Moderne. Das nicht zu vergessen gehört auch
späteren Verengungen des Modernitätsbegriffs zum Trotz
zur notwendigen Fortsetzung der Schweriner Projekttage. Mit
dem Ausbau der horizontöffnenden tschechischen wie israelischen
Kontakte des federführenden Organisators Volker Ahmels (Jeunesses
musicales Landesverband Mecklenburg-Vorpommern), der angekündigten
Internationalisierung des Wettbewerbs, seiner Öffnung für
Streicherduos und -trios, für Klavier solo und einer weiter
voranzutreibenden Repertoireerweiterung werden sich auch Antworten
finden auf die schon Schönberg verstörende Frage nach
dem fehlenden Wort.
Georg Beck
Programmtipp:
Deutschlandfunk,
11. März, 15.05 bis 16.00 Uhr Feature des Autors zum
gleichen Thema.