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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 1
50. Jahrgang | Mai
Leitartikel
Die Kräfte bündeln für den Blick nach vorn
Notstand in der Ausbildung führt musikpädagogische
Verbände zusammen · Von Petra Pfaffenheuser
Bildung und Bildungspolitik sind in aller Munde. Was ist heute
die Aufgabe der Schule? Das Credo der bürgerlichen Allgemeinbildung
steht auf der Kippe, fertige IT-Spezialisten werden gefordert. Ist
es Aufgabe der Schule, sie heranzuzüchten oder
sind das nur die allzu laut vorgetragenen Schlagworte profilneurotischer
Politiker? Und überhaupt: Was hat das alles mit musikalischer
Bildung zu tun? Ziemlich viel: Mit der Definition von Bildung
und Schulverständnis steht und fällt die Rolle der musikalischen
Bildung und Ausbildung.
Genau diesen Zeitpunkt der heftigen Diskussion haben der Verband
deutscher Musikschulen (VdM) und der Verband deutscher Schulmusiker
(VDS) gewählt, um ihre Erklärung Gemeinsam für
Musikalische Bildung zu veröffentlichen. Erklärtes
Ziel ist es, Perspektiven gemeinsamen Handelns zu entwickeln,
um (...) den Stellenwert der Musikerziehung für die allgemeine
Bildung und für eine humane Gesellschaft zu stärken.
Schöne Worte. Doch wie schafft man es, gegen akuten Lehrermangel
und Unterrichtsausfälle auf Seiten der Schulmusik und den finanzpolitischen
Rotstift bei den Musikschulen anzukämpfen? Indem man den einzig
sinnvollen Weg geht, vorhandene Kräfte bündelt, stärker
zusammenarbeitet und so eine schlagkräftige Lobby bildet für
Musik in Deutschland. In diesem Sinne sehen die beiden Verbände
ihren Vorstoß als Beitrag zu der vom Deutschen Musikrat ausgerufenen
Initiative Hauptsache: Musik.
Gegenseitige Hilfe
Die gemeinsame Erklärung will musikalische Bildung allgemein
zwar fördern, aber keineswegs alle Ausbildungsmaßnahmen
in einen Topf werfen, musikalische Ausbildungsangebote sollen ergänzend,
nicht alternativ verstanden werden. Deshalb betonen VdM und VDS
klar die abgegrenzten Aufgabengebiete von Schulmusik und Musikschule,
um davon ausgehend eine ergänzende Zusammenarbeit anzustreben.
Mögliche Kooperationsfelder werden dann im Einzelnen benannt:
Gegenseitige Hilfe durch Zur-Verfügung-Stellen von Räumlichkeiten,
gemeinsame Ensembles, Konzertprojekte, Öffentlichkeitsarbeit,
gemeinsames Nutzen von Noten, Instrumenten und vieles mehr. Konkrete
Beispiele oder Projekte finden sich jedoch keine: praktisches Handeln
geschieht in Deutschlands Bildungslandschaft auf Landesebene. Die
Verbände können nicht mehr tun, als ihre Mitglieder auf
eine gemeinsame Perspektive einzuschwören und die
Wichtigkeit auf Kongressen und Tagungen betonen, ihr Handlungsarm
ist amputiert.
Entwicklung der Ganztagsschule
Eine Schlüsselrolle in der musikalischen Ausbildung könnte
in Zukunft die Entwicklung der Ganztagsschule sein, die in einigen
Bundesländern genauso vehement angestrebt wird, wie man sie
in anderen verteufelt. Sie bietet einen größeren institutionell
geschützen Raum für musikalische Aktivitäten, besonders
in den Nachmittagsstunden, in denen die Schüler ansonsten in
alle Winde verstreut sind und nicht mehr in größeren
Gruppen erreichbar sind. Für den Vorsitzenden des VDS, Hans
Bäßler, ist die Ganztagsschule ein wünschenswertes
Schulmodell der Zukunft. Die Rolle der Musikschule sieht er dabei
vergleichbar den englischen Community Schools integriert
in den Schulablauf. Der Verband bayerischer Schulmusiker hingegen
sieht die Musikschule durch dieses Modell an den Rand gedrängt,
auf die Abendstunden und aufs Wochenende verbannt (wie übrigens
bei vielen unserer europäischen Nachbarn üblich), für
die Arbeitszeit der Musikschullehrer ist diese Entwicklung natürlich
auch nicht sehr verlockend. Für Gerd Eicker, den Vorsitzenden
des VdM, ist die Ganztagsschule nur ein mögliches Modell für
die Zukunft. Die Musikschule müsse flexibel reagieren und ihre
Organisationsformen bei Bedarf darauf abstimmen. Ein idealtypisches
Bild der Zukunft.
Wer jedoch soll die vermehrten musikalischen Ausbildungsangebote
tragen, wenn akuter Musiklehrermangel schon jetzt einen einigermaßen
geregelten Musikuntericht fast unmöglich macht? Ist es eine
Lösung, den Überhang an ausgebildeten Musikschullehrern
an die allgemein bildenden Schulen zu schicken, um dort die Löcher
zu stopfen? Angesichts der Tatsache, dass sie eine völlig anders
gewichtete musikpädagogische Ausbildung genossen haben und
ihre Bezahlung mehrere BAT-Gruppen unter der eines Schulmusikers
liegt, sicher nicht. Jedoch ist auch nicht von der Hand zu weisen,
dass schulischer Musikunterricht durch einen Musikschulpädagogen
sicherlich der bessere Weg ist als gar kein Musikunterricht.
Ein Dilemma. Ausweg aus der musikpädagogischen Klemme könnte
eine Weiterqualifizierung für den Schulmusikunterricht sein,
wie sie Hans Bäßler an der Hochschule für Musik
und Theater Hannover anstrebt. Sie stößt zurzeit jedoch
bei der Landesregierung noch auf taube Ohren. Die Entwicklung in
Niedersachsen geht eher in die entgegengesetzte Richtung: Orchestermusiker,
Musikschulpädagogen und weitere musikalisch Tätige sollen
in Zukunft ohne vorherige Weiterqualifizierung an allgemein bildenden
Schulen unterrichten können. Eine Katastrophe oder eine Chance?
Je nach Blickwinkel wohl beides.
Wenn Musik als Unterrichtsfach an allgemein bildenden Schulen
jedoch nicht ganz aus dem Lehrplan verschwinden will was
ebenso verheerende Folgen für die Schülerzahlen an Musikschulen
hätte und die Musikschulen nicht das gleiche Schicksal
erleiden wollen, muss in der Zusammenarbeit der musikpädagogischen
Berufsverbände vor allem eines auf der Tagesordnung stehen:
So laut Krach zu schlagen und auf sich aufmerksam zu machen, bis
auch der letzte Bildungspolitiker begriffen hat, dass nur ein kulturell
gebildeter IT-Spezialist ein guter IT-Spezialist sein kann.