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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 33-34
50. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Trauma der Erinnerung
Peter Ruzickas erste Oper Celan in Dresden
An der Sächsischen Staatsoper in Dresden wurde Peter Ruzickas
erste Oper, die als Titel den Namen des Dichters Celan trägt,
uraufgeführt. Celan entstand in den Jahren 1997
bis 1999 in Zusammenarbeit mit dem Opernregisseur Peter Mussbach,
der das Libretto verfasste. Regie führte Claus Guth, dessen
Salzburger Festspielinszenierungen von Berios Cronica del
luogo und Glucks Iphigenie auf Tauris Aufsehen
erregten. Dirigent der Uraufführung war der Darmstädter
Generalmusikdirektor Marc Albrecht. Die denkbar besten Köpfe
also hatten sich für die Création zusammengefunden.
Das Ereignis dieser Aufführung aber präsentierte sich
weniger nach außen als vielmehr ins Innere unserer Empfindungen,
unseres Denkens und Fühlens, unserer Erinnerungen: eine Aufforderung
zum Nachdenken.
Das Grauen Bildlose
Welten ferner Gewissheit: So lautet der Titel zu dieser Szene
in Ruzickas Oper. Der Chor der Menschen schreitet
in die Vernichtung, ein Clown (vorn) erinnert an Shakespeares
weise, böse Narren, der doppelte Dichter schaut den Opfern
hilflos hinterher.
Foto: Charlotte Oswald
Paul Celan, in Czernowitz in der Bukowina 1920 geboren. Der Vater
stammte aus orthodox-jüdischer Familie, auch die Mutter war
Jüdin. Beide sprachen Deutsch, denn die Bukowina gehörte
bis 1919 zur Österreich-Ungarischen Monarchie. Die Lebensumstände
waren eher beengt. Paul Celan schrieb um 1934 erste Gedichte, zu
dieser Zeit besuchte er das Ukrainische Staatsgymnasium. Nach dem
Abitur (1938) begann er in Tours (Frankreich) ein Medizinstudium,
wechselte jedoch anschließend zur Romanistik. Im Jahre 1940
betätigte sich Celan als Dolmetscher bei den russischen Truppen,
die in die Bukowina einmarschiert waren. Dann kamen die Deutschen.
In Czernowitz wurde ein jüdisches Ghetto errichtet. Celans
Eltern kamen im Konzentrationslager um, er selbst wurde zum Arbeitsdienst
eingezogen. Als die Rote Armee 1944 erneut die Stadt Czernowitz
besetzte, flüchtete Celan nach Bukarest. Über Wien gelangte
er dann 1948 nach Paris, studierte dort Germanistik, arbeitete von
1959 an in Paris als Lektor für deutsche Sprache und Literatur
und als Übersetzer. Er gehörte von 1968 an zu den Mitherausgebern
der Zeitschrift LEphérmère. Zwei
Jahre später fand man den Schriftsteller tot in der Seine.
Celan musste sich in einem zermürbenden Plagiatsstreit über
viele Jahre gegen den Vorwurf wehren, den französischen Lyriker
Iwan Goll literarisch ausgebeutet zu haben. Er litt
in seinem letzten Lebensjahrzehnt oft unter starken Depressionen.
Diese biografische Einführung ist deshalb notwendig, weil
Peter Ruzicka und Peter Mussbach mit ihrer Celan-Oper
keine tönende Biografie verfassten, vielmehr die Stationen
des Lebens von Celan in eine Vielzahl von Reflexions- und Erinnerungsmomenten
gleichsam auflösten. Es entstand dabei auch nicht jener stets
etwas wohlfeile Typus des Vergangenheitsbewältigungsdramas,
sondern ein komplexes System von Erinnerungen, die quasi in Röhren
aus der Vergangenheit wieder in das Licht der unserer
Gegenwart zurückgeholt werden. Celans Existenz, künstlerisch
überhöht und konzentriert in sieben großen Lyrikbänden,
ist ohne den historisch-biografischen Hintergrund kaum zu begreifen.
Es sind diese ständigen Bedrängungen, die die Seele des
Menschen zu verletzen vermögen. Der Druck, den die rücksichtslose
Außenwelt auf den Einzelnen ausübt, dringt ins Innere
der Psyche und richtet dort furchtbare, oft tödliche Zerstörungen
an. Nicht nur für Paul Celan gilt das, aber er darf als ein
besonders eindringliches Beispiel für diese existentielle Not
gelten.
Und seine Sprache? Sind diese traumatischen Bilder, die surrealistischen
Visionen, die Celan in Sprache übersetzt, nicht ein zugleich
verzweifelter wie oft auch grandios gelungener Versuch, das Unmögliche,
das Unvorstellbare zu formulieren, oder besser: zu sagen? Bekannt
ist Adornos Satz, dass sich nach Auschwitz keine Gedichte
mehr schreiben ließen. Mit seiner Todesfuge
widerlegte Celan Adornos Behauptung, die gleichwohl ihre Richtigkeit
im Rein-Ästhetischen behält. Kunst aber kann auch das
Furchbarste erfassen, wenn das über sie hinausgehende Wissen,
wenn Sensibilität und persönlich erlittener Schmerz, wenn
die Erfahrung von Licht und tiefem Schatten des Lebens die künstlerische
Form bestimmen und sinnstiftend erfüllen. Celans Todesfuge
ist ein Beispiel dafür.
Der Komponist Peter Ruzicka, 1948 in Düsseldorf geboren,
in einer Stadt also, die wie kaum eine andere nach dem Krieg neuen,
äußeren Glanz entfaltete, der oft genug den Blick zurück
zu verstellen vermochte, entwickelte sozusagen in einem inneren
Kontrastbild ein feines Sensorium für Celans Sprache
und Poesie. Ruzicka begriff den dunklen Grund, auf den Celans Dichtungen
zurückverweisen: Todesfuge (1968/69), ...fragment...
(1970), Gestalt und Abbruch (1979), ...der die
Gesänge zerschlug (1985) so heißen die Werktitel,
letzterer als Stele für Paul Celan komponiert,
nach Gedichten aus Zeitgehöft.
Celan bedeutet, in gewissen Maßen, Zusammenfassung
der Auseinandersetzung von Komponist und Dichter, zugleich aber
auch Erweiterung und Darüber-hinaus-Gehen. Celan
ist nicht nur eine szenische und musikalische Reflexion über
Existenz und Wirkung des Schriftstellers, vielmehr auch eine über
ein aktuell verstandenes Musik-Theater. Welche ästhetischen
Möglichkeiten, welche Chancen einer avancierten Musikdramaturgie
und Musik-Sprache bestehen, einen so komplexen und komplizierten
Gegenstand wie Person, Schaffen und Weiterwirken Paul Celans auf
einer doch gern zur Simplifizierung neigenden Opern-Szene zu erfassen?
Ruzicka und Mussbach sichern sich im Vorfeld der Arbeiten vorsichtshalber
ab, damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, es könnte sich
hier um eine Literaturoper oder um ein persönliches Dichterschicksal
handeln. Sie gliedern das Libretto in sogenannte Entwürfe,
sieben an der Zahl, die jeweils in zahlreiche kleine und wenige
größere Szenen unterteilt werden, die vorweg jeweils,
wie in einem wissenschaftlichen Werk, Nummern tragen, also: 1.1
Paris. Eine Metrostation. Oder: 2.4 Ein Wartesaal in Deutschland,
oder: 3.2 In einem Kaffeehaus in Bukarest (siehe auch unser Bild
auf Seite 1), eine
groß angelegte Simultanszene für sechs Gruppen, die in
ihrer Struktur ein wenig an das komplettierte Pariser Gesellschaftsbild
in Alban Bergs Lulu erinnert.
Die einzelnen Örtlichkeiten außer den genannten
noch eine Brücke über einem Fluss, immer wieder leere
Zimmer, ein alter Kinosaal, Straßen kehren häufig
wieder, wie in einem Reigen, meist mit denselben Personen besetzt,
die sich jedoch gern anders verhalten und äußern: Wie
in der Palimpsest-Forschung werden so die Zeitschichten vorsichtig
nacheinander abgelöst, die sich über die Figur des Dichters
Celan gelegt haben. Zum Vorschein kommen Erinnerungen an alles Geschehene,
Erinnerungen, die weiterzuwirken scheinen, in denen auch wieder
Gespenster auftauchen, die man schon im Horrorfundus für ewig
und alle Zeiten verwahrt glaubte. Ruzickas Celan ist
gerade in diesem Augenblick ein hochaktuelles Werk.
Diesem Einkreisen, Ablösen, Aufdecken des Textes und dessen
Strukturierung folgt die Musik. Sie wirkt in ihren leisen Klängen,
subtilen Tonsetzungen, verästelten Strukturierungen wie das
hochkomplexe Funktionieren eines menschlichen Gehirns: Im Kopf entstehen
albtraumhaft die Erinnerungen an eine Vergangenheit, von der sich
der Mensch nicht zu lösen vermag. Die Erinnerungen drängen
nach außen, in die Gegenwart, sie suchen nach einem Ausdruck:
Dann bersten fast die Klänge, mit harten Schlägen markieren
die Pauken (sechs Stück mit vier Spielern) dramatische Verknotungen,
dann drängt auch die Musik in den unmittelbaren Ausdruck
so als wollte sie mit dem Zuhörer einen erregten Diskurs beginnen,
ihn befragen, ihn zu Stellungnahme und Antwort förmlich zwingen.
Ruzickas Komponieren schätzt solche oft sehr raschen Wechsel
zwischen Distanziertheit und unmitelbarer Attacke, sie
will mit ihren Zuhörern aktiv dialogisieren.
Dann aber weicht sie auch ebenso plötzlich wieder zurück,
implodiert gleichsam ins Leise, kaum noch Hörbare, in die Stille:
Auch Nonos Geist weht wie von fern in Ruzickas Celan-Musik.
Sie beeindruckt immer wieder auch durch ihre plastische Gestik,
ihre feine Linearität, ihren Mut zu langgezogenen melodiösen
Lineaments, die sich nicht-endend-wollend fortspinnen. Das Klangbild
ist stets perfekt durchgehört, von genauester Formung des intendierten
Ausdrucks, dabei von großer Farbigkeit in den instrumentalen
Kombinationen, die mit der Besetzung des üblichen Sinfonieorchesters
hergestellt wird.
Im szenischen und musikalischen Zentrum steht der Vierte
Entwurf, betitelt Das Grauen Bildlose Welten
Ferner Gewissheit. Das Trauma des Holocaust wird als zentrales
Moment im Leben und im Werk Paul Celans deutlich. Der große
Chor schiebt sich von seitlich hinten in unendlich langsamen schreitenden
Bewegungen allmählich auf die Bühne, die durch eine metallisch
graue, perforierte Wand hinten abgeschlossen ist. Die Männer
und Frauen tragen vornehmlich Unterkleider, sie erscheinen gleichsam
schon nackt, ausgezogen für das Ende, aber in hellem
Weiß: Die Trauer trägt auch diese Farbe. Celan schreitet
durch die langsam sich über die ganze Spielfläche verteilende
Menge genauer: es sind zwei Dichter, Celan I und Celan II,
in die Mussbach und Ruzicka die Figur aufteilen. Wenn der Narr aus
dem Souffleurkasten hervorschlüpft, wendet sich der Chor ab,
schreitet wieder zur Guppe sich schließend nach hinten in
die Dunkelheit, die hinter der täuschenden Wand liegt.
Dem Regisseur Claus Guth gelingt hier ein suggestives, großes
und tiefes Bild, nicht realistisch verzerrt das würde
auf dem Theater bei diesem Anlass immer miss-lingen, da könnte
man zu Recht Adorno analog zitieren , sondern von einer scheinbaren
Schönheit, die nur noch schmerzt, weil man weiß, was
sich dahinter verbirgt. So hat Guth auch in Salzburg die Schrecken
in Glucks Iphigenie erfahrbar werden lassen.
Guth gelingen auch in den vielen kurzen Szenen, für die Christian
Schmidt karge, suggestive, sinnfällige Räume entwarf,
präzis gefasste Bilder, Belichtungen von Figuren und Situationen,
gestische Signale und Verweise, Körperhaltungen, auch groteske
Pointierungen, die zugleich in dichter Korrespondenz zur musikalischen
Textur stehen. Eine eindringliche, oft faszinierende Regiearbeit,
die uneitel dem Werk dient. Überzeugend werden auch filmische
Sequenzen (CineNomad mit Nicolas Humbert & Werner Pezel) mit
den theatralischen Aktionen verwoben, die Filmaktionen werden zum
integralen Bestandteil der gesamten Szene.
Perfekt, glanzvoll, manchmal fast zu schön spielt
die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Marc Albrechts souveräner
Direktion. Albrecht versteht es, aus der Musik deren gestische Plastizität,
aus dem Klang die Transparenz zu entbinden, die Strukturen
der Kompositionen zu verdeutlichen. Andreas Schmidt als Celan I,
Urban Malmberg als Celan II, Sabine Bohm als Celans Gefährtin
Christine, Ulrike Staudel als Rachel, Friederike Meinel als Hilde,
die hinreißende Figur des Obers, die Rolf Tomaszewski
in vielen Szenen variationsreich vorführt sie alle und
die vielen anderen solistisch Auftretenden demonstrieren wahrhaften
Ensemblegeist, den auch der von Matthias Brauer einstudierte Chor
offenbart. Die Dresdner Oper darf sich rühmen, eines der wichtigsten
Musiktheaterschöpfungen der Gegenwart auf die Bühne gebracht
zu haben. Die Operntheater in Mainz (2002) und Köln (2003)
werden Ruzickas Celan in eigenen Inszenierungen nachspielen.
Auch dieses Engagement ist höchst lobenswert.