[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 55
50. Jahrgang | Juli/August
Dossier: Neue Wege für junge Ohren
Cluster
Biedermeier
Konzerte für Kinder nennt sich eine Initiative
der Jeunesses Musicales Deutschland. Dieser Initiative geht es um
bessere Konzerte für Kinder. Das ist schön, das ist nett.
Denn in der Tat ist allzumal das deutsche Konzertleben gekennzeichnet
durch alte eingeschworene Rituale einer verglimmenden bürgerlichen
Musikkultur. Dass eine derartige Musiktradition für das junge
Publikum größtenteils uninte-ressant ist, darüber
dürfte Einigkeit bestehen.
Andererseits: Konzerte für Kinder gibt es schon lange. Zwar
nicht mit Geigen und Trompeten, dafür in Riesenarenen mit den
aktuellen Popstars von Blümchen bis Karl Moik. Nun kann man
dagegen einwenden, dass diese Art der Konzerte nicht Konzerte für
sondern Konzerte gegen Kinder sind: Junge Menschen als tumbe Rezeptionsmasse
und Geldsack der Musikindustrie. Wenn diese Deutung nicht ganz falsch
sein sollte, dann muss man jedoch fragen, ob nicht gerade die Initiative
Konzerte für Kinder in eben diese Falle tappt. So schreibt
Thomas Rietschel, der Generalsekretär der Jeunesses Musicales
in der Ausgabe
5/2001 der neuen musikzeitung (S. 15): Wer als Kind von
einem Konzert begeistert wird, der will auch ein Instrument lernen
und ist in 20 Jahren ein Konzertbesucher und CD-Käufer.
Doch dieser Aussage fehlt das dialektische Rückgrat. Denn die
von Thomas Rietschel gewünschten Allianzen mit der Musikindustrie
sind in diesem Zusammenhang eher unheilig, da bloß einseitig
zweckmäßig. Am Ende bedeutet dies, dass gute Konzerte
für Kinder nur Dressurakte zur Anpassung an den Status Quo
sind und damit die Strukturen reproduzieren, gegen die man doch
eigentlich antrat?
Unterstellen wir mal, Thomas Rietschel habe etwas anderes gemeint,
nämlich, dass durch gute Konzerte für Kinder, die Erfahrungstätigkeit
von jungen Menschen so weit aktiviert wird, dass sie sich später
musikalisch kein X für ein U vormachen lassen. Das wäre
schön, doch andere Fragen sind unvermeidbar: Ist es denn möglich,
einerseits musikalisch emanzipiert zu werden, während Jugendlichen
in anderen Bereichen der Gesellschaft der eigene Kopf so dermaßen
durch Erziehung zu Ellenbogenkampf und geistiger wie ästhetischer
Beliebigkeit ausgetrieben wird?
Der Soziologe Theodor W. Adorno schrieb einmal, das Ganze im Blick:
Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft. Wären
nicht daher gute Konzerte für Kinder am Ende bloß Kompensationsveranstaltungen
für eine im Nirwana der Globalisierung versickernde Menschheit?
Die Gefahr zumindest besteht, dass diese Initiative in eine geistige
Biedermeierpädagogik hineinläuft, während links und
rechts die Welt vergeht.