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nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 17
50. Jahrgang | Juni
Rezensionen
Kalte klare Welle
NDW-Töne als Futter für aktuelle Beats
Für die nächsten 20 bis 30 Jahre sind Revivals
ausschließlich auf Epochen und Etappen des letzten Jahrtausends
beschränkt. Ein gewagter Satz des Elektronikmusikers
Uwe Schmidt (alias Atom Heart alias Senor Coconut), Empfehlung und
Prognose zugleich. Der Begriff retro ist aus der Popkultur
der Jahrhundertwende nicht mehr wegzudiskutieren, und was Musiker
wie Schmidt angeht, sozialisiert zwischen elektronischem Frickelstudio
im Wohnzimmer und kommunikativem Szene-Club, so raunt vor allem
ein bestimmter altvertrauter Begriff seit einigen Monaten verstärkt
durch die unterschiedlichsten Popäußerungen: Neue
Deutsche Welle. Oder, internationaler: New Wave.
Das Raunen konkretisierte sich vor ein paar Wochen in den Club-
und sogar in den Singlecharts als ein Hit durch die Hintertür:
Kaltes Klares Wasser (siehe Hits
& Clips, nmz 4/01).
Berlin, natürlich. Bis zur Bewusstlosigkeit wird dort gerade
die eigene Kreativität gefeiert. Kein Wunder, dass Erinnerungen
an eine Zeit vor zwanzig Jahren grassieren. Ende 1981 entstand Kaltes
Klares Wasser als ein Undergroundhit des Frauenquintetts Malaria!
rund um Bettina Köster und Gudrun Gut. Eine Hymne zwischen
den Einstürzenden Neubauten, dem Festival
Genialer Dilettanten und dem Club SO 36. Erste
internationale Erfolge, nach zwei Jahren Bandauflösung wegen
Kommerzialisierung der Szene das waren noch Zeiten.
1999: Gudrun Gut betreibt in Berlin das Label Monika
und veröffentlicht von dem damals Münchner, mittlerweile
ebenfalls Berliner Trio Chicks On Speed einen Remix
von Kaltes Klares Wasser. Chicks On Speed
sind drei Fauen mit überkandidelter Anarcho-&Spaß-Attitüde,
die sich mit Hilfe diverser Clubproduzenten schon zuvor durch einige
Frauenbands und Frauenstimmen des New Wave gecovert hatten: Delta
5, The Normal und B 52s, denen
sie als Chix 52 kürzlich eine aufgekratzte Coverversionen-EP
widmeten. Malaria! passt in diese Reihe, darin sind
sich alle einig.
2001: Die neue Version hat sich durch die Clubs geschlängelt,
bis auf Platz eins der Deutschen Dance Charts, das Video bis in
die Rotationen. Und Gudrun Gut hat weitere Sy-nergien freigesetzt.
Andere VIPs aus der Clubszene wie Jörg Burger (Modernist),
Wolfgang Vogt (Wassermann) oder DJ Koze bearbeiteten den Track ebenfalls,
und Gut hat ein komplettes Album mit weiteren Remixen von weiteren
frühen Malaria!-Stü-cken organisiert: Malaria!
versus. Auch Uwe Schmidt ist dabei, der eingangs zitierte
Satz ist sein Beitrag zum Booklet. Er präsentiert als AtomTM
das Lied Leidenschaft von der Malaria!-LP
Emotion (1982) in einem bestechend eleganten Click-Groove
für die Tanzflächen des Hier und Jetzt. Und es ist auffällig:
Wie schon bei Kaltes Klares Wasser schmiegen sich die
aktuellen Sounds liebevoll an den musikalischen Gestus von vor zwanzig
Jahren an. Das damals von Bettina Köster knapp und stoisch
dahingeflüsterte Wort Leidenschaft, eingebettet
in den neuen trockenen künstlichen Bassdrum-Pluck und die punktuell
arrangierten Zischelspritzer der Klang der Neuen Deutschen
Welle scheint nicht nur wieder up to date, sondern wird in seinen
spezifischen Eigenschaften als innovativ empfunden.
Eine Eigenschaft stellen beispielsweise jene typischen dünn-fiepsigen
Chip-Sounds dar. Es ist kein Zufall, dass 1982 mit dem Commodore
C 64 der erste populäre Heimcomputer vorgestellt wurde, dessen
Spiele und Sounds in den 80ern die Klangwelten unzähliger Computerkids
und späteren Elektronikmusikern geprägt haben. Und es
ist kein Zufall, dass nun, im Frühjahr 2001, mit Input64
eine seufzend geliebte Zusammenstellung mit den Musikstücken
veröffentlicht worden ist, die damals für die C-64-Computerspiele
kreiiert wurden.
Solche bewussten Retro-Reflexionen berühren natürlich
nicht den Mainstream der NDW Greatest Hits-Zusammenstellungen,
sind aber an allen Ecken und Enden zu finden. So nähert sich
der Münchner DJ Hell mit seltsam elektronisch-avantgardistischen
Remixen den damaligen Hits What Use? und No Tears
seiner San Franciscoer New Wave-Helden Tuxedomoon und
tourte sogar mit ihnen. Und Patrick Wagner von der Berliner Band
Surrogat, deren energiegeladenes letztjähriges
Album Rock so ziemlich jeden altersmäßig
kompatiblen Hörer an die NDW-Band Fehlfarben erinnert,
hat mal gesagt, dass er sich mit elf Jahren aus der NDW ganz
intuitiv jene Fehlfarben und Ideale herausgepickt habe: Da
war etwas total Subversives drin.
Die Freunde von Jeans Team wiederum glänzen mit
ihrem Debütalbum Ding Dong und der Single Keine
Melodien durch klare Verweise auf Trio und D.A.F.
und legen zudem live ein glitzerndes NDW-Konzept vor, das
sogar diese debil-zackige Art der New Wave-Tänze adaptiert.
Dabei betont das Quartett in Interviews, dass sie jung, wie
sie sind NDW-Musik und ihre ästhetischen Reize eigentlich
durch Rückschritte von Techno aus entdeckt haben.
Die stoisch-verhackten trockenen Sounds, die wie bei D.A.F.
auch mal die Grenze des Martialischen abschritten (Tanz den
Mussolini), und der trotzig-distanzierte Tonfall, in dem kurze
Sätze, Phrasen und Stichwörter gebellt wurden, vermittelten
inklusive aller unterschwelliger ironischer Beigaben die Kraft eines
selbstbewussten Untergrunds. Und gleichzeitig ist dieser Umgang
mit den Lyrics, dem heutigen Stilmittel, Sprache und Gesang als
Samples in der Musik zu rhythmisieren, ähnlich.
Die beharrlichen repetitiven Beats des New Wave sind natürlich
unmittelbar dazu geeignet, die allgegenwärtige Orientierung
der Popkultur auf die Dancefloors mit weiteren Variationen voranzutreiben.
So ist die aktuelle Clubszene mit ihrer Verpflichtung zur permanenten
Suche nach neuem Input, neuen Ideen und Sounds nun eben ganz stilbewusst
an den Wurzeln eines weiteren einstigen Trends gelandet eine
Retro-Bewegung als schlüssige Mischung aus Pflege des Underground-Bewusstseins
und musik-immanenter Notwendigkeit. Als Prinzip hatte das ja auch
schon beim Thema Disco funktioniert. Womit wir wieder
bei Kaltes Klares Wasser wären.
Wir hätten nie gedacht, dass Kaltes Klares Wasser
so ein Clubhit wird, sagt Gudrun Gut. Und die Chicks
On Speed treten mit der Nummer bei Top of the Pops
auf. Vorbei die Zeiten, als Ideal noch schwer überlegen
mussten, ob sie Dieter Thomas Hecks zähneknirschende Einladung
annehmen sollten, Blaue Augen in der ZDF-Hitparade vorzutragen.
Mit solchen Dilemmata hat das Malaria!-Projekt nicht
zu kämpfen. Für Malaria! versus hat der DJ
und Love Parade-Geschäftsmann Dr. Motte genauso zugearbeitet
wie der Elektronik-Produzent Thomas Fehlmann, der zum einen früher
bei der NDW-Band Palais Schaumburg spielte und zum anderen
nun mit Gut seit geraumer Zeit die renommierte Berliner Radio Eins
Sendung Ocean Club führt.
Irgendwie bleibt also alles in der Familie, die Familie hat einen
guten Ruf, und Platz eins der Deutschen Dance Charts adelt diesen
Ruf. Das gesamte Paket ist ein Verkaufsargument: Malaria!
versus wird als Zusammenarbeit mit einem Spezial-Club-Label
über eine richtig große Major-Firma vertrieben. Und die
wiederum ist mit Sicherheit längst dabei, in den eigenen Archiven
nach alten NDW- und New Wave-Acts zu kramen. Sie wird, wie andere
auch, bestimmt fündig. Uwe Schmidt hat schon recht. Für
die Revivals der nächsten 20 bis 30 Jahre bieten die Epochen
und Etappen des letzten Jahrtausends allemal genügend Material.