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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 53
50. Jahrgang | Juli/August
Dossier: Neue Wege für junge Ohren
Ein Engagement, von dem alle Beteiligten profitieren
Die Aktivitäten des Royal Scottish National Orchestras aus
der Sicht einer Musikerin
Das Royal Scottish National Orchestra (RSNO), der wichtigste Klangkörper
Schottlands, erreicht mit seiner konzertpädagogischen Arbeit
rund 30.000 Kinder und Erwachsene im Jahr. Paul Rissmann, seit 1998
Leiter dieses Programms, präsentierte beim Kongress in Weikerheim
das Konzept auf eine Weise, die mehr als erahnen ließ, wie
er mit seinem Publikum umzugehen weiß: Sympathisch, witzig,
kompetent. Als Kern seiner Arbeit stellte er die speziell für
einzelne Jahrgangsstufen konzipierten Konzerte des RSNO vor, die
zweifach vorbereitet werden: Durch eine Lehrerfortbildung und einen
Workshop in den Schulklassen. In der Fortbildung wird differenziert
zwischen Musik- und anderen Fachlehrern, denen dann das Unterrichtsmaterial
an die Hand gegeben wird, mit dem sie ihre Klasse auf bestimmte
Stücke des Programms vorbereiten können, im Fall des diesjährigen
Projekts Unreal etwa die Leutnant Kije-Suite von Sergej
Prokofieff. Die Workshops beinhalten dann neben einer näheren
Auseinandersetzung mit den Werken auch aktives Musizieren und Komponieren
nach dem in England Anfang der 80er-Jahre entwickelten Response-Prinzip:
Kinder komponieren aus Elementen von Werken, die sie zunächst
nicht hören, eigene Musik, die sie dann mit den Originalen
vergleichen (siehe hierzu auch den Artikel von Anke
Eberwein auf S. 60). Abschluss und Höhepunkt sind die eigentlichen
Konzerte in Edinburgh, Aberdeen, Dundee und Glasgow. In derselben
Präsentation beleuchtete Ursula Heidecker, Violinistin im RSNO,
die Musikvermittlung für Kinder aus Sicht der ausübenden
Musikerin:
Die Geigerin Ursula Heidecker
während ihres Referates im Gärtnersaal von Schloss
Weikersheim.
Foto: Berthild Lievenbrück
Unser Orchester spielt rund 140 Konzerte pro Jahr und oft zwei
bis drei verschiedene Programme pro Woche. Hinzu kommen Aufnahmen
mit klassischer Musik und manchmal auch Filmmusik. Die konzertpädagogische
Arbeit ist nicht Bestandteil unserer Verträge, sie findet in
der Freizeit statt und wird auch ext-ra bezahlt. Ein großer
Vorteil dieser Regelung besteht darin, dass nur diejenigen diese
Arbeit machen, die es wirklich wollen.
Die Gründe, warum man sich für diese Arbeit entscheidet,
beziehen sich einerseits auf die Kinder, andererseits auf uns als
Musiker. Zunächst zu den Kindern:
Unsere Kinderkonzerte erreichen Menschen, die üblicherweise
keinen Zugang zu klassischer Musik haben, sei es aus finanziellen,
sei es aus Gründen, die mit dem Elternhaus zu tun haben. Wir
arbeiten normalerweise nicht mit auf Musik spezialisierten Schulen
zusammen, sondern mit normalen Grund- oder weiterführenden
Schulen, manchmal auch mit Sonderschulen.
Unsere Arbeit hat positive soziale Auswirkungen auf die Schulklassen.
Alle Schüler bringen die gleichen Vo-raussetzungen mit, weil
sie an einem solchen Kompositionsworkshop noch nie teilgenommen
haben und häufig erweisen sich vermeintliche Versager
als besonders begabt für Komposition, Rhythmus oder andere
Elemente unserer Workshops.
Musik macht Spaß und mit unserer Arbeit erzeugen wir bei
den Kindern ein Gefühl von Abenteuer, wenn wir mit ihnen neue
Welten hören und erfahren lernen, etwa die große Bandbreite
an Emotionen, die in der Musik ausgedrückt werden kann
Unsere Besuche in den Schulen sind für die Kinder etwas Neues.
Wir haben also den Vorteil, etwas anzubieten, das anders ist als
alles, was sie vorher gemacht haben.
Mit unserer Arbeit ermutigen wir junge Menschen dazu, sich selbst
mit Musik auseinander zu setzen. Wenn es uns gelingt, sie zu interessieren,
werden sie wiederkommen. So sind manche meiner Kollegen eben aufgrund
solcher Besuche von Profimusikern selbst Musiker geworden.
Wir arbeiten regelmäßig mit behinderten Kindern. Für
einige von ihnen ist Musik eine echte Überlebenshilfe, weil
sie oft ihre einzige Möglichkeit ist, sich auszudrücken.
Was bedeutet nun die konzertpädagogische Arbeit für uns
Musiker? Zunächst einmal ist sie eine willkommene Abwechslung
und Unterbrechung unseres Orchesteralltags. Statt die Musik anderer
zu reproduzieren sind wir selbst kreativ tätig, eine oft befreiende
Erfahrung.
Diese Kreativität ist eine große Herausforderung und
trägt so, zum Beispiel was die Kommunikationsfähigkeit
betrifft, zu unserer persönlichen und beruflichen Entwicklung
bei.
Es ist sehr befriedigend zu beobachten, wie die Kinder auf die Musik
reagieren und sie genießen. Die erzieherische Tätigkeit
gibt uns außerdem das Gefühl, mit unseren Fähigkeiten
etwas Sinnvolles zu tun.
Da wir in den Workshops sehr viel solistisch musizieren, gewinnen
wir als Instrumentalisten an Sicherheit, was wiederum dem Zusammenspiel
im Orchester gut tut.
Wir haben die Möglichkeit, eng mit unseren Kollegen zusammenzuarbeiten,
was zu mehr Verständnis füreinander beiträgt. Auch
können wir besser die Rolle bestimmen, die wir innerhalb des
Orchesters ausfüllen, ohne den Komplex, nur an
einem hinteren Pult zu spielen.
Auch wir lernen die Musik, die wir erklären und spielen,
besser zu verstehen. Durch unsere Arbeit erkennen wir, dass das,
was wir spielen und das, was die Kinder komponieren, Teil eines
zusammengehörigen Kontinuums von Musiken ist.
Die Kinderkonzertprogramme machen den Namen unseres Orchesters bekannt
und geben uns das Gefühl, etwas für dessen Ansehen zu
tun.
Als Fazit kann ich nur jedem Musiker empfehlen, diese Arbeit auszuprobieren,
denn sie kann eine lohnende Ergänzung des Orchesterberufs sein!