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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 3
50. Jahrgang | April
Zukunftswerkstatt
offene provinz der möglichkeiten
eine ermunternde einladung an die jungen · von hans-joachim
hespos
Die Kunst ist ein Vorreiter der Gesamtgesellschaft. Alle
politischen und sozialen Entwicklungen, die diese durchmacht, lassen
sich in fast allen Fällen 20, 30 oder 40 Jahre vorher exakt
durch Phänomene innerhalb der Kunst erkennen. Sie ist also
ein entscheidender Seismograf für die Gesamtgesellschaft, und
das bedeutet auch, dass die Gesetze, die in der Kunst gelten, für
alles im Leben gelten.
Alexander Pereira
Das
sind ja alles gar keine Denkereignisse mehr, das sind Stimmungen,
in Büchern festgehaltene Liebhabereien, Postillen, Herzblättchens
Zeitvertreib. klagte 1934 schon Gottfried Benn... von anstiftender
werkstatt, von der be-geisterung zukunft ist all das, was auch heute
unter KUNSCHT firmiert, unheilvoll weit entfernt. phantasielosigkeit,
schöner schlendrian, satte langeweile wohin man schaut.
die arbeit des künstlers ist immer zukunftWerkstatt, und kunst
ist eine praxis.
im Kleinen Haus zu delmenhorst stets am 11.11. versammelt
sich seit nunmehr zweiunddreißig jahren ein hoch aufmerksames
publikum aus der region, um jeweils neueste musiken dieser welt
zu erfahren von aktuell und international allerbesten interpreten,
die konzerte geraten in jeder hinsicht außergewöhnlich
und muten kräftig zu, das Ensemble Musica Negativa von heinz
klaus metzger und unter leitung von rainer riehn eröffnete
den reigen 1969 mit seinem début-konzert. es gab abende,
an denen das gesamtlicht abgeschaltet wurde, um im dunkeln besser-anders
hören zu können, so wurden auch schon einmal programmzettel
verteilt blanco ohne angaben, um sich vorurteilsfrei zu öffnen,
oder programmauflistungen ließen die abfolge offen für
freie zuordnungen; denn das programm entsteht allemal im konzert!
seltsame gleichzeitigkeiten ereigneten sich von musiken und auch
aufführungsorten, so wurden zuletzt bei NEUE MUSIK IN DELMENHORST
in foyer und saal simultan unterschiedliche konzerte veranstaltet,
während im konzentrierten über-all zusätzlich experimentelles
tanztheater die szene aufwühlte, für mancherlei überraschung
sorgte und begeisterte neugierde auslöste, es gab zahlreiche
uraufführungen, werke von hespos, paul hindemith, evangelisti,
cage und vielen anderen. sogar ein internationaler komponistenwettbewerb
wurde einmal realisiert mit uraufführungen von letztlich 59
werken aus aller welt für sopran, klavier, zwei akteure und
laien-streichorchester. gefordert waren kompositionen von einer
minute dauer!
in kurzer zeit von drei jahren gab es die KULTURREIHE HOYERSWEGE
als zentrum aktueller taten. kein zusätzlich überflüssiges
angebot von kulturkonsum, sondern ein herausforderungsprogramm vielfältiger
erscheinungen aktueller kultur, um im gasthaus, jenem
ort des sich-treffens, neue impulse zu bewegtem gespräch zu
geben, um verkarstungen zu stoppen, sinne nachzuschärfen, neue
hoffnung anzuregen. dilettanten, fachleute von internationalem niveau
und künstler von weltrang gastierten unentgeltlich bei den
vom gastronom werner scheitza und hespos insgesamt 16 auf den weg
gebrachten veranstaltungen im Hof Hoyerswege am südrande von
delmenhorst. diese private initiative wider den trüben geschmack
verstand sich auflehnend gegen falsche einsparung und schlaffe ängstlichkeit,
setzte TATzeichen, wagte kontroverse reizprogramme: der mai
ist gekommen, die bäume werden braun, ansichten
zur krebsbekämpfung, braucht der fortschritt den
krieg der sterne?... und neue musik war immer mit im spiel:
lauren newton, vinko globokar, harry sparnaay, trio basso, makoto
shinohara, francoise déslogères, free music communion,
graciela paraskevaidis, coriún aharonián, der new
yorker Zev und viele andere.
Sieht seine Arbeit auch als
Zukunftswerkstatt: hespos. Fotos: Andreas Nistler
seit november 1990, einmal monatlich am mittwoch abend, trifft
sich intern wechselnd eine bunte schar freier unternehmer quer aus
den berufssparten in ganderkesee, um sich anregend miteinander auszutauschen
zu gesellschaftlich aktuellen fragen, um in praxis dinge zu tun,
die eigentlich nicht gehen, um spielZeugs zu entwickeln
anstoß-quer zum alltag und praktische patenschaften zu leisten
für initiativen, die gesellschaftlich von animierendem reiz
sind.
da das phänomen geld in diesem verantwortungsvollen
gesprächskreis kein thema ist, können phantasie und gedanken
mutig und frei kommunizieren. aus dieser Keimzelle Wahrnehmung
wurde 1993 die WIESE GMBH, gesellschaft zur förderung
sozialer, kultureller, ökologischer und wirtschaftlicher projekte.
die wiese gmbh besteht aus tatsächlichen wiesen
als erprobungsfeldern, die zugleich anregung sind, weitreichende
vernetzungen mit anderen wiese-unternehmungen zu beginnen
zu einer NORDEUROPÄISCHEN KULTURSTRASSE und in der spanne rotterdam
st. petersburg ereignisse, innovationen, mitwirkungen, selbsthilfen,...
auf den weg zu bringen, eine ameisenstraße zu
verwirklichen voll neuer begegnung, unterhaltung, inter-regionaler
initiative von öffentlicher ausstrahlung.
EXPO-midi/musique future antérieure hieß
die zehnteilige konzertreihe, zu der das kulturamt der stadt delmenhorst
hespos im expo-jahr beauftragte. musiken des unmittelbaren gestern
und heuteJETZT zu anregender information für zeitgenössische
geister präsentierten sich in halbstündigen solokonzerten
an sonntagen jeweils um 12.00 uhr auf dem delmenhorster wolle-industriegelände
mitten in der stadt. diese serie mit den jeweils besten ihres faches
und neuester musik geriet zu einem überwältigenden publikumserfolg.
mie mike aus tokyo am akkordeon, georg friedrich schenck aus düsseldorf
klavier, daniel kientzy aus paris an saxophonen, der tubaist melvyn
poore aus köln, die vogelstimme ute wassermann aus berlin,
die georgische sopranistin maja tabatadse, der schlagzeuger ulrik
spies aus berlin am sensible metal (s. photo), der schlagzeugende
matthias kaul, und der fabelhafte vinko globokar mit seinen kompositionen
für posaune , sie alle waren highlights dieser serie.
verwirklicht wird jetzt UMAC, die vision von einem interdisziplinären
wurzelwerk: vielfältige disziplinen wie wissenschaft und politik,
wirtschaft und kultur in einer weise miteinander zu verflechten,
dass etwas neues, noch nicht gewusstes, noch nicht gekanntes heranwächst
wie ein rhizom. es geht darum, miteinander quer-zu-denken
voneinander zu lernen.
erkenntnisreiche prozesse voller wandlung und entfaltung. alles,
was wir dabei fragend gestalten, muss aufwecken, in bewegung halten
und das denkempfinden in vibration versetzen. solche vibrationen
müssen voll beziehungsreicher augenblicke sein, die losgelöst
von alteingefahrenem, von dumpf vertrautem, unbekanntes eröffnen
und universelle weiten herstellen. kleinkariert läuft hier
nichts... seit vielen jahrhunderten schon treiben wir immer mehr
in die enge, ersticken vollends in blind-bastelndem fortschritt.
zunehmende unruhe über beharrlichen stillstand und angeregt
von globalisierungen und sich wandelnder gesellschaften versteht
sich die mit dem gestalter jürgen engel vor kurzem gegründete
Universitaere Manufactur Com-Position (UMAC) zeitgenössisch
als solche längst überfällige erweiterung, wichtig
ist uns, außenseiterisch anstoß zu geben und neuAndere
erkenntnisse zu fördern als revolutionäres handeln.
komponieren , das heißt anstiften, heißt TÄTER
sein , in den partituren ebenso wie in gesellschaftlichem
umfeld.
meine ermunternde einladung an die JUNGEN: stiftet an zu TATEN!
bleibt lebendig! wehret dem geld und der dummheit! eröffnet
eure vielfalt von ZUKUNFTSWERKSTATT! so wie die junge juliane klein
mit editorischer unruhe, johannes harneit mit den erfindungsreichen
varianten seiner MomentsMusicaux, die überraschungsreichen
NeuNoNeits, wie michael reudenbach mit seinen aachener spottlights
und holger klaus und seinem aspect... immer weiter viel mehr
und ganz anders neuFrech.