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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 16
50. Jahrgang | April
Musik in Städten
Behäbigkeit und kreatives Potenzial
Das Musikleben in der Fuggerstadt Augsburg: Erfolge und Defizite
der Kulturförderung
Augsburg ist als rund 260.000 Einwohner zählende Hauptstadt
des bayerischen Regierungsbezirks Schwaben eine Stadt mit Tradition.
Die Gründung geht auf die Zeit des römischen Kaisers Augustus
vor über 2.000 Jahren zurück, das Handelsgeschick der
Häuser Fugger und Welser führte das Gemeinwesen zu beträchtlichem
Wohlstand. Leopold Mozart lebte hier. Und heute?
Szene aus der aktuellen Inszenierung
von Egks Revisor. Foto: L. Schöneck
Heute ist Augsburg eine Stadt, die sich ihrer gesellschaftspolitischen
Stellung und geschichtlichen Bedeutung bewusst ist. Sie unterhält,
natürlich, eine städtische Musikschule, das Stadttheater
ist den drei Sparten Musiktheater, Schauspiel und Ballett verpflichtet.
Ein durchaus hohes Niveau bescheinigte der im Februar ausgetragene
Regionalentscheid von Jugend musiziert dem Unterricht
in Augsburg und seiner Region: alle Teilnehmer wurden mit Preisen
ausgezeichnet.
Wenig leutselig sind die Augsburger, heißt es. Vielleicht
muss man diese zugegebenermaßen nicht ganz frei erfundene
Einschätzung für den Bereich der Musikkultur etwas
differenzierter betrachten. Mit dem richtigen Projekt und genügend
Ausdauer kann auch der behäbige Augsburger Schwabe mobilisiert
werden. Die aktuelle Spielzeit im Stadttheater lief für die
Sparte Musiktheater äußerst erfolgreich an. Vorstellungen
von La Traviata, Evita und Der Rosenkavalier
wurden vor bis auf den letzten Stehplatz ausverkauftem Haus gegeben.
Daneben stehen Wiederaufnahmen von Mozarts Gärtnerin
aus Liebe oder Lehárs Land des Lächelns.
Hinter solcher Planung steckt Methode. Man will mit beliebten Komponis-ten
und bekannten Werken endlich den Weg aus den roten Zahlen finden,
was in einer Zeit, in der die Subventionierung von Kultur immer
wieder in Frage gestellt wird, auch bitter nötig erscheint.
Auf der Strecke dürfte wohl fürs erste die Experimentierfreudigkeit
mit jungen und/oder weniger bekannten Werken bleiben, die ja erfahrungsgemäß
keine Garanten für volle Häuser und zufriedene Abonnenten
sind. Immerhin hat bisher kein grundsätzlicher Qualitätsverlust
stattgefunden, wie die aktuelle Neuproduktion von Werner Egks Der
Revisor beweist. Sie wartet mit einer intelligent-subtilen
Inszenierung (Peter Kirchner) auf und profitiert von der präzis-schnörkellosen
musikalischen Ausgestaltung Hans Norbert Bihlmaiers. Aus zwei Gründen
passt sie in den Spielplan: Egk wurde in der Region geboren (er
besuchte ein Augsburger Gymnasium) und sein 100. Geburtstag wird
in diesem Jahr bayernweit mit mehr als 80 Veranstaltungen gefeiert.
Entscheidend mitverantwortlich für das neu entfachte große
Interesse an der Spielstätte ist eine breit angelegte offensive
Öffentlichkeitsarbeit des in seiner zweiten Spielzeit tätigen
Intendanten Ulrich Peters. So holte er Literaten ins Theater, veranstaltete
den Opernball erstmals im stilvollen Ambiente des großen Hauses
und spricht mit einfallsreichen Aktionen vermehrt gerade junge Menschen
an. In Zahlen ausgedrückt erreichte Peters in seinem ersten
Augsburger Jahr eine allein im großen Haus um 9 auf 68 Prozent
gestiegene Auslastung. Und müss-te man für die vergangene
Freilichtbühnensaison nicht zwölf wetterbedingte Vorstellungsausfälle
beklagen, wäre das Geschäftsjahr 1999/2000 sogar mit einem
leichten Plus zu Ende gegangen. Wie es in Zukunft mit dem Augsburger
Musiktheater weitergeht, hängt auch davon ab, wer ab 2002 als
neuer GMD für den scheidenden Peter Leonard am Dirigentenpult
stehen wird.
Der Jazz dagegen hat in Augsburg derzeit keine auf Örtlichkeiten
zu begrenzende Szene. Er lebt vielmehr von Einzelpersonen, die mit
ihren Visionen die Dinge bewegen wollen. Der Vibraphonist Wolfgang
Lackerschmid ist einer von ihnen. Ohne Unterstützung von offizieller
Stelle gelang es ihm, über vier Jahre hinweg im ganz zentral
in der malerischen Altstadt gelegenen Traumraum eine
Konzertreihe zu etablieren. Seit dem Jahreswechsel gibt er anderer
Arbeit den Vorzug und produziert im eigenen Tonstudio Aufnahmen
internationaler Künstler.
Mit der Schließung des Underground Ende 1996
ging ein Kapitel Jazzgeschichte in der Fuggerstadt zu Ende. Hier
hatte sich zu Beginn der 90er-Jahre eine lokale Szene zu etab-lieren
begonnen. Die Musiker der Szene haben sich inzwischen in alle Himmelsrichtungen
zerstreut. Das Aus war aus finanziellen Gründen gekommen, am
Zuspruch der Musiker oder des Publikums lag es nicht. Heute, zehn
Jahre später, unternimmt Ursula Jarach, damals Betreiberin
des Underground, einen neuen Versuch, dem hiesigen Jazz
eine Heimstatt zu geben: In der Kulturfabrik organisiert
sie seit Februar wieder einmal pro Monat eine offene Jamsession.
Die eingestellten Traumraumkonzerte und die Schließung des
Underground haben eines gemein: Mit mehr Hilfe aus der
Kulturpolitik hätten beide Veranstalter ihren wichtigen Beitrag
zum Jazzleben der Region vermutlich weiterhin leisten können.
Während die Stadt Augsburg am 37-Millionen-Mark-Etat des Theaters
(1999/2000) einen Anteil von 20,5 Millionen trug, sieht sie sich
in punkto Jazz in der Veranstalter-Rolle des Augsburger Jazz-Sommers
mit jährlich fünf Freiluftkonzerten im Botanischen Garten
und vier bis fünf Kneipenkonzerten zur Genüge in die Pflicht
genommen. Gerade aber die kleineren, privat initiierten Events und
Reihen sind es wert, dass man ihnen etwas unter die Arme greift,
um kreatives Potenzial nicht aus Nachlässigkeit oder Ignoranz
verkümmern zu lassen.
Durchaus erfreulich dagegen die Situation in der musikalischen
Basisarbeit. An die 2.500 Schüler werden allein an der städtischen
Albert-Greiner-Sing- und Musikschule unterrichtet, weitere 350 bei
den traditionsreichen Augsburger Domsingknaben, wo nicht nur die
Dommusik selbst, sondern auch ein breit gefächerter Instrumentalunterricht
angeboten wird. Auch kennt man dort heute keine Berührungsängste
mit der weltlichen Musik. Die besten der Sänger, deren Ausbildung
im Alter von fünf Jahren beginnt und mit 25 endet, dürfen
nicht nur am Augsburger Stadttheater singen, sondern profitieren
auch von einer ständigen Kooperation ihres Instituts mit großen
Opernhäusern im In- und Ausland.
Seit der Umgestaltung des Leopold-Mozart-Konservatoriums zur Hochschule
für Musik Nürnberg-Augsburg ist die Attraktivität
des Standortes Augsburg in Sachen Musikstudium gestiegen. Im Wintersemester
wurden an der Abteilung Augsburg 214 Studenten ausgebildet. Fünf
Professuren hatte man hier anfangs eingerichtet, hinzu kamen Evaluationsprofessuren
vieler Dozenten des vormaligen Konservatoriums, von denen weitere
sechs im Oktober zu ordentlichen Professoren ernannt werden.
Die Musik in Augsburg hat allen Grund, zuversichtlich in die Zukunft
zu blicken, doch täten die Verantwortlichen gut daran, sich
um mehr Ausgewogenheit in der Förderung zu bemühen, um
gerade den Jazz nicht aufs Abstellgleis zu stellen. Dann könnte
man nicht nur stolz auf eine traditionsreiche Vergangenheit, sondern
auch auf ein prosperierendes und lebendiges Hier und Jetzt verweisen.