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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 49-50
50. Jahrgang | April
Dossier: Laienmusik
Der clevere Liebhaber investiert
Aus einer taktlos- Diskussion im Februar
Liebhaber, Laien, Dilettanten, so lautete ein Ankündigungstext
für die taktlos-Sendung am 2. Februar um 20.05 Uhr auf Bayern2Radio.
Weiter: Sie proben in ihrer Freizeit und konzertieren oft
genug für sich allein: Haus-Musikanten, Jugendorchester, Laienchöre
oder Hobby-Volksmusiker. Acht Millionen gibt es in Deutschland.
Belächelt vom hehren Feuilleton, vernachlässigt von der
offiziellen Kulturpolitik bilden sie die Grundsubstanz unseres Musiklebens.
taktlos nimmt Kontakt auf. Die Strukturen werden hinterfragt, Experten
kommen zu Wort und Ensembles lassen aufhören, was Liebhaber,
Laien und Dilettanten musikalisch leisten können.
Zur kontroversen Live-Debatte hatte taktlos-Moderator und nmz-Herausgeber
Theo Geißler Gäste im Studio 12: Detlef Hahlweg (Jeunesses
Musicales Deutschland), Stefan Liebing (Bundesvereinigung Deutscher
Blas- und Volksmusikverbände), Eckart Rohlfs (früher Geschäftsführer
von Jugend musiziert, heute der European Union of Music Competition
for Youth, Mitglied der nmz-Redaktion) sowie Fred Artmeier (Laienmusik-Abteilung
des Bayerischen Rundfunks). Fürs Dossier Laienmusizieren
druckt die nmz die Diskussion in leicht gekürzter Form.
Theo Geißler: Eine Bürgerinitiative mit
acht Millionen Mitgliedern nennt der Präsident des Deutschen
Musikrates, Franz Müller-Heuser, politisch raffiniert gern
seine Klientel. Von diesen acht Millionen dürften ungefähr
7.950 318 zu der Zielgruppe gehören, um die es uns heute geht:
um Musikliebhaber, um Laien, manche nennen sie auch Dilettanten.
Herr Artmeier, wie ist denn ihr Verhältnis zu den Kollegen
aus der hohen Kultur?
Fred Artmeier: So ein Haus ist groß und die Abteilung
Volksmusik ist eine kleine Redaktion, aber - um das Wort Dilettant
aufzugreifen - Wir behandeln unsere Klientel, nämlich unsere
Laienmusiker, mit der größtmöglichen Professionalität,
sei es in unseren Live-Sendungen, sei es in unseren Produktionen,
wobei viele Produktionen sowohl im Massenprogramm auf Bayern 1 vertreten
sind als auch hier im Kultursender auf Bayern 2.
Geißler: Eckart Rohlfs hat ein Leben mit Laienmusikern
verbracht. Als Profi ein Leben mit Laien geht einem das nicht
ab und zu auf den Geist?
Eckart Rohlfs: Ein Leben mit Laien war doch gut durchzustehen,
denn wir haben es mit einer Klientel zu tun, die Musik gerne und
aus freien Stücken macht, und die auch hohe Qualitätsansprüche
an sich stellt. Insofern bedaure ich eigentlich, dass der Begriff
Dilettant so ein bisschen negativ belastet ist, das
verdient er nicht.
Geißler: Was gehört zum Bereich Laienmusik?
Rohlfs: Das ist ein sehr breites Forum. Es fängt an
mit der Popularmusik und dem Jazz, über Volksmusik und Folklore
bis hin zu klassischer Musik. Da denkt man an das Zither-Trio in
Hinterlang genauso wie an das stillvergnügte Streichquartett
von Heimeran bis hin zum Wettbewerb Jugend Musiziert.
Die 15.000 jungen Menschen, die jedes Jahr hier im Wettbewerb antreten
und fast professionelle Leistungen zeigen, das sind ja zunächst
einmal Amateure. Vielleicht 5 Prozent davon haben berufliche Intentionen.
Geißler: Detlef Hahlweg ist eigentlich Schulmusiker,
aber auch Vorstandsmitglied der Jeunesses Musicales Deutschland.
Er möchte hier in Deutschland am liebsten venezuelische Verhältnisse
herstellen. Was hat Dich denn dazu bewogen?
Detlef Hahlweg: Ein Schlüsselerlebnis war mit Sicherheit
eine Reise nach Venezuela, wo ich ein Kinder- und Jugendorchester
kennenlernte und dann feststellte, dass es in diesem Land eine unglaublich
breite Arbeit für Kinder und Jugendliche im Bereich klassischer
Musik gibt, die dort gleichzeitig eine Sozialarbeit darstellt. Kinder
werden zum Teil von der Straße geholt, sie bekommen ein Instrument
in die Hand und sie spielen und lernen Musik im Orchester und ihnen
wird dadurch auch eine berufliche Karriere ermöglicht.
Geißler: Frisch im Geschäft bei den Laien ist
Stefan Liebing. Der Marketing-Experte berät den baden-württembergischen
Blasmusik-Verband. Was machen Sie als Profi bei den Hobby-Blechbläsern?
Stefan Liebing: Das müssten Sie wahrscheinlich am
besten mal das Präsidium fragen. Der Bundesverband Deutscher
Blechbläser hat von diesen acht Millionen, von denen Sie gesprochen
haben, etwa 1,3 Millionen Mitglieder und ich bin jetzt unter anderem
mit der Umsetzung von Vorhaben beauftragt. Was ein Marketing-Mann
oder ein Berater dort macht? Ich glaube, viele Funktionäre
haben erkannt, dass hinter der Blasmusikszene in Deutschland sehr
viel mehr steckt als das, was in der Öffentlichkeit oft ankommt,
dass dahinter sehr viel mehr steckt als Bierzelt-Musik. Deshalb
hat der Verband gesagt: Wir wollen etwas tun, wollen Kenntnisse
von außen, aus anderen Bereichen reinholen, um uns ein Stück
weit besser politisch in der Öffentlichkeit beim Thema Image
zu positionieren, um so auch auf Dauer Mitglieder gewinnen und binden
zu können.
Geißler: Das klingt richtig progressiv. Darauf werden
wir noch genauer zu sprechen kommen, wenn wir uns Gedanken darüber
machen, wo die Laienmusik heute steht.
Artmeier: Ich möchte mal ganz kurz auf die Begriffe
Laienmusik und Profis eingehen. Es gibt
eine E-Musik - eine ernste Musik -, es gibt eine U-Musik
eine Unterhaltungsmusik -, und es gibt eine Laienmusik das
ist allerdings keine Musik, denn Laienmusik ist ein
soziologischer Begriff. Das eine spezifiziert die Musikarten, die
Stilrichtungen, das andere erfasst einfach die Bevölkerungsschichten,
so sie Musik machen. Jetzt der Begriff Profi: Es gibt
den Profi als Pädagogen und den Profi, der in der Früh
in die Probe geht, abends sein Konzert spielt und sich sein Geld
mit seinem Instrument verdient.
Rohlfs: Aber, Herr Artmeier, die meisten, die an einer
Musikschule anfangen, studieren oder lernen ihr Instrument ja nicht
mit der Perspektive, einen Musikberuf zu machen, das ist nur ein
ganz kleiner Prozentsatz an hoch Begabten, der sich bald herausschält.
Die anderen machen doch eigentlich Musik, weil sie einfach Musik
mitnehmen als Freizeit für ihr Leben, als Ausgleich neben dem
Beruf und dergleichen. Und es ist ja nicht der Liebhaber, der das
Geld verdient, sondern der Profi. Der Liebhaber investiert.
Geißler: Woher kommt denn das Negativ-Image der sogenannten
Laien, kann man sich das erklären, Herr Artmeier?
Artmeier: Wir kriegen immer wieder Briefe, in denen die
Leute gerade zu unseren Sendungen mit sinfonischer Blasmusik sagen:
Das ist doch mit dem Wort laienhaft gar nicht mehr zu
erklären, das ist auf der Schwelle zum Professionellen. Die
breite Masse musiziert heute anders als vor dreißig, vierzig
Jahren. Die jungen Leute haben eine wesentlich bessere Ausbildung.
Das geht bei den Blaskapellen los, die haben in den Verbänden
ihre Leis-tungsabzeichen, sie steigern ihre Qualität. Ich kann
zum Beispiel einen Titel, den ich 1985 aufgenommen habe und der
damals gut sendbar war, heute nicht mehr senden, denn er würde
dem aktuellen Niveau der Laienmusik nicht mehr entsprechen. Darum
könnte man sich vielleicht darauf einigen: Es gibt die U-Musik,
es gibt die E-Musik und Musik, die man mit A-Musik bezeichnen
könnte: A wie Amateur ist auch nicht
schlecht.
Geißler: Also kein Negativ-Image aus Herrn Artmeiers
Sicht? Herr Liebing, noch gibt es das Bild von den Blasmusikern,
die in der Kneipe rumdumpfen. Wie wollen Sie als Marketing-Fachmann
das korrigieren?
Liebing: Ich glaube, der eine Aspekt sind sicherlich die
Themen, bei denen sich in der Vergangenheit einiges getan hat, nämlich
Niveau, Ausbildung, Repertoire. Auf der anderen Seite sehe ich,
dass in einer Reihe von Verbänden und auch in den Vereinen
Probleme damit bestehen, das, was sie tun, zu transportieren. Da
brauche ich eine einigermaßen professionelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Das ist dann das Thema der Qualifizierung von Vereinsmitgliedern.
Wir haben jetzt in 2001 zum ersten Mal eine Weiterbildungsreihe
nicht im musikalischen, sondern im Bereich Verbands- und Vereinsmanagement
aufgelegt, die in den Akademien gerade mit großem Erfolg anläuft.
Geißler: Betrifft das nicht gerade auch die Jugendarbeit?
Liebing: In Deutschland sind von unseren 1,3 Millionen
Mitgliedern 60 Prozent Jugendliche. Da kann kein Sängerbund
und kein Sportverein mithalten. Aber ich glaube, es geht einfach
darum, diese Erfolge, die da sind, professioneller zu verkaufen.
Geißler: Wie macht das die Jeunesses Musicales?
Hahlweg: Der Qualitätsaufschwung ist unglaublich gewesen
in den letzten 20, 25 Jahren. Aus der damaligen Zeit rührt
wohl auch der etwas anrüchige Charakter eines Amateurkonzertes
mit vielen falschen Tönen und Ähnlichem. Aber das hat
sich inzwischen total geändert. Es gibt sehr anspruchsvolle
Konzerte, sehr anspruchsvolle Orchester und die wollen anspruchsvoll
gemanagt werden und wollen auch sehen, dass ihre Öffentlichkeitsarbeit
professionell gestaltet wird. Und die Jeunesses Musicales hat das
aufgegriffen und bietet ihren Mitgliedsorchestern Service in genau
diesen Bereichen, bietet Fortbildung genau das, was Sie,
Herr Liebing, gerade angesprochen haben für Organisationsleute
im Orchesterbereich.
Geißler: Herr Artmeier, man verbindet ja Volksmusik
oft noch mit Gamsbart und Tracht. Wie bringt man junge Leute heute
dazu Volksmusik zu machen, sich dafür zu begeistern?
Artmeier: Zunächst muss man trennen zwischen Volksmusik
und Musik im Volk: Die Volksmusik ist bei uns die alpenländische,
die Musik im Volk ist die der Laien. In Bezug auf die Presse- und
Medienarbeit muss ich sagen, die bayerische Blasmusik hat einen
sehr guten Partner in den Medien, nämlich den Bayerischen Rundfunk.
Geißler: Jetzt werd ich gleich rot.
Artmeier: Auch das ist Teil unserer Arbeit gewesen in den
letzten 15 Jahren; dass wir etwa mit den Blaskapellen in Wärtingen
drei CDs gemacht haben in den letzten sieben Jahren. Und nicht umsonst
hatten wir beim Deutschen Orchesterwettbewerb unter den ersten vier
zwei bayerische Kapellen aus Memmingen und Wärtingen.
Geißler: Eckart Rohlfs kennt die Wettbewerbsszene
wirklich gut. Wie ist das international? Wachsen junge Leute nach?
Rohlfs: Also auch in den anderen Ländern hat sich
in den letzten Jahrzehnten enorm viel entwickelt. Allein in Frankreich
gibt es eine Organisation, die sämtliche Instrumentalbereiche
umfasst. Die haben hunderttausende von Mitgliedern, das hält
man hier gar nicht für möglich und das mit hoher
Qualität, mit Wettbewerben, mit Prüfungen, mit Abzeichen,
all dem, was hier auch üblich ist. Das zeigt, dass der Anspruch
auf Amateurebene dort sehr hoch ist. Und das ist auch gut so. Ich
habe vor acht Tagen in Paris den Grande Amateur-Piano-Wettbewerb
gehört. Da sind Mediziner, Informatiker und ähnliche Leute
angetreten, mit hoch anspruchsvollen Klavierleistungen. Das sind
fantastische Beispiele, die natürlich auch Mut machen für
die pädagogische Arbeit der Profis, die diese Laien ausbilden.
Geißler: Aber da geht mir ein bisschen was von dem
Charme, von der Liebenswürdigkeit der Laienmusik verloren,
wenn da jetzt auch der gleiche Leistungsdruck wie im Profibereich
herrscht.
Artmeier: Glauben Sie, dass jemand mit Laienmusikern ein
Werk erarbeiten kann, wenn die heute mit achtzehn, zwanzig Jahren
sagen: Auf das Werk stehen wir nicht, wir wollen das nicht?
Der Trend weg von der Bierzelt-Musik kam vor fünfzehn, zwanzig
Jahren mit dem James-Last-Stil. Damit hat man damals
die Jugend zur Blasmusik gekriegt. Das hat sich überholt, heute
zieht die Jugend hin zur sinfonischen Blasmusik und will das Image
der Blasmusik aufbessern.
Liebing: Damit kommen wir zum Ausgangsthema zurück:
wie ist das mit den Jugendlichen und dem angestaubten Image der
Blas- und auch der Laienmusik? Ich glaube, da sind zwei Aspekte
zu nennen: Der eine ist der, dass wir mit dem Trend zur Globalisierung
auch einen Trend der Regionalisierung bekommen.
Geißler: Als Gegenbewegung.
Liebing: Genau. Als Gegenbewegung das Zusammenwirken in
kleinen Einheiten und mit lokalem Bezug. Der andere Aspekt ist der,
dass wir als Verein in Strukturen arbeiten, die letztlich dem BGB-Vereinsrecht
von 1900 entsprechen und damit eine Gesellschaft in 2000 abbilden
oder einfangen müssen. Ich denke, dass deshalb schon die Vereine
aufgerufen sind, sich auch in ihren Organisationsformen zu modernisieren.
Wir haben natürlich 60 Prozent Jugendliche, aber die Problematik
ist die, dass die Jugendlichen im Idealfall sieben, acht Jahre dabei
sind und dann sind sie weg, gehen in die Ausbildung, gehen ins Studium,
was auch immer. Das Wichtigste ist also: Wie können wir auf
Dauer bei Jugendlichen die Bereitschaft erreichen, Musik zu machen?
Geißler: Die hat zum Beispiel die Jeunesses Musicales
bereits, deren Orchester bestehen naturgemäß aus 100
Prozent Jugendlichen. Wie ist denn da der Zuwachs?
Die Qualität steigt
Hahlweg: Zuwächse können wir quantitativ und
qualitativ verzeichnen. Wenn ich allein die Qualitätssteigerung
im klassischen Bereich sehe: Vor fünfzehn Jahren habe ich angefangen,
einen Musikkurs in Weikersheim zu leiten, der sich vorgenommen hatte,
Werke zu spielen, die man sonst nicht öffentlich spielen konnte:
wie Bruckner- oder Mahler-Symphonien. Der Kurs ist dann nach zehn
Jahren eingeschlafen, weil die Orchester das alles mittlerweile
sowieso spielen können. Ich komme nochmal auf die Anforderungen
zurück: Es sind neben den musikalischen Anforderungen, die
die Jugendlichen an die Leiter stellen auch welche in randmusikalischen
Bereichen: Wir müssen Spezialisten im Urheberrecht sein, wir
müssen wissen, ob wir Noten fotokopieren dürfen oder nicht,
ob wir GEMA-Gebühren zahlen müssen oder nicht, wir müssen
Vereinsrecht beherrschen.
Liebing: Da sind wir beim Thema Professionalisierung. Wir
werden immer weniger Bereiche im Verein ehrenamtlich abdecken können,
weil sie immer komplexer werden.
Professionalisierung
Artmeier: Die Sache ist so hoch spezialisiert, dass sie
im Ehrenamt nicht mehr getragen werden kann. Der Bayerische Blasmusikverband
hat deshalb jetzt einen hauptamtlichen, also bezahlten Geschäftsführer.
Genauso muss die Struktur auch nach unten gehen. Das Ehrenamt muss
bleiben, aber Bundesdirigenten, Landesdirigenten und die Leute,
die wirklich ganztägig arbeiten, die können das nicht
im Ehrenamt machen.
Geißler: Herr Liebing, wie kommen Sie mit dem ehrenamtlichen
Präsidenten, dem Vizepräsidenten, dem zweiten Vizepräsidenten
Ihres Verbandes klar, die natürlich durch ihre wahrscheinlich
sechzigjährige Verbandserfahrung eine nahezu professionelle
Erfahrung vor sich hertragen?
Liebing: Wir kommen sehr gut miteinander klar. Es ist in
der Verbandsarbeit ganz wichtig, die unterschiedlichsten Bereiche
beisammen zu haben, denn nur so kann man den Interessen aller Mitglieder
gerecht werden. Wir brauchen Funktionäre, die in den Orchestern,
in den Vereinen gearbeitet haben, die wissen, wo der Schuh drückt.
Ich kann Verhandlungen mit der GEMA nur dann sinnvoll führen,
wenn ich weiß, was denn tatsächlich vor Ort passiert.
Deshalb brauchen wir die erfahrenen Leute in den Gremien. Der Sport
ist ein bisschen weiter, da haben die Ehrenamtlichen etwas weniger
mit dem laufenden Geschäft zu tun, aber ich glaube, diese Diskussion
müssen wir führen und wir müssen als Verband einfach
dafür sorgen, dass die Bereiche, die kompliziert sind, die
Dienstleistungsfunktionen für die Vereine bilden, dass diese
hauptamtlich und professionell ausgeführt werden. Und für
alles andere, was die Strategie, die grundlegenden Entscheidungen,
die Richtung, auch was musikalische Themen angeht, brauchen wir
Ehrenamtliche.
Geißler: Trotzdem ich bin da ganz sentimental:
Eckart Rohlfs, früher kam man mit den Ehrenamtlichen aus, da
haben die das doch alleine geschafft. Was hat sich getan bei uns,
dass man jetzt Profis braucht?
Rohlfs: Ein Punkt ist, dass die Anforderungen sowohl im
wirtschaftlichen wie im kulturellen Bereich höher geworden
sind. Auf der anderen Seite sehe ich, dass eigentlich die instrumentale
wie die vokale Laienmusik, auch die Chorverbände, eigentlich
die gesamte Laienmusik relativ gut organisiert ist. Nicht nur über
den Bayerischen Musikrat, sondern auch über den Deutschen Musikrat.
Und ich frage mich jetzt es ist ja in den zurückliegenden
Jahrzehnten immerhin gelungen, doch auch eine Menge an öffentlichen
Forderungen erfüllt zu bekommen: Reicht das nicht aus, um das
abzudecken, was eigentlich hier gewünscht wird? Denn es gibt
Akademien, die Fortbildung betreiben, es gibt Barzuschüsse
für Instrumente, wo sind da denn jetzt vor allem die Defizite,
die Sie hier ansprechen?
Liebing: Ich glaube schon, dass wir ein paar Defizite haben.
Das Thema öffentliche Förderung und Projekte und musikalische
Geschichten ist das eine, aber außerdem haben wir immer komplexer
werdende Themen, die wir als Serviceleister für die Vereine
anbieten müssen. Wir müssen informieren, wie man vor Ort
eine vernünftige Pressearbeit macht, wir haben arbeits- und
sozialversicherungsrechtliche Probleme, die momentan jetzt im Gesetzgebungsverfahren
liegen.
Geißler: Ist es nicht so, dass die Vereine nach und
nach gleichsam zu Behörden werden?
Liebing: Ja klar, ich habe Vereine, die für ihre Verwaltung
im Prinzip eine Vollzeit-Stelle bräuchten.
Geißler: Wie geht es der Jeunesses?
Hahlweg: Ich würde gern nochmal auf den Begriff Ehrenamt
eingehen. Ich denke, man muss sich auch Gedanken darüber machen,
welche Motivation für denjenigen, der dieses Ehrenamt übernimmt,
dahintersteht, sei es im musikalischen oder im organisatorischen
Bereich. Ein anderer Aspekt ist für mich, dass auch im Ehrenamt
professionell gearbeitet werden muss.
Rohlfs: Hängt das nicht sicherlich auch mit dem mittlerweile
gestiegenen Anspruch zusammen, den jeder an seine eigene Freizeit
stellt?
Hahlweg: Allerdings. Die Schüler kommen inzwischen
mit ihrem Time-System an und wollen ihre Freizeit genau getimet
haben, und zu dieser Freizeit zählt natürlich auch das
Orchester.
Liebing: Schauen Sie mal rein in die Shell-Studie! Dort
steht, es gibt drei Bedingungen, die junge Leute in ihrer Freizeit
erfüllt sehen möchten: An erster Stelle steht: Es muss
Spaß machen; an zweiter Stelle: Ich will schnell Ergebnisse
sehen; an dritter Stelle: Ich will mich nicht langfristig binden,
will schnell wieder rauskönnen, also projektorientiert etwas
tun. Und diesen Anforderungen werden unsere Strukturen momentan
nur in Teilen gerecht.
Geißler: Wir haben uns gerade sehr angeregt über
Professionalisierung unterhalten und über eine notwendige Form
der Professionalisierung. Wie kann das denn ganz konkret aussehen?
Detlef Hahlweg, die Jeunesse ist ja da ein bisschen vorneweg.
Hahlweg: Wir haben mal versucht, alles das, was ein Orchesterleiter
wissen sollte, in ein Handbuch zu packen, inklusive Steuererklärung,
Gemeinnützigkeitserklärung, Programmauswahl und so weiter
und so fort. Das ist ein mühsames Geschäft, weil sich
die Bestimmungen ständig geändert haben. Es war eine Loseblatt-Sammlung
und wir konnten mit den Neulieferungen kaum nachkommen. Ich denke,
das wäre ein Thema der Zusammenarbeit zwischen den großen
Verbänden. Außerdem möchte ich mir ein Vereinshandbuch
kaufen können, in dem nicht nur etwas über Sport-Vereinslokale
drinsteht, sonder in dem auch etwas über meinen musikalischen
Bereich drinsteht.
Liebing: Ich komme ja eigentlich überhaupt nicht aus
diesem Verbands-Bereich, sondern aus einem ganz anderen und war
sehr erstaunt, als ich erfahren habe, dass wir an die hundert Bundesverbände
haben, die im Deutschen Musikrat organisiert sind und die alle irgendwas
mit Musik zu tun haben. Ich habe den Eindruck, dass wir an hundert
Stellen gleichzeitig versuchen, das Rad zu erfinden und das alles
wiederholen, wenn neue Ehrenamtliche da sind. Deshalb ist ein ganz
wichtiger Punkt für uns, das Thema Kooperation zwischen den
Verbänden. Wir haben in Baden-Württemberg mit dem Musikschulverband
eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, damit wir möglichst
wenig Überlappungen haben. Wir versuchen an der Ecke Internet
zum Beispiel mit den Musikwirtschaftsverbänden und mit Fachverlagen
etwas zu tun. Genauso wichtig ist es, Serviceleistungen stärker
zu bündeln. Ich bin nächste und übernächste
Woche zweimal in Berlin in Sachen Künstlersozialversicherungsgesetz.
Die Vereine wissen im Moment nicht, was sie tun sollen. Es gibt
keinen Anwalt, der ihnen eine schlüssige Empfehlung abgeben
kann und das heißt, wir brauchen hier ganz qualifizierte Fachleute,
die intensiv mit dem Thema beschäftigt sind und die das dann
als Serviceleistung für die Beiträge an die Verbände
in den Mitgliedsvereinen anbieten.
Geißler: Das heißt, sie leisten eigentlich
die Arbeit des Generalsekretärs des Deutschen Musikrates im
Moment?
Liebing: Nein, überhaupt nicht. da sind wir genau
bei dem Thema, das uns natürlich auch umtreibt: Der Deutsche
Musikrat ist eine Organisation, die zumindest aus drei Säulen
besteht, nämlich aus dem Bereich der Profimusiker, der Musikwirtschaft
und der Laienmusiker. Und was wir mit den Dachverbänden der
Laienmusik momentan versuchen, ist, diese eine Säule, die ganz
spezifische Interessen zu dem Thema hat, zu bündeln und zusammenzuführen
und diese Interessen dann in einem demokratischen Verfahren mit
den anderen Säulen abzustimmen und da Mehrheiten zu kriegen.
Aber es ist natürlich klar, dass, wenn ich sage: Laienvereine
sollen nicht zur Künstlersozialversicherung abgabepflichtig
sein, dass dann die Musikwirtschaft etwas dagegen hat. Deshalb machen
wir eigentlich nicht die Arbeit des Deutschen Musikrats, sondern
versuchen, unsere spezifischen Interessen, die ein Teil des Deutschen
Musikrats sind, darzustellen und dafür auch direkt Lobbying
zu betreiben.
Artmeier: Stichwort Deutscher Musikrat und Deutscher Orchesterwettbewerb:
Beim Orchesterwettbewerb bin ich ARD-Vertreter und ich kenne deshalb
die Arbeit, die dort gemacht wird. Ich kann nur sagen: Hier bündeln
sich ja viele Verbände. Ich bin Vertreter des Bayerischen Rundfunks.
Ich habe mich zuerst zu dem Thema Ehrenamt zu Wort gemeldet, weil
wir in den letzten fünfzehn Jahren mit allen Verbänden,
sei es mit den Blasmusik-, den Chor-, Zither-, Zupf- oder Akkordeon-Verbänden
produziert haben, sie in fünfzehn Jahren begleitet haben. Das
heißt, dass wir zu recht sagen, wir haben mit unseren vielen
Produktionen etwas zu ihrer Leistungssteigerung beigetragen. Bei
dieser Arbeit kriegt man auch Einblick und deshalb sage ich: Es
muss sich hier etwas ändern. So wie es jetzt ist, kann es angesichts
der bestehenden Zielsetzungen bezüglich der Jugendarbeit und
der musikalischen Leistungen nicht weitergehen.
Rohlfs: Die ganze Amateur-Szene hat ihre eigenen Probleme
und ich frage mich dauernd: Wer ist eigentlich der Ansprechpartner
für die Lösung dieser Probleme?
Liebing: Das habe ich mich auch gefragt.
Rohlfs: Es ist ja vor allem kommunale Arbeit, kommunale
Effektivität, die durch die Laienmusik sozusagen ausstrahlt.
Was tut denn etwa die Kommune für die Laienmusikarbeit? Die
vordringlichste Aufgabe muss es sein, die Probleme und Fragen zu
sortieren und die richtigen Ansprechpartner dafür zu finden.
Hahlweg: Wer ist unser Ansprechpartner auf höchster
Ebene? Ich denke, es sollte schon in Richtung Musikrat gehen, zumindest
in die betreffenden Fachausschüsse. Oder wir müssen uns
in den großen Verbänden selbst zusammenschließen
und sagen: Wir treffen uns mal auf oberer Ebene und versuchen abzustecken,
was wir an gemeinsamen Problemen haben, zum Beispiel Künstlersozialversicherung,
Ausländersteuer und so weiter.
Geißler: Es gibt Fachausschüsse im Deutschen
Musikrat, unter anderem eben auch für die Laienmusik. Man könnte
doch eigentlich annehmen, dass in solchen Kreisen dann dieses Clearing
stattfindet. Warum passiert das nicht?
Liebing: Das passiert schon: Wir sind in engem Kontakt
mit dem Deutschen Musikrat zu diesen Themen. Aber ich glaube, es
ist wichtig, dass wir als Laienmusikverbände auch nicht zu
sehr die Verantwortung nach oben abschieben. Der Deutsche Musikrat
hat drei Interessen zu vertreten, von denen zwei aus meiner Sicht
momentan stärker gewichtet werden, und der Laienbereich gehört
nicht dazu. Dass diese Interessen nicht stärker artikuliert
werden, hat Ursachen: Laien arbeiten natürlich viel stärker
mit Ehrenamtlichen, Ehrenamtliche sitzen in aller Regel auch im
Bundesfachausschuss und für einen Ehrenamtlichen ist es viel
schwieriger, die erforderliche Zeit aufzubringen; er hat nicht die
gleichen Möglichkeiten, sich tief in Themen einzuarbeiten wie
sie ein Geschäftsführer eines Wirtschaftsverbandes hat,
der im Deutschen Musikrat sitzt und der natürlich auch ganz
andere Zuarbeitungsmöglichkeiten hat als Ehrenamtliche.
Verantwortung
Geißler: Gibt es einen Verband, der dann da
zum Beispiel aus dem Laienbereich heraus die Verantwortung
übernimmt und sagt: Treffen wir uns auf unserer offenen Basis!
Kann das funktionieren, Detlef Hahlweg?
Hahlweg: Ich glaube, das ist eine sehr große Aufgabenstellung,
die Verbände zusammenzuholen und diese Professionalisierung
in Gang zu setzen. Ich denke, das hat in Zusammenarbeit mit dem
Musikrat zu passieren und ich denke, dass das auch passieren wird.
Ich möchte aber auch auf die Verantwortung dieses großen
Laienmusikbereichs hinweisen: Wenn wir beklagen, dass die Musikrezeption
Jugendlicher und Erwachsener und die Konzertbesuche zurückgehen,
dann müssen wir eigentlich an diesen Laienbereich denken und
ihm eine gewisse Aufmerksamkeit widmen.
Liebing: Wir müssen einfach zwei Strategien verfolgen:
Die eine Strategie heißt wir machen etwas zusammen mit dem
Musikrat und versuchen, dort unsere Laienspezifika durchzusetzen;
die zweite Strategie heißt wir machen als Verbände selber
etwas, gehen direkt ran und dazu müssen wir uns eng abstimmen.
Das passiert momentan mit Sängern, Zupfverbänden und anderen,
diese Gespräche gab es ja. Der Deutsche Blasmusikverband versucht
jetzt einfach erstmals zu dem aktuellen Thema Küstlersozialversicherung
etwas zu tun.
Artmeier: Ich kann nur sagen: Der Bayerische Rundfunk versteht
sich als Partner der Laienmusik und ich möchte mit den Worten
unseres Intendanten enden, der gesagt hat: Wir werden der
Laienmusik die ihr gebührenden Sendeplätze zur Verfügung
stellen.
Jederzeit abhörbar ist die taktlos-Sendung im Internet unter
www.nmz.de/taktlos