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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 12
50. Jahrgang | April
Forum
Goldene Schallplatten sind das eine
Zum Jöcker-Artikel Kinder verdienen die gleiche Qualität
wie Erwachsene nmz
3/01, S. 16
Was sich verkauft, hat noch lange kein Gütesiegel, oder,
wie Karl Kraus es etwas drastischer sagt: Je größer
der Stiefel, desto größer der Absatz! Da gibt es
einen Klänge- und Texteschreiber für die Marktlücke
des so genannten modernen Kinderliedes, und der kommt
an zunächst bei Omas, Müttern und bei oft musikalisch
unzureichend ausgebildeten Erzieherinnen. Treuherziges fürs
Auge wie das Bild in besagtem Artikel und die Darstellung missionarisch-selbstlosen
Einsatzes tun ein Weiteres. Über solche CD-kaufende Klientel
geraten diese Kaufhaus-backgroundenden Sterilitäten an das
Opfer Kind. Nun: Dies ist nichts Neues. Von der farbstrotzenden
Süßigkeit in Augenhöhe des Kindes im E-Center bis
zur ellbogenstärkenden Prestigemarke im Textilbereich ist das
Kind ja längst umworben und ein Wirtschaftsfaktor zum Leidwesen
vieler Eltern geworden. Auf diesem Feld gäbe es wenig einzuwenden,
wenn dieser Schuster auch bei seinem Leisten als psychologisch-marktwirtschaftlich
sensible Schallverkaufs-Nase samt entsprechenden Klangergebnissen
bleiben würde. Das ist doch schon etwas!
Nun gehörte es sich ja auch zur Verkaufsstrategie solcher
Marktlückenaufreißer, dem ganzen Werbepaket auch noch
einen pädagogisch-wertvoll-Stempel zu verpassen.
Das Stempelkissen wird durch Frau Böger ja schon reichlich
besaftet (das Goethe-Institut träufelt in wahrer Musikkennerschaft
anscheinend massenheischend mit). Aus den Niedlichkeiten mit dem
kleinen Detlev schwingt sich der Artikel zum einen zur
Wiedergabe der Aussage Jöckers empor, dass es sein Anspruch
sei, dass Kinder die gleiche Qualität verdienten wie Erwachsene,
wobei er sicher nicht meinte, dass Erwachsenen grundsätzlich
schlechte Qualität zuzuordnen wäre. Der andere Aussagenhöhepunkt
dieser Art ist folgende Passage: Denn oft genug steht er am
Pranger und wird angegriffen: Seine Musik sei zu seicht, kommerziell
und ohne pädagogischen Tiefgang. Dennoch war er im letzten
Jahr der erfolgreichste Kinderliedermacher.
Diese Logik ist nichts als hirnrissig. Demnach müsste etwa
Heino als die überragende Musikerpersönlichkeit nach Christi
Geburt in die Musikgeschichte eingehen. Jöcker in die Charts!
Karl Kraus lässt grüßen.
Deshalb: Kommerzielles akustisches Erzeugnis akzeptiert;
pädagogischer und künstlerischer Anspruch dieses Erzeugnisses
scharf zurückgewiesen! Herr Jöcker sollte sich
zur Aufwertung seines geschäftlichen Erfolges oder zur Beruhigung
seines Gewissens nicht erdreisten, seine Klischeenummern als wertvolle
Musik deklarieren zu wollen. Vielleicht würde er antworten:
Will ich auch gar nicht, mir geht es nur um das Kind!
Erzeugnisse aus solchen Intentionen sollten einer Genehmigung durch
unabhängige Instanzen unterliegen, ähnlich wie Schulbücher.
Denn Musik ohne Originalität, ohne Einfälle, produziert
mit satter Elektronik einschließlich entsprechender Kinderstimmenklangmanipulation,
also ohne den geringsten Anflug von Natürlichkeit als Vorgabe
zum Nachahmen und Weitererfinden, stiehlt dem Kind nicht nur einfach
Lebenszeit, sondern bringt es auf eine Ebene, die ob ihrer Schlaraffenland-Vordergründigkeit
und der Gewöhnung daran kreative lebensbereichernde musikalische
Aktivität kaum mehr zulässt oder unsinnig erschwert.
Diese Erzeugnisse verführen in ihrer Beispielwirkung aus oberflächlichem
Nachahmen (Schweincheneffekt) letztlich zur Passivität
und nehmen Zeitraum für aktives Selbsttun weg. (Ein wenig Durchblutungstraining
für die Stimmbandmuskeln ohne musikalisches Erlebnis ist doch
etwas armselig, oder?) Viele alte Volksliedmelodien mit Texten aus
entsprechender Zeit, die spielerisch aufzubereiten und zu verinnerlichen
wären, sind da unvergleichlich sprühender und kreatives
Tun animierend.
Diese CDs beschäftigen, versorgen das Kind allenfalls, haben
aber weder etwas mit Erziehung noch mit dem genussreichen Erleben
von entdeckungspotenzialgeprägter Musik zu tun.