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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 21
50. Jahrgang | April
Internet
Wiener Schmäh und Pariser Spatzen
Chansonetten, Chansoniers und ihre Lieder im Netz · Teil
II [> Teil
I]
Um es gleich vorweg zu nehmen: die Kritik an den Internetauftritten
von Chansonetten war nicht an Künstleragenturen lebender Stars
und Sternchen gerichtet, deren Auftritte sind meist ordentlich und
hübsch aufgemacht nein, hier geht es um einen wissenschaftlicheren
Ansatz: Kann ich im Netz die gleichen oder gleichrangigen Informationen
zu berühmten Künstlern und deren Werk bekommen wie in
einschlägigen Lexika und Biografien? Und es sieht weiterhin
düster aus.
Unsere Reise ins Chanson-Land führt uns in eine Stadt, die
ohne Musik (und ohne Wein) gar nicht vorstellbar ist: nach Wien.
Das Wiener Lied wird von unseren österreichischen Nachbarn
hoch und in Ehren gehalten. Im Netz wird man erst einmal gleich
wieder enttäuscht: www.wiener-lied.at gibts nicht, und
die Domain www.wienerlied.at hat sich ein Kleinverlag geschnappt,
wenigstens vertreibt er Gemeinschafts-CDs aus Grinzing, aber interessiert
es irgend jemand, dass der Chef gerne nach Thailand fährt?
Weiter gehts zu orpheus.at, der Musik-Suchmaschine für
Österreich. Gibt man die Wendung Wiener Lied ein man
wird schon vorgewarnt, es gibt keine Volltextsuche gelangt
man zu lustigen Gruppen wie die Liener Wieder, aber
keine Spur von Hans Moser oder Cissy Kraner.
Yahoo liefert die Seiten des Wiener Konzerthauses und sonst gar
nichts, also doch wieder zu Google.com, der allerliebsten Suchmaschine.
Hier haben Amazon und jpc die besten Plätze vorne belegt und
wollen Bücher von Karl Merkatz und CDs von Erika Pluhar verkaufen,
über einen kleinen
Umweg über den Heurigen1 geht es dann zu einer kleinen
Seite, die die Schrammeln vorstellt, mehr wird aber auch wieder
nicht geboten. Die erste richtige Spur zum richtigen Wiener Kabarett-Chanson
führt über die Chansonette
Lilli Walzer, die schon mit Tim Fischer im Duett sang und hier
den großartigen Hugo Wiener und seine Ohrwürmer Der
Novak lässt mich nicht verkommen und Ich kann den
Nowotny nicht leiden kurz vorstellt. Cissy Kraner, seiner
Muse und Partnerin wird hier ebenfalls ein kleines Denkmal gesetzt.
Bei Courage Records kann man in Lieder von Bronner oder Qualtinger
hineinschnuppern, wenigstens etwas... Dass das Wiener Lied aufs
engste mit dem Tod verbunden ist, wird einem dann klar, wenn man
auf das Wiener
Bestattungsmuseum stößt gute Seiten übrigens.
Und wenn wir schon dabei sind... gehen wir Tauben vergiften
im Park: treue Fans haben Georg Kreisler, dem ewig jungen Spötter,
ein Denkmal
gesetzt mit Texten von und über ihn, einer ausführlichen
Diskografie und einer interessanten Notenbörse. Schlecht bestellt
ist es dagegen um Helmut Qualtinger, den wortgewaltigen und gewichtigen
Kabarettisten, der den Herrn Karl unsterblich gemacht hat, die Geocities-Site,
die zu ihm führt, ist nicht erreichbar. Mühsam
das heißt zeitaufwändig zu betreten sind die Fanseiten
des Multimedia-Künstlers Andre Heller, der zu Qualtingers
Lebzeiten noch etwas raunziger die Kulturwelt bereicherte.
Nach dieser mageren Ausbeute geht es weiter nach Frankreich, das
Chanson-Land Nr. 1, wo Chansoniers verehrt werden wie Popstars.
Le Monde widmete dem kürzlich verstorbenen Charles Trenet eine
achtseitige Extrabeilage darauf können deutsche Liedermacher
lange warten. Anlässlich seines Todes wurde ihm gleich ein
kleines
Denkmal gesetzt, ansonsten wird man zu Tausenden von Verkaufsstellen
für CDs, Videos und von Texten gelotst, ein offizieller Webauftritt
fehlt wie so oft.
Recht viel besser sieht es auch beim Spatz von Paris,
Edith Piaf, nicht aus: das Musée Edith Piaf ist zwar in Webkatalogen
verzeichnet, hat aber noch null Content ins Netz gestellt, unter
der Domain www.edith-piaf.com kann man sich die Tourneedaten vieler
französischer Chansongrößen wie Charles Aznavour
oder Patrick Bruel per Newsletter zuschicken lassen, außerdem
erfährt man die Geburtsdaten leider wars das dann
auch schon wieder. Ausnahmen bestätigen die Regel: die belgische
Jacques-Brel-Stiftung etwa hat eine offizielle
Site gebaut, die die Fans und Verehrer sicherlich nicht enttäuschen
wird gesetzt den Fall, sie sind der französischen oder
niederländischen Sprache mächtig, die englische Version
ist noch nicht verfügbar. Eine ausführliche Biografie
wird durch einen Shop und Infos über die Aktivitäten der
Stiftung sinnvoll ergänzt. Auf der Suche nach einem berühmten
Schützling Edith Piafs, Yves
Montand, wird die Netzpilotin am Schluss ihrer Reise doch noch
belohnt: Musik- und Filminteressierte sollten demnächst einmal
unter www.fansites.com
stöbern, es lohnt sich.
Kurzer Blick noch in Sachen Knef, die schon ihre nächsten
beiden CDs plant, und Helen Vita, die im Februar nach kurzer schwerer
Krankheit verstorben ist. Das Deutsche Historische Museum (www.dhm.de)
widmet Hilde und dem Nachkriegsfilm ein
interessantes Kapitel, und ansonsten kann man verschiedene Interviews
in den verlinkten Medien nachlesen, die Domain www.hilde gard-knef.de
ist vergeben aber ohne Inhalt, Songtexte regnet es wie rote
Rosen. Melancholiker können sich zur Erinnerung Infos
zum letzten Programm Alte Schachteln (zusammen mit
Evelyn Künneke und Brigitte Mira) anschauen, mehr ist nicht
aufzutreiben, womit sich der Kreis schließt: Fit im Internet
sind die Konzert- und Tourneepromoter, die Plattenfirmen (sehr sorgfältig
betreut sind die Seiten von Conträr Musik, Rolf Limbach hat
Kabarettgrößen wie Hanns Dieter Hüsch, Hans Eckardt
Wenzel oder Ulrich Roski unter Vertrag) und Verlage, wer jedoch
darauf hofft, jemand würde sich als Labour of Love den Damen
und Herren mit Sorgfalt annehmen, wird meist enttäuscht.