[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 51-52
50. Jahrgang | April
Dossier: Laienmusik
Den Blick stärker aufs Gemeinsame richten
Argumente und Stimmen aus den Panels der neuen musikzeitung auf
der Musikmesse 2001
Die auf den Seiten
49 und 50 dokumentierte taktlos-Sendung zum Thema
Laienmusik fand auf der Musikmesse einerseits eine Fortsetzung,
andererseits eine Erweiterung des Blickwinkels in die Bereiche Pop/Rock,
Jazz und Kirchenmusik. Dabei machten die Diskussionsrunden der neuen
musikzeitung deutlich, dass die grundlegenden Unterschiede zwischen
diesen Stilen und ihren institutionellen Verankerungen bisweilen
den Blick auf Gemeinsamkeiten versperren, die eine Bündelung
der Interessenvertretungen sinnvoll erscheinen lassen würden.
Der Geschäftsführer des Bundesjugendjazzorchesters (BuJazzO)
Peter Ortmann verwies einerseits auf die Unübersichtlichkeit
der Szene und mit Blick auf die Union Deutscher Jazzmusiker und
die Deutsche Jazzföderation auf die jedenfalls im Hinblick
auf die Anzahl der Verbände relativ bescheidene Lobby, die
den Jazz vertritt. Da außerdem der Jazz vor Ort recht
schwach organisiert sei, gebe es von den Jazzmusikern aus gesehen
keine direkten Linien lokaler, regionaler oder übergeordneter
Förderungsmöglichkeiten. Und Ortmann ergänzte: Eine
Struktur in diesem Sinne, vielleicht vergleichbar mit derjenigen
bei den Blasmusikern oder bei den Klassikern, wäre natürlich
auch für den Jazz von Vorteil. Die beiden großen
Jazz-Fördermaßnahmen des Deutschen Musikrates beurteilt
Ortmann insofern als positives Signal der Außenwirkung, als
mit Jugend jazzt und dem BuJazzO jungen
Talenten zumindest ein Ziel vor Augen gestellt werde, zu dem
wie in den anderen Musikbereichen auch Zwischenstufen führten:
Landesjugendjazzorchester, Schüler-BigBands oder Musikschul-Ensembles.
Für den Rock- und Pop-Bereich sprach Bernd Schweinar in seiner
Funktion als Mitglied des Fachausschusses Laienmusizieren im Deutschen
Musikrat die grundsätzlich andere Ausgangssituation an. Die
Aussage eines Ministerialrats eines Kultusministeriums bringe die
Sache auf den Punkt: Ihr hattet einfach das Pech, zu spät
in die Förderung einzusteigen. Es gebe also, sarkastisch
gesagt, wenig zu kürzen, weil relativ wenig Förderung
da sei. Ansonsten regiere aber auch ein Vorurteil: Rockmusik sei
doch etwas Kommerzielles, da würden Milliarden umgesetzt, da
mache man also schnell das Geld, das man brauche. Dem hielt Schweinar
entgegen, dass über 85 Prozent der Produktionen, auch die der
professionellen Plattenfirmen, ein Verlustgeschäft seien und
sieben oder acht Prozent gerade mal die Kosten deckten. Die
Plattenfirmen, so Schwei-nar weiter, haben heute über
den Shareholder-value so eine Schere im Kopf, dass eigentlich nur
noch Künstler aufgebaut werden, die international Erfolg haben.
Und da fallen viele Deutsche, auch sehr gute professionelle Bands,
durch das Raster, weil sie eben nur den begrenzten Markt entsprechend
bedienen würden. Insofern relativiert sich auch hier der Begriff
dessen, was man als Zielpunkt, als Professionalität oder als
professionell orientierte Laienmusiker definieren würde. Ansonsten
kann dieser Sprung vom Amateur dieser Begriff hat sich dort
eher etabliert zum Profi, über die Zwischenstufe Semi-Profi,
sehr schnell gehen.
Die Frage nach dem gesellschaftlichen Stellenwert der Laienmusik
beantwortete Stefan Liebing von der Bundesvereinigung Deutscher
Blas- und Volksmusikverbände aus seiner Sicht grundsätzlich
einmal positiv: Wir haben in der gesamten Bundesrepublik einen
enormen Stellenwert der Laienmusik; wir sprechen von über 10.000
Vereinen mit 18.000 Orchestern, die allein bei uns organisiert sind.
Das heißt wir haben eine enorme Verankerung vor Ort, eine
enorme Akzeptanz dessen, was diese Vereine machen, denn wenn sie
keiner hören wollte, würden sie ja nicht auf Dauer existieren.
Auf diese breite Verankerung müsse aber aufgesetzt werden,
um eine Öffentlichkeit für das Thema Laienmusik zu erreichen,
wie es etwa der Sport längst habe.
Das Thema der musikalischen Bildung und ihrer Defizite brachte
Detlef Hahlweg, Vorstandsmitglied der Jeunesses Musicales Deutschland
in die Diskussion: Da gründen wir im Musikrat in der
Hoffnung, mehr Leute zum Musizieren zu bringen, eine Kampagne namens
Hauptsache: Musik und trotzdem denkt in Nordrhein-Westfalen
die Schulministerin öffentlich darüber nach, dass Musiklehrer
eigentlich mehr unterrichten müssten als andere Lehrkräfte,
weil das Fach doch so leicht sei und wenig Vorbereitung erfordere.
Wenn der Nachwuchs im Jugendorchesterbereich dennoch nicht wegbreche,
so sei das der guten Arbeit der Musikschulen sowie der Tatsache
zuzuschreiben, dass sehr viele gute Instrumentalisten aus guten
Gründen nicht den Weg des Berufsmusikers gingen.
Der von Stefan Liebing mit der Haltung des Unternehmensberaters
vorgetragenen Forderung nach einer ganz straffen Organisationsform,
die die Masse und die gesellschaftliche Verankerung bündelt
und artikuliert, wollten sich die Gesprächsteilnehmer
freilich nicht so uneingeschränkt anschließen. So gab
Ortmann zu bedenken, dass es ja ein durchaus sympathischer Zug sei,
wenn bei Musikern bestimmter Stilbereiche der Hang zur Organisation
in Vereinen und Verbänden gering sei, auch wenn das innerhalb
des etablierten Förderungssystems zum Teil sinnvoll wäre.
Und Schweinar ergänzte: Im Bereich Rock/Pop herrscht
vielleicht aus der Historie heraus eine ganz andere Art von Kreativ-Geist,
der sich von vornherein nicht so straff bündeln lässt.
Trotzdem muss dort Förderung stattfinden und wir müssen
sie durchsetzen durch viele lange Gespräche. Zwar können
wir durch einen gewissen Grundvernetzungssektor Leute bündeln,
unsere Aufgabe muss aber vor allem darin bestehen, ein entsprechender
Dienstleistungsknotenpunkt zu sein, an dem diese Individualisten
dann genau die Informationen und Antworten bekommen, die sie im
Moment gerade brauchen.
Eine Annäherung scheint dies machte der weitere Diskussionsverlauf
deutlich am ehesten in den Bereichen Dienstleistung (möglicherweise
in Form einer Kompetenzbündelung in einzelnen Verbänden)
und Lobbyarbeit und im gemeinsamen Auftreten gegenüber Organisationen
wie der GEMA möglich und es stellt sich die Frage, ob der Deutsche
Musikrat diese Annäherung institutionalisieren und mit der
Dachkampagne Hauptsache: Musik als politischem Signal
unterstützen könnte.
Der Kirchenmusik war es vorbehalten, hierzu in einer weiteren
Gesprächsrunde auf der Musikmesse Klartext zu reden. So äußerte
Stefan Klöckner, Schriftleiter der Musica sacra
und für den Allgemeinen Cäcilienverband (ACV) in den Musikrat
entsandt, seine Enttäuschung über das, was unter der Hauptsache:
Musik verstanden werde: Das Nachdenken über ein
Logo ist zu wenig und es nützt nichts, überall ein neues
Etikett draufzukleben; es müssen in der Substanz Dinge miteinander
vernetzt werden. Klöckner regte in diesem Zusammenhang
an, Schulmusik und Kirchenmusik, also zwei Kernbereiche musikalischer
Basisarbeit, in der Ausbildung und in der Praxis stärker zu
verkoppeln. ACV-Präsident Wolfgang Bretscheider ergänzte:
Wenn die Kirchenmusiker in den Gemeinden aus ihrem Elfenbeinturm
herausgehen und Kooperationen suchen mit den Kulturabteilungen einer
Stadt, dann kann eine Basisbewegung entstehen. Wenn nötig,
kann man das von oben her mit einer Dachkampagne politisch verstärken,
aber wenn man oben ansetzt und unten nichts ist, wird es peinlich.
Die Diskussion unter den verschiedenen Stil- und Interessenvertretungen
ist also in Bewegung geraten. Sie nicht wieder zum Stillstand kommen
zu lassen und auf neue Strukturen hin zu konkretisieren, wird die
Aufgabe der kommenden Monate sein.