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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 3
50. Jahrgang | Mai
Zukunftswerkstatt
Der Mythos von der ungeliebten Neuen Musik
Ein Zukunftsmärchen über mögliche Strukturen der
Musikverlage · Von Moritz Eggert
Es war einmal ein kleiner Verleger, der lebte in einem Haus im
großen Notenwald. Jeden Morgen ging der arme Mann in den Wald,
um Noten zu ernten, aber ach: Die Bäume waren immer so voller
Noten, dass der kleine Verleger überhaupt nicht alle tragen
konnte. Und nachdem er mühsam die wenigen Noten, die er bewältigen
konnte, auf seinem Buckel nach Hause getragen hatte, waren schon
am nächsten Morgen die Äste wieder voller neuer Früchte.
Aber die Noten, die er so mühselig erntete, wurden fröhlich
von den bösen Kopierteufelchen in alle Welt verbreitet, so
dass er noch nicht einmal den gebührenden Lohn für seine
mühselige Arbeit bekam. Und so wurde der arme Mann immer ärmer
und immer schwächer, und da es so war, konnte er auch immer
weniger Noten ernten und verkaufen.
Und
so ging es tagaus, tagein... So lange, bis all die kleinen Komponistenkinder
von dieser doofen Geschichte die Schnauze voll hatten! Denn so oder
ähnlich könnte man die Entschuldigungen zusammenfassen,
die die jungen Komponisten von den großen Verlagen zu hören
bekommen, wenn sie wieder einmal erfolglos vorstellig werden. Und
dass sie abgelehnt werden, dass sie ihre musikalische Karriere ohne
jede Hilfe eines Verlages gestalten, ist heute sicherlich mehr der
Fall als jemals zuvor in der Geschichte der gedruckten und mechanisch
verbreiteten Musik. Wogegen sich die gedruckte Belletristik und
sogar das Gedicht in einer vor wenigen Jahren noch für unmöglich
gehaltenen Renaissance sonnen, trotz oder vielleicht sogar wegen
Computerspielen und Internet, dümpelt die Sheet-Music,
die gedruckte, gehobene Musikliteratur für Kenner und Liebhaber,
in einer scheinbar nicht enden wollenden Flaute dahin. Es wird niemandem
entgangen sein, dass Musikverlage aller Orten die Pforten schließen,
oder von Großen und anonymen Konzernen geschluckt werden
selten zur Freude der bisherigen Verlagsautoren. Die Leute
interessieren sich eben nicht mehr für zeitgenössische
Musik lautet das Lamento. Das ist ein Mythos: Die Musikliebhaber
sind nicht weniger geworden eher sogar mehr, wenn man die
Tendenz zur Freizeitgesellschaft mit berücksichtigt. Nur besteht
eben die Abendunterhaltung von heute seltener aus dem eigenen Nachspielen
des neuen Ligeti-Trios mit Tante Bertha, sondern eher aus dem Erleben
und Erstellen von Musik mittels elektronischer Medien. Hierbei sind
viele Hobbymusiker von heute sogar kreativer als die Biedermeier-Hausmusiker
von gestern, die gerne als Sinnbild für eine leider vergangene
Epoche herhalten müssen. Denn der Computerfrickler, der sich
zum Spaß seine eigenen Dance-Hits bastelt, muss nicht nur
der dumpfe und abgestumpfte User sein, zu dem man ihn
gerne deklariert... Aber man darf auch nichts schönreden: Der
Absatz des neuen Ferneyhough ist garantiert nicht so
reißend, wie es weiland der Verkauf des Klavierauszugs von
Tannhäuser war, der in Europa Verkaufszahlen erreichte,
die heute in etwa mit einem Stephen-King-Roman vergleichbar wären.
Der Komponist Moritz Eggert
spielt aus seinem Zyklus Hämmerklavier. Foto:
Martin Hufner
Bevor wir uns die guten alten Zeiten wieder herbeiwünschen,
dürfen wir aber nicht vergessen, dass die Kultur von heute
(Gott sei Dank) wesentlich unelitärer und verbreiteter ist,
als zu Wagners Zeiten. Der Preis dafür ist eine gewisse
Nivellierung (die aber auch eine interessante künstlerische
Herausforderung ist). Wenn ich mir jede vorstellbare Musik auf verschiedenste
Weise in mein Wohnzimmer holen kann, ist das fehlende Interesse
an zum Beispiel einer unbefriedigenden Manifestation wie einem Klavierauszug
verständlich ich kann mir die neue Oper ja auch so anhören,
wie sie dann wirklich klingt. In keiner Weise ist dies aber ein
Anzeichen für den Niedergang der Kunst an sich (das ewig wiederkehrende
und beständig widerwärtige Argument der Spießer
zu allen Zeiten).
Wenn wir uns also darauf einigen können, dass immer Wichtiges
und Interessantes produziert wird und werden wird (ganz im Sinne
von Kurt Schwitters Bemerkung Jede Zeit muss sich selbst
erlösen, weil sie allein an sich leidet), dann bleibt
ja die Rolle des Verbreiters und Vermittlers, und das ist ja zum
Beispiel die mögliche Rolle eines Musikverlages, weiterhin
von extremer Wichtigkeit, unabhängig davon, wie sich das rein
praktische Berufsbild entwickeln wird. Ich sage möglich,
da diese Rolle von der Szene sicherlich noch nicht genügend
erkannt wird. Stattdessen halten Komponisten wie Verleger sich mit
dem künstlichen Aufrechterhalten eines missverstandenen Berufsethos
auf: Da erwartet der Komponist die metikulöse Abschrift einer
hingeschmierten und unleserlichen Partitur (da der Handschrift
in der Musik eine lächerlich mystische Aura zugeschrieben wird,
die übertrieben scheint, wenn es doch einzig und allein um
ein akustisches, nicht um ein visuelles Ergebnis geht). Und der
Verlag wiederum erwartet sensationelle und vollkommen utopische
Verkaufszahlen, die sich nie erfüllen können, die aber
dem Komponisten ein beständiges Gefühl des Versagens und
der Minderwertigkeit suggerieren, in der Hoffnung, ihn gewissermaßen
ruhig zu stellen.
Es ginge anders ...
Es ginge anders, und meine Hoffnung ist, man möge es mit Geschick
und Enthusiasmus endlich versuchen. Wir sollten nicht darüber
reden, was nicht mehr möglich ist, sondern darüber, was
gerade jetzt möglich ist. Nehmen wir den Notensatz: Wie neidisch
wäre Beethoven gewesen, wenn er geahnt hätte, dass heute
keine geplagten Gehilfen über dem extrem zeitaufwändigen
und mühsamen Gewerbe des Notenstechens und Manuskriptlesens
mehr ihr Augenlicht verschwenden, sondern jeder Komponist in der
Lage ist, mit ein bisschen Können und gutem Willen, und vor
allem mit Hilfe der gängigen und sich ständig verbessernden
Notensatzprogramme wie Sibelius oder Finale,
ansehnliche und absolut professionelle Partituren herzustellen (und
diese Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen!). Diese Noten
in verwendbarer Form zu vervielfältigen wird auch immer leichter.
Der Qualitätsunterschied zu einer Verlagsausgabe
ist dann ohnehin meist nur noch marginal, denn das Niveau des verlagseigenen
Notendrucks ist oft nur unwesentlich (wenn überhaupt) besser
als im freundlichen Kopierladen um die Ecke. Manche Musikverlage
sind der Kopierladen um die Ecke (und schimpfen auf die, die wiederum
ihre Druckerzeugnisse kopieren)...
Zukunftsvision
Wäre es nicht zum Beispiel eine mögliche Idee, dass
Komponist und Lektor eines Verlages gemeinsam eine Datenbank betreuen,
in der alle Werke dieses Komponisten in digitaler Form ständig
verfügbar sind, ja auf die der Komponist sogar von zu Hause
Zugriff hat, um Änderungen und Korrekturen direkt an seiner
Musik vorzunehmen, anstatt mühsam über Korrekturfahnen
zu brüten? Die Möglichkeiten des Internet-Downloads und
des nebulösen Print-on-Demand werden ja nur deswegen
noch nicht befriedigend genutzt, weil die beständige Weiterentwicklung
des Internets und des Druckwesens einer selbstverständlichen
und unproblematisierten Verwendung noch im Wege stehen. Daher ist
es auch noch zu früh, den Niedergang von in diese Richtung
zielenden Initiativen wie Net-4-music oder Scorch
zu prophezeien eher sollte man schleunigst diese Initiativen
adaptieren und vielleicht auch standardisieren. Denn die für
notierte Musik benötigten Datenmengen sind inzwischen, bedenkt
man die ständig wachsenden Speichermöglichkeiten, oder
vergleicht man die Datenmenge zum Beispiel mit einem Videodownload,
lächerlich gering.
In den nächsten Jahrzehnten ist eine zunehmende Digitalisierung
von Daten aller Art zu erwarten. Heute lacht man noch über
die Vorstellung von einem Orchestermusiker der Zukunft, der sich
die Oboenstimme direkt vom Server des Komponisten auf sein Notenpult
mit digitalem Papier herunterlädt, aber wie lange noch? Man
ist kein verwirrter Fantast, wenn man mit der zunehmenden direkten
Verfügbarkeit von Information überall und zu jeder Zeit
rechnet, denn dies entspricht einem wachsenden Bedürfnis unserer
Gesellschaft. Das muss aber keinesfalls heißen, dass plötzlich
Hochkultur und Subtilität keinen Platz in unserem Leben haben,
denn auch diese entsprechen einem Bedürfnis. Und auch die Verbreitung
digitaler Information im Internet bedarf großer Kreativität
und Sorgfalt, Attribute, die jeder zu schätzen lernt, der es
als User jemals mit unübersichtlichen Website-Designs zu tun
hatte. Auch die Kunstmusik sollte sich selbstverständlich möglichst
virtuos dieser Medien bedienen ein Kunststück, das gerade
im Musikalienhandel noch nicht zufrieden stellend gelingt.
Sicher ist eines: Komponisten wie Verleger müssen ihre traditionelle
Arbeitsteilung, ja ihr komplettes Berufsbild neu definieren, und
das so schnell wie möglich, denn das Verfallsdatum der bisherigen
Strukturen ist schon lange überschritten. Sich gegen diese
Entwicklung zu stellen mag sympathisch sein symptomatisch
für die noch herrschende Situation ist es auf jeden Fall.
Was die Komponisten wollen, ist klar: Ruhm, wenigstens Nachruhm,
Aufführungen, Erfolg. Was kann nun der Verlag den Komponisten
bieten, wenn die traditionelle Rolle des Notenherstellers weder
profitabel noch nötig ist wie früher? Die Antwort liegt
sicherlich in dem meist so schwammigen Bereich des Marketing,
der Vermittlung von Ideen, die nicht selten auch die Identifikation
mit einem Image brauchen, der Person eines Komponisten zum Beispiel.
Sind denn nicht auch die so genannten Klassiker sehr Image-behaftet?
Der zornige Beethoven? Der kindische Mozart?
Man mag darüber denken wie man will Tatsache ist, dass
das größte Problem der öffentlichen Wahrnehmung
von Neuer Musik nicht unbedingt die Musik selber, sondern deren
fehlendes Image beim Publikum ist. Dass diese Wahrnehmung von der
intellektuell unerträglich verquasten und geradezu masturbatorischen
Selbstdarstellung eines Großteils der Neuen-Musik-Szene mitgeprägt
wurde, ist ein eigenes, aber hier sicherlich mit hineinspielendes
Thema.
Kein Zaudern und kein Zagen
Im Grunde kann man sagen, dass jedes Image besser wäre als
das der Neuen Musik, selbst ein schlechtes, denn das wäre wenigstens
noch kontrovers. Ein solches neues Image zu vermitteln, wäre
eine mögliche, ja sogar eine spannende und befriedigende Aufgabe
für einen Verlag (wenn es denn gelänge), und man kann
mit einiger Sicherheit sagen, dass dies auch noch nie wirklich versucht
wurde. Selbstvermarktung ist ein Parkett, auf dem sich die meisten
Künstler verständlicherweise schwer tun. Der Verlag dagegen
muss sich für die Vermarktung seiner Autoren nicht schämen,
dafür darf und soll er auch an deren Erfolg mitverdienen. Wenn
sich aber Komponisten und Verlage gänzlich den neuen Medien
verschließen, können sie auch nicht erwarten, von diesen
Medien zu profitieren.
Also Schluss mit dem Zaudern und Zagen fragen wir doch wirklich
einmal: Whats new? Und was muss man daher anders
machen?