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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 10
50. Jahrgang | Mai
Musik in Städten
Zwischen Mozart, Prokofieff und Noise Music
Chemnitz bietet nicht nur Fabrikschlote, sondern auch Musikkultur
von Oper bis Jazz
So geachtet Chemnitz in der Fabrikwelt steht, so unbeachtet
ist es in der Kunstwelt, urteilte man knallhart im 19. Jahrhundert
über das sächsische Klein-Manchester. Gegen
die beiden anderen sächsischen Großstädte mit solch
künstlerisch wertvollen Beinamen wie Elb-Florenz
(Dresden) und Klein-Paris (Leipzig) vermochte und vermag
auch heute die mittlerweile vormalige Industrie-Metropole Chemnitz
nicht zu konkurrieren. Selbst der ungeliebte Nachbarort Zwickau,
bekannt für seine Automobilindustrie, ist in Sachen Musik mit
dem dort geborenen Musensohn Robert Schumann weit eindrucksvoller
bestückt.
In ihrer Entstehungszeit heftig
diskutiert: Prokofieffs Oper Verlobung im Kloster
am Chemnitzer Opernhaus. Foto: Dieter Wuschanski
Dem können die Chemnitzer höchstens den kaum noch bekannten
Singspielkomponisten Christian Gottlob Neefe, der immerhin als wichtigster
Lehrer Beethovens gilt, entgegensetzen. Immerhin organisierten sich
die Chemnitzer den Namen Robert Schumann für ihre Philharmonie,
ein Coup aus glorreichen sozialistischen Tagen, während Neefe
erst in spätkapitalistischer Neuzeit zu Ehren kam und seinen
Namen für den Neefe-Einkaufspark hergeben musste.
(Dass es sich hierbei eigentlich gar nicht um den Komponisten sondern
um einen gleichnamigen sächsischen Industriebaron handelt,
tut schon kaum noch etwas zur Sache.)
Aber nichts muss ja so bleiben, wie es ist. Man kann sich, siehe
Schumann, ja die musikalischen Geistesriesen einfach so in die Stadt
holen. Mit Beginn der 90er- Jahre hat nämlich kein geringerer
als Wolfgang Amadeus Mozart in Chemnitz eine feste Heimstatt gefunden,
obwohl der Vielgereiste Chemnitz nie besucht und bestenfalls bei
seiner Dresdenreise weiträumig das Gebiet umfahren hat. Aber
als Europäer par excellence, ja eigentlich sowieso Kosmopolit,
ist Mozart ohnehin überall zu Hause. Warum also nicht in Chemnitz!
In diesem Sinne wurde in der Stadt gehandelt und kurz entschlossen
1991 die Sächsische Mozartgesellschaft gegründet, die
aus Mitgliedern einer Bürgerbewegung hervorgegangen ist, deren
kulturelle Bedürfnisse sich in solcherart Aktivitäten
spiegelten. Und dies mit einem erstaunlichen Erfolg. In diesem Jahr
wird bereits zum zehnten Mal das Sächsische Mozartfest ausgerichtet
am Beginn als Kleines Mozartfest, 1995 als Deutsches
Mozartfest und seit dieser Zeit als Sächsisches
Mozartfest, das sich als feste Festival-Größe in
der Stadt etabliert hat.
Der rührige und auch rührende Anfängerschwung ist
sicherlich ein wenig gewichen, mittlerweile herrscht professioneller
Langmut vor. Was ja keine schlechte Entwicklung ist. Eine Vielzahl
bekannter Künstlerinnen und Künstler, etablierte Ensembles,
aber auch Nachwuchsinterpreten, die man allesamt kaum je in Chemnitz
erblickt hätte, konzertierten hier. Der englische Barockgeiger
Andrew Manze mit der Academy of Ancient Music war da, Elisabeth
Leonskaja, Flautando Köln, die Classic Buskers, Violeta Dinescu,
das Modern String Quartet...
Nicht immer eine leichte Kost. Das Programm für das 10. Sächsische
Mozartfest, vom 28. April bis 13. Mai, verspricht Bewegung
und Tanz sowohl im authentischen als auch im übertragenen
Sinne. Das Festival wird am 28. April mit der Oper Die Entführung
aus dem Serail von Wolfgang Amadeus Mozart eröffnet.
Einen Tag später treffen sich zwei Künstler in der Kreuzkirche,
deren musikalischer Ursprung unterschiedlicher nicht sein könnte,
deren Begegnung daher umso spannender zu erwarten ist. Der ehemalige
Leipziger Gewandhausorganist Matthias Eisenberg und der König
des Klezmer, Giora Feidman, stellen ein Programm vor, das Kompositionen
Mozarts, Musik aus jüdischer Tradition und Improvisationen
aus dem Augenblick heraus verbindet. Dem hingegen ist die Batzdorfer
Hofkapelle, die gemeinsam mit der Blockflötistin Michala Petri
auftreten wird, fast ein Lokalmatador. Aufgrund der spielerischen
Munterkeit und Finesse, insbesondere dem Dresdner Opern- und Oratorienrepertoire
des 18. Jahrhunderts verpflichtet, erreichen die Konzerte der Batzdorfer
ein extrem breit gefächertes Publikum. Tatsächlich haben
sich ihre Barockfestspiele, ein von Schauspielern und Musikern im
Handstreich organisiertes Festival, das rund fünfzig Kilometer
von Chemnitz entfernt im Sommer stattfindet, als sogenannte Kultveranstaltung
längst etabliert. Ohne viel Geld, aber mit enorm viel Enthusiasmus.
Etwas Ähnliches lässt sich auch über die Stelzenfestspiele
bei Reuth sagen, die 80 Kilometer südlich von Chemnitz
im Vogtland stattfinden und die es mit einer Uraufführungsserie
von Landmaschinen-Sinfonien zu einer Popularität
gebracht haben, die mittlerweile zumindest für ein Wochenende
internationale Gäste in die malerische Region des Vogtlandes
lockt.
Das mag für die (Ex-)Industriestadt Chemnitz schwieriger oder
fast unmöglich sein, aber im neu erbauten Opernhaus hat man
in den letzten Jahren einige spektakuläre Aktionen gestartet,
die einen gewissen Kulturtourismus heraufbeschworen haben. Der internationale
Wagner-Jet-Set traf sich, um die allerorten hoch gelobte Chemnitzer
Produktion des Ring des Nibelungen zu bestaunen. Eine
ganz andere Klientel besuchte die Stadt, als Kurt Weills Der
Weg der Verheißung seine europäische Erstaufführung
erlebte und kürzlich reisten die Freunde der russischen und
sowjetischen Oper an, um Prokofieffs selten gespielte Verlobung
im Kloster zu bestaunen (siehe Foto).
Von den mobilen jungen Leuten fahren etliche nach Bayern zum Jobben,
denn Arbeit ist knapp geworden in Chemnitz. Zurückgekommen
entspannen sie sich dann weniger bei den Anrechtskonzerten der Robert
Schumann Philharmonie, sondern gehen in Rock- oder Jazzkonzerte.
Vor allem im Vergleich zu anderen sächsischen Städten
ist das Jazzleben in Chemnitz recht ausgeprägt. Es gibt im
Opernhaus alljährlich ein Jazzfest mit internationalen Spitzenstars,
es gibt das Workshop-Projekt Jazzakademie, das von der
Chemnitzer BigBand mit dem Furcht einflößenden Namen
Monster of Intonation durchgeführt wird und gleich
zwei Jazzclubs bieten in der Stadt quer übers Jahr Konzerte
an. Nicht zuletzt das alljährlich stattfindende Herbstfestival
Begegnungen setzt gleichermaßen auf Klassik und
Jazz, auf Unterhaltung und Experiment, und auf, um mal ein ganz
schlimmes Wort zu benutzen: Cross Over.
Was strahlt musikalisch von Chemnitz in die große, weite
Welt ab? Sicherlich einige Opern-Produktionen des Städtischen
Theaters, aber in einem ganz speziellen Segment ist in Chemnitz
Weltniveau eingekehrt. Das 1990 vom Chemnitzer Karsten Zinsik gegründete
Label Noiseworks Records, wo einem alles geboten wird,
was sich hergebrachten Hörgewohnheiten konsequent entgegenstellt,
ist selbst in London und New York eine feste Größe. Bereits
zu Beginn der 90er-Jahre bemerkte ein Berliner Radiosender, dass
solcherart wunderbare Musik bezeichnenderweise aus Chemnitz
komme. Was immer das auch bedeuten mag.